Papst trifft 5.000 Pfadfinder: „Schafft ein erneuertes Europa der Begegnungen“
Christine Seuss - Vatikanstadt
Sie seien nach ihrer anstrengenden Wanderung wohl ein wenig müde, wandte sich der Papst in gewohnt scherzhafter Weise an die jungen Menschen, die ihren internationalen EUROMOOT mit der Audienz bei dem Kirchenoberhaupt krönen durften. Er sei sich jedoch einer Tatsache sicher, so Franziskus weiter: dass sie sich „im Inneren“ freier fühlten als vorher. „Und was sagt uns das? Dass man die Freiheit unterwegs erringt. Die kann man nicht im Supermarkt kaufen. Die Freiheit kommt nicht, wenn man mit dem Mobiltelefon eingesperrt in einem Zimmer hockt, und auch nicht, wenn man sich ein bisschen antörnt, um der Realität zu entfliehen. Nein, die Freiheit kommt, wenn man in Bewegung ist, Schritt für Schritt, gemeinsam mit den anderen, niemals allein.“
Auf verschiedenen Pilgerwegen nach Rom
Und der gemeinsamen Schritte haben die Pfadfinder tatsächlich viele unternommen: Seit dem 27. Juli waren sie in international gemischten Gruppen auf historischen Wegen auf den Spuren großer Heiliger wie Benedikt von Nursia, Franz von Assisi oder Katharina von Siena in Richtung Rom unterwegs, geschlafen wurde, wie es sich gehört, im Zelt. Eine Station der Reise war dem Gemeinwohl gewidmet: in örtlichen Einrichtungen, Klöstern oder Kirchengemeinden versahen die Pfadfinder einen sozialen Dienst und trafen sich zu Gesprächen mit der Bevölkerung.
Die Heiligen, auf deren Spuren sie gewandelt seien, hätten eines gemeinsam, fuhr der Papst an seine Gäste gerichtet fort: „Sie haben sich nichts vom Leben oder von den anderen erwartet, sondern sie haben auf Gott vertraut und sind Risiken eingegangen, sie haben sich selbst eingesetzt und in Bewegung gesetzt, um Träume zu realisieren, die so groß waren, dass sie uns, euch, uns allen nach Jahrhunderten noch gut tun.“
Sie hätten ihr Leben gegeben, es nicht für sich selbst behalten, betonte der Papst, der während seiner Ansprache mehrfach mit ausladenden Gesten untermalte, was er mit seinen Worten ausdrücken wollte. „Gebt, dann wird auch euch gegeben werden“ (Lk 6, 38), diesen Leitspruch aus dem Evangelium sollten sie sich zu eigen machen, empfahl der Papst seinen Zuhörern.
„Vor allem anderen: gebt. Heute denkt jeder ans Haben. Viele leben mit dem einzigen Ziel, das zu besitzen, was ihm gefällt.“ Aber, so die Mahnung des Papstes, dem weltlichen Besitz sei eines stets gemein: Er reiche nie aus, stets sei man auf der verzweifelten Suche nach mehr. „Das Herz wird dick durch Besitz, Geben macht es schlank,“ brachte Franziskus auf den Punkt:
„Deshalb bestimmt Jesus als Ausgangspunkt nicht das Haben, sondern das Geben. Gebt, das heißt, beginnt euer Leben einzusetzen! Bitte, lasst nicht euer Leben auf dem Beistelltisch, begnügt euch nicht damit, es vor dem Fernseher zu verbringen, denkt nicht, dass es die neueste App zum Herunterladen ist, die euch glücklich macht,“ wandte sich der Papst eindringlich an die jungen Pfadfinder.
Es schmerze ihn, zu sehen, wie viele junge Menschen auf ihre gottgegebene Originalität verzichteten, um sich selbst zu Kopien anderer, vermeintlich besserer Originale zu machen, fügte der Papst spontan einen Gedankengang ein. Und ging anschließend auf Bedenken ein, mit einer Geisteshaltung der Großzügigkeit könnte man durch weniger gutwillige Mitmenschen ausgenutzt werden: „Vertrau auf Jesus. Er sagt zuerst: Gebt, fügt aber dann hinzu: dann wird euch gegeben werden. Gott ist Vater und wird euch mehr geben, als ihr euch vorstellt. Wenn es scheint, dass er dir etwas wegnimmt, ist es nur, um dir mehr und Besseres zu geben, um dich auf deinem Weg vorwärts zu bringen.“
Doch was auf den Einwand sagen, dass sich mit meinem eigenen, persönlichen und unbedeutenden Einsatz ja doch nichts zum Besseren ändere? Auch hier gab der Papst die Antwort gleich mit: „Das ist nicht wahr. Und weißt du, warum? Weil du einzigartig bist. Niemand auf der Welt kann das geben, was du gerufen bist, zu geben. Jeder von euch ist einzigartig und – bitte vergesst das nie - wertvoll in den Augen Gottes.“
Das Motto der Pfadfinder gefalle ihm in diesem Zusammenhang sehr gut, betonte Franziskus. Denn sie entschieden sich dafür, ihr Leben in den Dienst der anderen zu stellen, bauten Brücken, auf denen die anderen zu ihnen kommen könnten, im Gegensatz zu einem Leben in Isolation und ohne ein festes Ziel.
„I care – der andere geht mich etwas an“, das gelte auch für die Schöpfung, fuhr der Papst fort. „Wenn wir sie weiter ausbeuten, wird sie uns eine schreckliche Lektion geben. Das sehen wir heute schon. Wenn wir uns um sie sorgen, werden wir auch morgen noch ein Heim haben.“ Bei ihrem Gang durch die Natur hätten sie gemerkt, dass die Schöpfung grenzenlos und alles miteinander verbunden sei, betonte Franziskus. Das sei eine wertvolle Lehre: „Wir sind auf der Welt, um die anderen zu treffen, um Gemeinschaft zu schaffen, da wir alle miteinander verbunden sind. Die Schöpfung ist geschaffen, um uns mit Gott und untereinander zu verbinden, sie ist das ,Social Gottes‘.“
Dabei gelte es jedoch, dem anderen vorurteilsfrei gegenüberzutreten, mahnte der Papst. Und noch eine weitere Bitte hatte er für die mündigen Bürger von morgen im Gepäck: Es sei nicht nur ausreichend, ein „guter Mensch“ zu sein, sondern vielmehr sei es nötig, sich nach der Philosophie des Pfadfinderpioniers Baden-Powell als „aktive Bürger“ ins Leben der Gesellschaft einzubringen.
„Das ist sehr wichtig heute: Der Herr sucht nicht nur gute Menschen - nicht nur das - sondern der Herr sucht Menschen, die Gutes tun! Auch die Liebe zu Europa, die euch vereint, verlangt nicht nur nach aufmerksamen Beobachtern, sondern aktiven Erbauern. Erbauern von versöhnten und integrativen Gesellschaften, die einem erneuerten Europa Leben einhauchen; nicht Behüterin von Räumen, sondern Erzeugerin von Begegnungen. Europa braucht Begegnungen. Ihr, Ranger und Rover aus ganz Europa, habt diese historische Aufgabe: Mit eurem Weg und euren Träumen schmiedet ihr bereits den europäischen Geist.“
Die Lilie sei das Zeichen der Pfadfinder, aber auch das Symbol, das auf den Kompassen und antiken Seekarten den Norden anzeige, schlug Franziskus einen weiteren Bogen. Dies bedeute, dass die Pfadfinder nicht nur „Wege nach Oben“ eröffnen, sondern auch den „rechten Weg“ einhalten wollten, würdigte der Papst, der die jungen Pfadfinder abschließend bat, „Weg-öffner“ zu sein auf der „Straße des Gebens“.
Ein Pfadfinder-Halstuch für den Papst
Im Anschluss an seine Ansprache drehte Franziskus unter dem enthusiastischen Gejubel der Pfadfindergruppen eine ausgiebige Runde durch die Audienzhalle, um seine Gäste, so gut es ging, einzeln zu begrüßen. Dabei segnete er Rosenkränze, posierte für Selfies und schüttelte unzählige Hände. Ein junger Mann überreichte ihm auch ein Pfadfinder-Halstuch, das er in gewohnt offener Art und unter dem tosenden Applaus der Pfadfinder über seine Soutane zog. Während ihrer Wanderschaft hatten die jungen Menschen nach dem Vorbild der antiken Schreiber Texte der Bibel auf Pergament übertragen, die zu einem gemeinsamen Buch gebunden worden waren. Dieses bekam der Papst als Andenken an die Begegnung geschenkt. Franziskus war nach Johannes Paul II. im Jahr 1994 der zweite Papst, der eine große Delegation der Pfadfinderinnen und Pfadfinder Europas im Vatikan empfangen hatte.
(vatican news)
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