Im Wortlaut: Papstansprache vor den politischen Autoritäten Japans
Begegnung mit den Autoritäten und dem Diplomatischen Corps in Kantei, Great Hall, 25. November 2019.
Herr Premierminister,
verehrte Regierungsmitglieder,
geschätzte Mitglieder des Diplomatischen Korps,
meine Damen und Herren,
ich danke dem Premierminister für seine freundlichen Willkommensworte und entbiete Ihnen, geschätzte Verantwortungsträger und Mitglieder des Diplomatischen Korps, ehrerbietige Grüße. Sie alle, jeder an seinem Platz, widmen sich mit Ihrer Arbeit dem Frieden und dem Fortschritt der Menschen dieses werten Landes und der Länder, die Sie vertreten. Ich bin Kaiser Naruhito sehr dankbar, den ich heute Vormittag getroffen habe; ich bringe meine besten Wünsche zum Ausdruck und erbitte der kaiserlichen Familie und insbesondere dem japanischen Volk den Segen Gottes zu Beginn der neu angebrochenen Ära.
Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Japan sind sehr alt und in der Wertschätzung und Bewunderung verwurzelt, die die ersten Missionare für dieses Land hatten. Es genügt, an die Worte des Jesuiten Alessandro Valignano zu erinnern, der 1579 schrieb: »Wer sehen möchte, was unser Herr dem Menschen gegeben hat, für den reicht es aus, dass er kommt, es in Japan zu sehen.« Historisch gesehen waren zahlreich die Kontakte, die kulturellen und diplomatischen Missionen, die diese Beziehung genährt haben und dazu beigetragen haben, Momente größerer Spannungen und Schwierigkeiten zu überwinden. Diese Kontakte haben sich auch allmählich in Strukturen auf institutioneller Ebene zum Vorteil beider Seiten entwickelt.
Ich bin gekommen, um die japanischen Katholiken im Glauben zu stärken als auch in ihrem Einsatz der Nächstenliebe gegenüber den Bedürftigen und für ihren Dienst an dem Land, dessen stolze Bürger sie sind. Als Nation nimmt Japan besonders das Leid der Benachteiligten und der Menschen mit Behinderungen wahr. Das Motto meines Besuchs lautet „Jedes Leben schützen“; es geht darum, die unantastbare Würde des Lebens anzuerkennen und wie wichtig es ist, unseren Brüdern und Schwestern in jedweder Notlage Solidarität und Unterstützung zu erweisen. Es war für mich eine sehr berührende Erfahrung darin, als ich die Geschichten der von der dreifachen Katastrophe betroffenen Menschen hörte; die Schwierigkeiten, die sie durchgemacht haben, haben mich tief bewegt.
Auf den Spuren meiner Vorgänger möchte ich auch Gott anflehen und alle Menschen guten Willens einladen, weiterhin jede notwendige Vermittlung und Überzeugungsarbeit zu fördern und zu unterstützen, damit sich in der Geschichte der Menschheit nie mehr eine solche Zerstörung wiederhole, wie sie die Atombomben in Hiroshima und Nagasaki hervorgebracht haben. Die Geschichte lehrt uns, dass die Konflikte unter den Völkern und Nationen, selbst die ernstesten, nur durch den Dialog tragfähige Lösungen finden können. Dieser ist die einzige Waffe, die des Menschen würdig ist und einen dauerhaften Frieden gewährleisten kann. Ich bin von der Notwendigkeit überzeugt, dass die nukleare Frage auf multilateraler Ebene angegangen werden muss und dazu ein politischer und institutioneller Prozess gefördert werden muss, der einen breiteren internationalen Konsens und Einsatz voranbringt.
Eine Kultur der Begegnung und des Dialogs, die von Weisheit, Vision und einem weiten Horizont gekennzeichnet sind, ist wesentlich, um eine gerechtere und solidarischere Welt aufzubauen. Japan hat erkannt, wie wichtig es ist, persönliche Kontakte im Bereich der Bildung, der Kultur, des Sports und des Tourismus zu pflegen. Denn es weiß, dass diese in beträchtlicher Weise zur Eintracht, Gerechtigkeit und Solidarität und Versöhnung beitragen, die den Bau des Friedens zusammenhalten. Ein deutliches Beispiel dafür können wir im olympischen Geist erblicken, der Athleten aus aller Welt in einem Wettkampf vereint, der nicht notwendigerweise auf der Rivalität aufbaut, sondern auf dem Streben nach herausragenden Leistungen. Ich bin mir sicher, dass die Olympischen und Paraolympischen Spiele nächstes Jahr in Japan als Anregung dienen werden, um einen Geist der Solidarität wachsen zu lassen, der die nationalen und regionalen Grenzen übersteigt und das Wohl unserer ganzen Menschheitsfamilie sucht.
In diesen Tagen konnte ich erneut das kostbare Kulturerbe würdigen, das Japan im Lauf vieler Jahrhunderte seiner Geschichte zu entwickeln und zu bewahren vermochte, als auch die tiefen religiösen und moralischen Werte, die diese alte Kultur kennzeichnen. Die gute Beziehung unter den verschiedenen Religionen ist nicht nur für eine Zukunft in Frieden notwendig, sondern auch, um die heutigen und künftigen Generationen zu befähigen, die ethischen Prinzipien als Grundlage für eine wahrhaft gerechte und menschliche Gesellschaft zu achten. Wie das Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen, das ich mit dem Großimam von Al-Azhar im vergangenen Februar unterzeichnet habe, sagt, treibt uns unsere gemeinsame Sorge um die Zukunft der Menschheitsfamilie an, »die Kultur des Dialogs als Weg, die allgemeine Zusammenarbeit als Verhaltensregel und das gegenseitige Verständnis als Methode und Maßstab« anzunehmen.
Jeder Besucher Japans kann nur die Naturschönheit dieses Landes bewundern, die über Jahrhunderte von seinen Dichtern und Künstlern zum Ausdruck gebracht wurde und vor allem durch das Bild der Kirschblüte symbolisiert wird. Die Zartheit der Kirschblüte erinnert uns jedoch an die Zerbrechlichkeit unseres gemeinsamen Hauses, das nicht nur den Naturkatastrophen ausgesetzt ist, sondern auch der Habgier, der Ausbeutung und der Verwüstung durch Menschenhand. Wenn die internationale Gemeinschaft Schwierigkeiten hat, ihren Verpflichtungen zum Schutz der Schöpfung nachzukommen, sind es die jungen Menschen, die immer mehr über mutige Entscheidungen sprechen und sie verlangen. Sie fordern von uns auf, die Welt nicht als einen Besitz zu betrachten, den man ausbeuten kann, sondern als ein kostbares Erbe, das weitergegeben werden muss. Unsererseits schulden wir ihnen »echte Antworten, nicht leere Worte: Fakten und keine Illusionen« (Botschaft zum Weltgebetstag für die Bewahrung der Schöpfung 2019).
In diesem Sinne muss ein ganzheitlicher Ansatz zum Schutz unseres gemeinsamen Hauses auch die Humanökologie berücksichtigen. Der Einsatz für seinen Schutz bedeutet, der wachsenden Kluft zwischen Reich und Arm in einem weltweiten Wirtschaftssystem entgegenzutreten, das einigen wenigen Privilegierten ein Leben im Überfluss erlaubt, während die Mehrheit der Weltbevölkerung in Armut lebt. Mir ist die Sorge zur Förderung verschiedener Programme bekannt, welche die japanische Regierung diesbezüglich umsetzt. Ich ermutige Sie, in der Heranbildung eines wachsenden Bewusstseins der Mitverantwortung unter den Nationen fortzufahren. Die Würde des Menschen muss im Mittelpunkt jeder sozialen, ökonomischen und politischen Aktivität stehen; es tut not, die Generationensolidarität zu fördern, und auf allen Ebenen des gemeinschaftlichen Lebens muss die Sorge für die an den Tag gelegt werden, die vergessen oder ausgeschlossen sind. Ich denke insbesondere an die jungen Menschen, die sich angesichts der Schwierigkeiten des Wachstums oftmals erdrückt fühlen, und auch an die alten und einsamen Menschen, die unter Isolierung leiden. Wir wissen, dass letzten Endes die Kultur einer Nation oder eines Volkes nicht an seiner Macht gemessen wird, sondern an der Aufmerksamkeit gegenüber den Bedürftigen und an der Fähigkeit, Leben hervorzubringen und zu fördern.
Jetzt, da mein Besuch in Japan zu Ende geht, danke ich nochmals für die Einladung an mich, für die herzliche Gastfreundschaft, mit der Sie mich begleitet haben, und für die Großzügigkeit all derer, die zum guten Gelingen des Besuches beigetragen haben. Mit diesen Gedanken möchte ich Sie in Ihren Bemühungen zur Gestaltung einer gesellschaftlichen Ordnung bestärken, die das Leben immer besser zu schützen und die Würde und die Rechte der Menschheitsfamilie immer mehr zu achten vermag. Ihnen und Ihren Familien sowie allen, denen Sie dienen, erbitte ich reichen göttlichen Segen. Vielen Dank!
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