Wortlaut: Papstrede vor Regierung und Gesellschaft in Thailand
ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS
Begegnung mit den Vertretern der Regierung, der Zivilgesellschaft und mit dem Diplomatischen Korps
Bangkok, Government House, 21. November 2019
Herr Ministerpräsident,
werte Mitglieder der Regierung und des Diplomatischen Korps,
sehr geehrte politische, zivile und religiöse Verantwortungsträger,
meine Damen und Herren!
Ich bin für die Gelegenheit dankbar, bei Ihnen zu sein und dieses Land zu besuchen, das so reich an Naturschönheiten ist, vor allem aber uralte spirituelle und kulturelle Traditionen bewahrt. Dazu gehört die Gastfreundschaft, die ich heute persönlich erfahren darf und die ich selbst weitergeben möchte, um die Bande größerer Freundschaft zwischen den Völkern zu fördern und zu vermehren.
Vielen Dank, Herr Ministerpräsident, für den Empfang und Ihre Worte zur Begrüßung. Heute Nachmittag werde ich die Möglichkeit haben, Seiner Majestät König Rama X. und der königlichen Familie einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Seiner Majestät drücke ich nochmals meinen Dank für seine freundliche Einladung aus, Thailand zu besuchen; ich erneuere meine besten Wünsche für seine Regentschaft und verbinde damit auch meine aufrichtige Ehrenbezeigung gegenüber dem Andenken an seinen verstorbenen Vater.
Ich freue mich, dass es mir möglich ist, Sie, die Verantwortungsträger der Regierung, der Religionen und der Zivilgesellschaft, zu grüßen und zu treffen, und durch Sie grüße ich insbesondere das ganze thailändische Volk. Mein hochachtungsvoller Gruß gilt ebenso dem Diplomatischen Korps. Bei dieser Gelegenheit möchte ich es nicht versäumen, meine besten Wünsche nach den letzten Wahlen auszudrücken, die eine Rückkehr zum normalen demokratischen Prozess darstellen.
Danke sage ich allen, die für die Durchführung dieses Besuches gearbeitet haben.
Wie wir wissen, sind heute die Probleme, denen sich unsere Welt gegenübersieht, globaler Natur; sie betreffen die ganze Menschheitsfamilie und erfordern ein entschiedenes Engagement für internationale Gerechtigkeit und Solidarität zwischen den Völkern. Ich möchte besonders hervorheben, dass in diesen Tagen Thailand den Vorsitz im ASEAN weitergeben wird, denn dieser Turnus ist ein Ausdruck seines geschichtlichen Einsatzes in umfassenderen Fragen, vor denen die Völker des gesamten südostasiatischen Raums stehen, und seines beständigen Interesses, die politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit in der Region zu fördern.
Als multikulturelle, durch Vielfalt geprägte Nation erkennt Thailand seit langem, wie wichtig es ist, die Eintracht und das friedliche Zusammenleben zwischen seinen zahlreichen ethnischen Gruppen aufzubauen und dabei den verschiedenen Kulturen, Religionsgruppen, Philosophien und Gesinnungen Achtung und Hochschätzung entgegenzubringen. Die gegenwärtige Zeit ist von der Globalisierung gekennzeichnet, die allzu oft im strikt wirtschaftlich-finanziellen Sinn gesehen wird und dazu neigt, die Grundmerkmale auszulöschen, welche die Schönheit und die Seele unserer Völker bilden und hervorbringen. Die konkrete Erfahrung von Einheit hingegen, welche die Unterschiede respektiert und aufnimmt, dient als Inspiration und Ansporn für alle, denen es ein Anliegen ist, welche Art von Welt wir den kommenden Generationen hinterlassen wollen.
Ich begrüße die Initiative zur Schaffung einer „Ethik- und Sozialkommission“, zu der Sie die traditionellen Religionen im Land als Teilnehmer eingeladen haben, um ihre Beiträge entgegenzunehmen und das geistliche Gedächtnis Ihres Volkes lebendig zu halten. In diesem Sinne werde ich die Gelegenheit zu einer Begegnung mit dem Obersten Buddhistischen Patriarchen haben; dieses Treffen ist ein Zeichen dafür, wie bedeutend und dringlich es ist, die Freundschaft und den interreligiösen Dialog zu fördern, und steht auch im Dienst an der sozialen Eintracht und am Aufbau gerechter, feinfühliger und inklusiver Gesellschaften. Ich möchte Ihnen persönlich versichern, dass die kleine, doch lebendige katholische Gemeinschaft alle Bemühungen unternimmt, die so typischen Eigenschaften der Thai zu erhalten und zu fördern, die in Ihrer Nationalhymne erwähnt werden: friedliebend und freundlich, aber nicht feige. Ebenso haben sie den festen Vorsatz, allem entgegenzutreten, was den Schrei so vieler unserer Brüder und Schwestern missachtet, die sich danach sehen, vom Joch der Armut, der Gewalt und der Ungerechtigkeit befreit zu werden. Dieses Land trägt den Namen „Freiheit“. Wir wissen, dass diese nur dann möglich ist, wenn wir uns füreinander mitverantwortlich fühlen und jegliche Form der Ungleichheit überwinden. Man muss daher dafür arbeiten, dass die einzelnen Menschen und die Gemeinschaften Zugang zu Bildung, würdiger Arbeit, Gesundheitsfürsorge haben und so das Allernötigste an Nachhaltigkeit erlangen, das eine ganzheitliche menschliche Entwicklung möglich macht.
Diesbezüglich möchte ich kurz auf die Migrationsbewegungen eingehen, die eines der prägendsten Merkmale unserer Zeit sind; nicht so sehr wegen der Mobilität an sich, als vielmehr wegen der Umstände, unter denen sie stattfinden. Dieses Phänomen stellt eine der moralischen Hauptfragen dar, der unsere Generation gegenübersteht. Die Migrationskrise kann nicht geleugnet werden. Thailand selbst, das für seine Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen bekannt ist, sah sich aufgrund der tragischen Flucht von Flüchtlingen aus den Nachbarländern dieser Krise gegenüber. Einmal mehr verleihe ich meiner Hoffnung Ausdruck, dass die internationale Gemeinschaft in verantwortungsvoller Weise und mit Weitblick agiere, um die Probleme, die zu diesem tragischen Exodus führen, lösen zu können und eine sichere, geordnete und geregelte Migration zu fördern. Möge nur jede Nation wirksame Verfahren bereitstellen zum Schutz der Würde und der Rechte der Migranten und Flüchtlinge, die auf der Suche nach Freiheit und einem würdigen Leben für ihre Familien Gefahren, Ungewissheit und Ausbeutung gegenüberstehen Es geht nicht bloß um Migranten, es geht auch um das Gesicht, das wir unseren Gesellschaften geben wollen.
In diesem Sinne denke ich auch an all jene Frauen und Kinder unserer Zeit, die besonders verletzt und vergewaltigt werden und jeder Form von Ausbeutung, Sklaverei, Gewalt und Missbrauch ausgesetzt sind. Ich bekunde der thailändischen Regierung meine Anerkennung für ihre Anstrengungen, um diese Plage auszurotten, wie auch allen Menschen und Organisationen, die unermüdlich dafür arbeiten, dieses Übel auszumerzen und einen Weg anzubieten, ihnen ihre Würde zurückzugeben. Dieses Jahr, in dem der dreißigste Jahrestag der Kinderrechtskonvention begangen wird, sind wir eingeladen, über den notwendigen Schutz des Wohls unserer Kinder, über ihre soziale und intellektuelle Entwicklung, ihren Zugang zu Bildung wie auch ihr körperliches, seelisches und geistiges Wachstum nachzudenken[1] und dahingehend entschieden, beständig und unverzüglich zu arbeiten. Die Zukunft unserer Völker ist in hohem Maße damit verbunden, wie wir unseren Kindern eine Zukunft in Würde sicherstellen.
Meine Damen und Herren, unsere Gesellschaften brauchen heute mehr denn je „Handwerker der Gastfreundschaft“, Männer und Frauen, die sich um die ganzheitliche Entwicklung aller Völker innerhalb einer Menschheitsfamilie kümmern, welche sich zu einem Leben in Gerechtigkeit, Solidarität und geschwisterlicher Harmonie verpflichtet. Tragen Sie, jeder von seiner Position aus, mit Ihrem Leben dazu bei, dass der Dienst am Gemeinwohl alle Orte dieser Nation erreicht – dies ist eine der edelsten Aufgaben eines Menschen. Mit diesen Gedanken und mit dem Wunsch, dass Sie in der Ihnen anvertrauten Sendung fortschreiten, erbitte ich dieser Nation, ihren Verantwortungsträgern und Einwohnern Gottes reichen Segen. Und ich bitte den Herrn, jeden von Ihnen und Ihre Familien auf Pfaden der Weisheit, der Gerechtigkeit und des Friedens zu führen.
[1] Vgl. Ansprache an das Diplomatische Korps, 7. Januar 2019.
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