Wortlaut: Papst-Botschaft in Nagasaki über die Atomwaffen
Liebe Brüder und Schwestern!
Dieser Ort macht uns tiefer bewusst, welchen Schmerz und Schrecken wir Menschen einander zuzufügen fähig sind. Das zerbombte Kreuz und die kürzlich in der Kathedrale von Nagasaki entdeckte Marienstatue erinnern uns noch einmal an das unsagbare Grauen, das die Opfer und ihre Familien am eigenen Leib erlitten haben.
Einer der tiefsten Wünsche des menschlichen Herzens ist der nach Frieden und Stabilität. Der Besitz von Atomwaffen und anderer Massenvernichtungswaffen ist nicht die geeignete Antwort auf diesen Wunsch; vielmehr scheinen diese ihn ständig auf die Probe zu stellen. Unsere Welt lebt in der abartigen Dichotomie, Stabilität und Frieden auf der Basis einer falschen, von einer Logik der Angst und des Misstrauens gestützten Sicherheit verteidigen und sichern zu wollen. Am Ende vergiftet sie die Beziehungen zwischen den Völkern und verhindert jeden möglichen Dialog.
Der Frieden und die internationale Stabilität sind unvereinbar mit jedwedem Versuch, sie auf der Angst gegenseitiger Zerstörung oder auf der Bedrohung einer gänzlichen Auslöschung aufzubauen; sie sind nur möglich im Anschluss an eine globale Ethik der Solidarität und Zusammenarbeit im Dienst an einer Zukunft, die von der Interdependenz und Mitverantwortlichkeit innerhalb der ganzen Menschheitsfamilie von heute und morgen gestaltet wird.
Hier in dieser Stadt, die zur Zeugin der katastrophalen Folgen eines nuklearen Angriffs für Menschen und Umwelt wurde, werden die Versuche, die Stimme gegen das Wettrüsten zu erheben, immer zu wenig sein. Das Wettrüsten vergeudet nämlich wertvolle Ressourcen, die doch zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung der Völker und des Umweltschutzes verwendet werden könnten. In der Welt von heute, wo Millionen von Kindern und Familien unter menschenunwürdigen Bedingungen leben, ist es ein himmelschreiender Anschlag, wenn für die Herstellung, die Modernisierung, den Erhalt und den Verkauf von Waffen mit immer stärkerer Zerstörungskraft Gelder ausgegeben und damit Vermögen erzielt werden.
Eine Welt in Frieden und frei von Atomwaffen ist das Bestreben von Millionen von Männern und Frauen überall auf der Erde. Dieses Ideal Wirklichkeit werden zu lassen erfordert die Beteiligung aller: Einzelne, Religionsgemeinschaften, die Zivilgesellschaft, die Staaten im Besitz von Atomwaffen und atomwaffenfreie Staaten, private und militärische Bereiche sowie die internationalen Organisationen. Unsere Antwort auf die Bedrohung durch Nuklearwaffen muss gemeinsam und konzertiert sein und auf dem mühsamen, aber beständigen Aufbau gegenseitigen Vertrauens beruhen, das die Dynamik des gegenwärtig vorherrschenden Misstrauens durchbricht. Im Jahr 1963 sagte der heilige Johannes XXIII. in der Enzyklika Pacem in terris, in der er auch ein Verbot der Atomwaffen forderte (vgl. Nr. 60), dass der »wahre Friede unter den Völkern nicht durch die Gleichheit der militärischen Rüstung, sondern nur durch gegenseitiges Vertrauen fest und sicher bestehen kann« (Nr. 61).
Es ist notwendig, die Dynamik des Misstrauens zu durchbrechen, die derzeit vorherrscht und das Risiko eingehen lässt, zur Demontage des internationalen Systems der Waffenkontrolle zu gelangen. Wir erleben gerade eine Erosion des Multilateralismus, was noch schwerer wiegt angesichts der Entwicklung neuer Waffentechnologien; dieser Ansatz scheint zum gegenwärtigen, von Vernetzung geprägten Kontext ziemlich im Widerspruch zu stehen und stellt eine Situation dar, welche dringliche Aufmerksamkeit seitens aller Verantwortungsträger als auch Einsatz verlangt.
Die katholische Kirche ihrerseits ist unwiderruflich engagiert im Entschluss, den Frieden zwischen den Völkern und Nationen zu fördern: es ist eine Aufgabe, zu der sie sich vor Gott und vor allen Männern und Frauen dieser Erde verpflichtet fühlt. Wir dürfen nie müde werden, unverzüglich dafür zu arbeiten und darauf Nachdruck zu legen, die wichtigsten internationalen Rechtsmittel für die Abrüstung und Nichtverbreitung von Kernwaffen, einschließlich des Atomwaffenverbotsvertrags, zu unterstützen. Im vergangenen Juli starteten die Bischöfe Japans einen Appell zur Abschaffung der Kernwaffen, und jeden August begeht die Kirche in Japan ein zehntägiges Gebetstreffen für den Frieden. Mögen das Gebet, die unermüdliche Suche zur Förderung von Abkommen sowie der Nachdruck auf den Dialog die „Waffen“ sein, auf die wir unser Vertrauen setzen, und ebenso die Inspirationsquelle für die Bemühungen, eine gerechte, solidarische Welt aufzubauen, die echte Garantien für den Frieden bietet.
In der Überzeugung, dass eine Welt ohne Atomwaffen möglich und vonnöten ist, bitte ich die politischen Verantwortungsträger, nicht zu vergessen, dass Nuklearwaffen uns nicht vor den Bedrohungen für die nationale und internationale Sicherheit in unserer Zeit schützen. Man muss die katastrophalen Auswirkungen ihres Einsatzes unter humanitärem Gesichtspunkt und im Hinblick auf die Umwelt bedenken und davon ablassen, ein Klima der Angst, des Misstrauens und der Feindseligkeit zu schüren, das von den Nukleardoktrinen befeuert wird. Die gegenwärtige Lage unseres Planeten wiederum erfordert eine Reihe von Überlegungen, wie alle diese Mittel verwendet werden können – auch in Bezug auf die komplexe und schwierige Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung – und so Ziele wie die ganzheitliche Entwicklung des Menschen erreicht werden können. So hat dies schon im Jahr 1964 der heilige Paul VI. vertreten, als er den Vorschlag machte, den notleidenden Völkern durch einen Weltfonds zu helfen, der zum Teil aus den Ausgaben für Rüstungszwecke gespeist wird (vgl. Ansprache an die Journalisten, Bombay, 4. Dezember 1964; Enzyklika Populorum progressio [26. März 1967], 51).
Für all das ist es entscheidend, Instrumente zu schaffen, die das Vertrauen und die gegenseitige Entwicklung sicherstellen, und auf Verantwortungsträger zählen zu können, die der Lage gewachsen sind. Diese Aufgabe wiederum schließt uns alle ein und betrifft alle. Niemand kann gleichgültig bleiben angesichts des Schmerzes von Millionen von Männern und Frauen, der heute weiter an unsere Gewissen klopft; niemand kann taub sein für den Ruf des Mitmenschen, der aus seiner Verletzung aufschreit; niemand kann blind sein für die Trümmer einer dialogunfähigen Kultur.
Ich bitte euch, dass wir uns jeden Tag im Gebet verbinden für die Bekehrung der Gewissen und für den Triumph einer Kultur des Lebens, der Versöhnung und der Brüderlichkeit; einer Brüderlichkeit, welche die Unterschiede bei der Suche nach einer gemeinsamen Bestimmung anzuerkennen und zu gewährleisten weiß.
Ich weiß, dass einige der hier Anwesenden nicht katholisch sind, doch bin ich sicher, dass wir alle uns das Friedensgebet zu eigen machen können, das dem heiligen Franz von Assisi zugeschrieben wird:
Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich liebe, wo man hasst,
dass ich verzeihe, wo man beleidigt,
dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht,
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält,
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert,
dass ich Freude bringe, wo Kummer wohnt.
An dieser ergreifenden Gedenkstätte, die uns nicht gleichgültig lassen kann, ist es noch bedeutsamer, Gott zu vertrauen, dass er uns lehre, wirksame Werkzeuge des Friedens zu sein und auch dahingehend zu arbeiten, nicht die gleichen Fehler der Vergangenheit zu machen.
Mögt ihr, mögen eure Familien und die ganze Nation den reichen Segen von Wohlstand und sozialer Harmonie erfahren!
(vatican news - mg)
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