Radioakademie zum Vaterunser (6): „Und führe uns nicht in Versuchung"
Die italienische Bischofskonferenz, mit der die Päpste seit jeher eine besondere Nahebeziehung haben, beschloss 2018, die Bitte neu zu formulieren, also eine andere Übersetzung zu wählen. Auf Italienisch wird in Zukunft nicht mehr gebetet: „Führe uns nicht in Versuchung", sondern stattdessen: „Lass uns nicht in Versuchung geraten". Und das ist im Sinn von Papst Franziskus. Hier erklärt er, warum:
„Bekanntlich kann der in den Evangelien enthaltene griechische Urtext nur schwer ganz genau wiedergegeben werden, und alle modernen Übersetzungen hinken etwas. Einem Element können wir jedoch einmütig zustimmen: Wie auch immer man den Text versteht, wir müssen ausschließen, dass Gott der Urheber der Versuchungen ist, die auf dem Weg des Menschen auftauchen – so als läge Gott auf der Lauer, um seinen Kindern Hinterhalte und Fallen zu stellen. Eine solche Auslegung steht vor allem im Widerspruch zum Text selbst, und sie steht dem Bild von Gott fern, das Jesus uns offenbart hat. Wir dürfen nicht vergessen: Das Vaterunser beginnt mit ,Vater´. Und ein Vater stellt seinen Kindern keine Fallen.“
Sondern erlöse uns von dem Bösen: Diese siebte und letzte Bitte, der Schlussakkord des Vaterunser, gilt unserer Befreiung. Der Apostel Petrus sagt, dass der Widersacher, der Teufel, wie ein brüllender Löwe umhergehe, um uns zu verschlingen, und wir bitten Gott, uns zu erlösen, also: uns zu befreien. Denn Böses ist vorhanden in unserem Leben. Eine „unbestreitbare Gegenwart“, dieses Böse, es zieht sich durch die ganze Historie, sagt der Papst.
„Die Geschichtsbücher sind das trostlose Verzeichnis davon, wie sehr unsere Existenz in dieser Welt ein Abenteuer gewesen ist, das oft zum Scheitern verurteilt war. Es gibt ein mysteriöses Böses, das gewiss nicht das Werk Gottes ist, sondern das sich heimlich in die Geschichte einschleicht: geräuschlos wie die Schlange, die still das Gift mit sich bringt. Manchmal scheint es die Oberhand zu gewinnen: An gewissen Tagen scheint seine Gegenwart sogar deutlicher zu sein als die der Barmherzigkeit Gottes.“
Gerade in den Passionsberichten finden einige Worte des »Vaterunsers« ihren eindrucksvollsten Widerhall, fährt Franziskus fort. Und das trifft auch auf die letzte Vaterunserbitte zu, erlöse uns von dem Bösen. Markus referiert in seinem Passionsbericht, wie Jesus sich an seinen Vater wendet: „Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst“.
„Jesus erfährt in ganzer Fülle das Durchbohrtsein vom Bösen. Nicht nur den Tod, sondern den Tod am Kreuz. Der Christ weiß, wie unterdrückend die Macht des Bösen ist, und gleichzeitig macht er die Erfahrung, wie sehr Jesus, der seinen Verlockungen nie nachgegeben hat, auf unserer Seite steht und uns zu Hilfe kommt.“
Das Vaterunser ist das vertrauteste Gebet der Christenheit. In seiner Katechesenreihe hat Franziskus nicht nur Vers für Vers die Tragweite, die spirituelle Tiefe des Gebets erläutert, sondern auch von der rechten Haltung gesprochen, in der wir das Vaterunser, ja eigentlich jedes Gebet sprechen sollen.
„Auch wenn wir vielleicht seit vielen Jahren beten, so müssen wir doch immer lernen! Der erste Schritt, um zu beten, besteht darin, demütig zu sein. Wir müssen den Herrn bitten: Herr, lehre mich beten. Tun wir das, und er wird unsere Bitte sicher nicht ins Leere fallen lassen.“
Soweit ein Auszug aus der vierten Folge von Gudrun Sailers Radioakademie zum Vaterunser mit Papst Franziskus. Die Sendereihe läuft insgesamt sechs Wochen lang bis Ende August. Wir haben für Sie eine CD mit allen sechs Folgen zusammen vorbereitet, die wir Ihnen gerne gegen eine Spende zusenden können. Bestellungen bitte an: cd@vaticannews.de.
(vatican news)
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