Wie Papst Franziskus das Gleichnis vom Verlorenen Sohn auslegt
Die offizielle Übersetzung wird in Kürze auf der Homepage des Vatikans veröffentlicht.
„Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!
Im heutigen Evangelium (Lk 15,1-32) wird beschrieben, wie einige Jesus kritisieren, weil sie ihn in der Gesellschaft von Zöllnern und Sündern sehen, und voller Verachtung sagen: „Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen!“ (v. 2). In Wahrheit aber ist es ein Satz, hinter dem sich eine wunderbare Verkündigung verbirgt: Jesus nimmt Sünder auf und isst mit ihnen.
Genau das geschieht mit uns in jeder Messe, in jeder Kirche: Jesus freut sich, uns an seinen Tisch zu laden, wo er sich für uns hingibt. An die Pforten unserer Kirchen könnten wir schreiben: „Hier ist der Ort, wo Jesus die Sünder empfängt und an seinen Tisch lädt.“ Seinen Kritikern erzählt der Herr drei wunderschöne Gleichnisse, die seine Vorliebe für jene zeigen, die meinen, fern von ihm zu sein. Es wäre schön, wenn heute jeder von euch im Lukasevangelium, 15. Kapitel, dieses drei Gleichnisse einmal durchlesen würde: Sie sind wunderschön!
Im ersten Gleichnis heißt es: „Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Wüste zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet?“ (v. 4) Wenn einer von euch… Wer seine fünf Sinne beisammen hat, bestimmt nicht: er zählt eins und eins zusammen und opfert das eine Schaf, um die restlichen 99 zu behalten. Nicht so Gott! Er gibt sich nicht geschlagen; ihm liegst gerade du am Herzen, der du die Schönheit seiner Liebe noch nicht kennst; Jesus noch nicht zum Zentrum deines Lebens gemacht hast; es nicht schaffst, gegen deine Sünde anzukämpfen. Du, der du vielleicht so schlimme Dinge im Leben gemacht hast, dass du nicht mehr an die Liebe glaubst…
Im zweiten Gleichnis bist du die kleine Münze, mit deren Verlust sich der Herr einfach nicht abfinden will; die er unermüdlich sucht. Und damit will er dir sagen, dass du in seinen Augen kostbar, einzigartig bist. Niemand kann dich im Herzen Gottes ersetzen! An erster Stelle stehst du! Niemand kann dich im Herzen Gottes ersetzen!
Und das dritte Gleichnis erzählt vom Vater, der auf die Rückkehr des verlorenen Sohnes wartet: Gott wartet auf uns, er wird nicht müde, kennt kein Verzagen. Weil wir alle – jeder von uns – dieser wieder in die Arme geschlossene Sohn sind, diese wiedergefundene Münze, dieses verloren geglaubte Schaf, das voller Freude wieder auf die Schultern genommen wird. Jeden Tag wartet Gott darauf, dass wir uns seiner Liebe bewußt werden. Und du sagst: „Aber ich habe doch so viel auf dem Kerbholz!“. Hab keine Angst: Gott liebt dich und er weiß, dass nur seine Liebe dein Leben verändern kann.
Gott rettet mit Liebe, nicht mit Gewalt
Aber diese unendliche Liebe Gottes zu uns Sündern, die das Herz des Evangeliums ist, kann auch abgelehnt werden. Genau das tut der ältere Sohn im Gleichnis vom verlorenen Sohn. Er versteht die Liebe in diesem Moment nicht; er sieht nicht so sehr den Vater, sondern den Herrn. Und das ist ein Risiko, dem auch wir erliegen können: an einen Gott zu glauben, der streng, und nicht barmherzig ist: einen Gott, der das Böse mit Kraft, und nicht mit Vergebung besiegt. Aber so ist es nicht, Gott rettet mit Liebe, nicht mit Gewalt: Er drängt sich nicht auf, er bietet sich an.
Aber der ältere Sohn, der sich mit der Barmherzigkeit des Vaters nicht abfinden will, macht sogar einen noch schlimmeren Fehler: Er sieht sich im Recht, alles nach dem Maßstab seiner Gerechtigkeit zu beurteilen. Er ist zornig auf seinen Bruder und wirft dem Vater vor: „Kaum ist der hier – dein Sohn – zurückgekommen, hast du das Mastkalb geschlachtet“ (cfr v. 30). Der hier, dein Sohn: Er sagt nicht „mein Bruder“, sondern „dein Sohn“. Er fühlt sich wie ein Einzelgänger. Auch wir machen einen Fehler, wenn wir meinen, wir seien die Gerechten, die anderen die Bösen. Lasst uns nicht den Fehler machen zu meinen, dass wir die Guten sind – denn allein, ohne die Hilfe Gottes, der gut ist, können wir das Böse nicht besiegen!
Gott löscht das Böse aus, er macht uns im Innersten neu
Bitte vergesst nicht, das Evangelium zur Hand zu nehmen und diese drei Gleichnisse aus dem Lukasevangelium durchzulesen. Es wird euch gut tun!
Wie besiegt man das Böse? Indem man die Vergebung Gottes annimmt. Und das geschieht jedes Mal, wenn wir zur Beichte gehen: Dort empfangen wir die Liebe des Vaters, der unsere Sünde besiegt: Sie ist nicht mehr da, Gott vergisst sie. Wenn Gott vergibt, dann verliert er das Gedächtnis, er vergisst unsere Sünden. Nicht so wie wir, die wir zwar sagen „Ist schon gut…“, uns dann aber bei der ersten Gelegenheit auch an kleinste erlittene Unrecht erinnern. Nein: Gott löscht das Böse aus, er macht uns im Innersten neu und bewirkt so, dass die Freude in uns wiedergeboren wird, nicht die Traurigkeit, nicht die Finsternis im Herzen, nicht der Verdacht... Wir müssen nicht verzagen: Bei Gott hat die Sünde nie das letzte Wort!
Die Muttergottes, die die Knoten des Lebens löst, befreie uns von der Anmaßung, uns für gerecht zu halten, und lasse uns das Bedürfnis verspüren, zum Herrn zu gehen, der auf uns wartet, damit er uns vergeben kann.“
Nach dem Angelusgebet
„Liebe Brüder und Schwestern,
letzte Woche ist es zum lang erwarteten Gefangenenaustausch zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine gekommen. Ich freue mich für die Freigelassenen, die ihre Angehörigen endlich wieder in die Arme schließen konnten, und bete weiter um ein schnelles Ende des bewaffneten Konflikts und einen dauerhaften Frieden in der Ost-Ukraine.
In Forlì wurde gestern Benedetta Bianchi Porro selig gesprochen, die 1964 im Alter von 28 Jahren gestorben ist. Ihr ganzes Leben war von Krankheit geprägt, und der Herr gab ihr die Gnade, sie nicht nur zu ertragen, sondern in ein leuchtendes Zeugnis des Glaubens und der Liebe zu verwandeln. Und heute wird in Limburg in Deutschland auch Pater Richard Henkes selig gesprochen, ein Pallottiner-Pater, der 1945 in Dachau aus Hass auf den Glauben (interniert wurde und dort) ums Leben kam. Möge das Beispiel dieser mutigen Jünger Christi auch unserem Weg der Heiligkeit förderlich sein. Ein Applaus für die neuen Seligen!
Mein herzlicher Gruß geht an euch alle, Römer und Pilger aus verschiedenen Ländern: Familien, Pfarrgruppen, Vereine. Ich grüße die Gläubigen aus Honduras und Bolivien, die jungen afrikanischen Unternehmer, die sich für die Zukunft Afrikas engagieren - harambe - und die Pilgerfahrt mit Elektroautos aus Polen. Ich grüße die Soldaten, die zum Gedenken an den Diener Gottes Pater Gianfranco Chiti versammelt sind, die Oblatinnen des heiligsten Erlösers, die Gläubigen aus Montecchio Emilia mit ihren venezolanischen Freunden; und die Firmlinge aus Crotone. Ich grüße die UNITALSI-Gruppe und segne die große nationale Pilgerfahrt nach Lourdes, die in den nächsten Tagen stattfinden wird.
Ich wünsche euch allen einen schönen Sonntag. Bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Gesegnete Mahlzeit und auf Wiedersehen!”
Übersetzung: Silvia Kritzenberger
(radio vatikan)
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