„Franziskus bleibt dem treu, was er vor der Synode sagte“
Das Wort Pachamama fällt in dem Gespräch nicht; doch sagt der Kardinal nicht ohne Schärfe: „Inkulturation bedeutet auch, in der Lage zu sein, ein bereits bestehendes, einheimisches Symbol zu akzeptieren, ohne es sofort als heidnische Abirrung zu brandmarken!“
Czerny äußert sich in dem Interview auch zur Debatte um den Zölibat. Franziskus sei dem treu geblieben, was er zu diesem Thema schon vor der Synode gesagt habe – nämlich dass er keine Aufhebung des Pflichtzölibats für Priester wolle. Allerdings stehe es der Kirche durchaus frei, über die Möglichkeit der Priesterweihe von verheirateten Männern zu diskutieren.
Der Kardinal betont, dass Franziskus seinen Text schon Ende Dezember 2019 fertiggestellt habe. Damit hat die Auseinandersetzung über die Streitschrift für den Zölibat, die Kurienkardinal Robert Sarah im Januar mit einem Beitrag des emeritierten Papstes Benedikt XVI. lanciert hat, das Dokument also nicht mehr beeinflusst.
Hier finden Sie den (gekürzten) Text des Interviews, das unser Mitarbeiter Alessandro de Carolis mit Czerny geführt hat.
Radio Vatikan: Herr Kardinal, eigentlich hatte der Papst den Text schon für das Jahresende 2019 angekündigt. Gab es also Verzögerungen?
Czerny: „Der Heilige Vater hat in seiner Abschlussrede der Synode tatsächlich gesagt, er wolle seine Schlussfolgerungen aus den Debatten noch vor Jahresende ziehen, damit nicht zuviel Zeit vergehe. Aber er hat das dann auch gehalten – seinen fertigen Text hat er am 27. Dezember, also knapp vor dem Jahresende, abgegeben. Danach hat es (das ist unvermeidlich) noch ein bisschen gedauert, bis das Dokument redigiert, in die verschiedenen Sprachen übersetzt und reif zur Veröffentlichung war.“
Radio Vatikan: Was ist Ihrer Meinung nach die entscheidende Botschaft des Dokuments?
Czerny: „Das Entscheidende ist der Ruf des Papstes zu einer Umkehr in der gängigen Denkweise über Reich und Arm, Entwicklung und Bewahrung, Verteidigung der kulturellen Wurzeln und Offenheit für den anderen. Franziskus spricht von vier großen Visionen: Ein Amazonasgebiet, in dem alle die Rechte der Armen und der Indigenen schützen. In dem der kulturelle Reichtum nicht verloren geht. Eine Bewahrung des ökologischen Lebensraums. Und viertens christliche Gemeinschaften, die den Glauben am Amazonas einheimisch machen – eine Kirche mit amazonischem Antlitz.“
Radio Vatikan: Aber haben diese Visionen nicht utopische Züge?
Czerny: „Nicht für Papst Franziskus. Für ihn sind Visionen – das hat er einmal im Gespräch mit Jugendlichen am 11.8. 2018 im römischen Circo Massimo klargemacht – das Gegenteil von Utopie: Sie zeigen einen Horizont für den Weg, den die Kirche einschlagen muss, statt einfach irgendwelche Regeln zu diktieren. Eine Liebeserklärung hat nun mal nicht die Form eines Vertrages oder eines Rezeptbuches! Franziskus spricht ja auch von Empörung über die Umweltzerstörung im Amazonasgebiet und die Verletzungen der Menschenwürde seiner Völker (die schon Benedikt XVI. angeprangert hatte). Die großen Träume dienen nicht dazu, uns betäuben zu lassen, sondern sollen zu konkretem Engagement führen.“
Radio Vatikan: Wie stellt sich der Papst die Förderung des Amazonasgebiets vor?
Czerny: „Ihm ist wichtig, dass sie nicht bedeutet, die Region zu kolonialisieren oder sie auszubeuten (was mit Umweltzerstörung und Bedrohungen für die indigenen Völker einhergeht). Und zugleich sollen die ursprünglichen Kulturen dort auch nicht zu einem Mythos stilisiert werden, als müsste man alle Vermischung verhindern. Und man darf auch nicht die Umwelt bewahren wollen, ohne sich zugleich um die amazonischen Völker zu kümmern. Identität und Dialog – das sind zwei Schlüsselworte für den Papst, und er sieht sie nicht als Gegensätze untereinander. Die Pflege der kulturellen Werte der Indigenen geht uns alle an: Wir müssen uns mitverantwortlich fühlen für die Würde dieser Kulturen!
Außerdem aber – und das macht das Papstschreiben sehr klar – ist eine christliche Perspektive weit von einer verbohrten Fixierung auf das Indigene entfernt, und auch von einem Umweltschutz, der Menschen als den Ruin für den Planeten empfindet. Franziskus will eine missionarische Kühnheit: Von Jesus sprechen und den anderen sein neues Leben bringen. Leben für den Menschen, für alle und jeden, und Schutz der Schöpfung in Beziehung zum Schöpfer und zu den Mitmenschen.“
Radio Vatikan: Warum sollte uns eigentlich das Schicksal einer bestimmten Region der Erde so sehr am Herzen liegen?
Czerny: „Das Schicksal des Amazonas betrifft uns alle, denn alles ist mit allem verbunden, und die Pflege dieser wertvollen Biosphäre, die wichtig dafür ist, dass sich unser Planet nicht überhitzt, ist von grundlegender Bedeutung. Der Amazonas betrifft uns daher alle sehr stark. Auf besondere Weise sehen wir in dieser Region der Welt die Bedeutung einer integralen Ökologie, die den Respekt vor der Natur und die Sorge um die Menschenwürde einschließt. Die Zukunft des Amazonasgebiets und die Zukunft seiner Völker sind entscheidend für das Gleichgewicht unseres Planeten. In dieser Hinsicht ist es wichtig, den indigenen Völkern zu erlauben, in ihren Gebieten zu bleiben und sich um sie zu kümmern.“
Radio Vatikan: Kommen wir zum vierten Kapitel des Papstschreibens – der kirchlichen Vision. Was ist Ihnen an diesem letzten Teil des Schreibens aufgefallen?
Czerny: „Mich hat vor allem die missionarische Perspektive beeindruckt: Ohne die leidenschaftliche Verkündigung des Evangeliums läuft die Kirche mit ihren Projekten Gefahr, zu einer NGO zu werden. Der Papst macht klar, dass der Einsatz für die Armen und die Eingeborenen zum Zeugnis für Jesus dazugehört. Die soziale Botschaft geht mit der Verkündigung des Evangeliums einher, und sein zentraler Kern, das Kerygma, rührt an das menschliche Leben, die Menschenwürde, die Gerechtigkeit, den Schutz des gemeinsamen Hauses.“
Radio Vatikan: Ein häufig wiederkehrendes Wort in diesem Kapitel ist ‚Inkulturation‘...
Czerny: „Wer das Evangelium verkündet, lernt auch alles Gute und Schöne zu schätzen, das eine bestimmte Kultur hervorgebracht hat, und bringt es sozusagen im Licht des Glaubens zur vollen Entfaltung. Inkulturation bedeutet auch, in der Lage zu sein, ein bereits bestehendes, einheimisches Symbol zu akzeptieren, ohne es sofort als heidnische Abirrung zu brandmarken! Natürlich brauchen Symbole, Bräuche, Kulturen einen Prozess der Reinigung und Reifung. Aber diejenigen, denen die Verkündigung des Evangeliums wirklich am Herzen liegt, versuchen, auf die Sehnsucht der Völker mit einer inkulturierten Spiritualität zu antworten.“
Radio Vatikan: Ein Thema, das auf der Synode diskutiert wurde, ist der Priestermangel in einem so großen Gebiet wie dem Amazonasgebiet – und die Schwierigkeit vieler Gemeinden, die Eucharistie zu feiern. Welchen Weg zeigt der Papst da auf?
Czerny: „Der Papst sieht durchaus die Notwendigkeit, dass auch in den entlegensten Gebieten häufiger die Eucharistie gefeiert werden müsste. Nun gibt es zwar nicht nur eine einzige Art und Weise, um das priesterliche Amt konkret auszuüben – doch nur der Priester kann die heilige Wandlung vornehmen und das Beichtsakrament spenden. Darum appelliert Franziskus an alle Bischöfe, großzügiger zu sein, wenn es darum geht, einen Priester als Missionar an den Amazonas zu schicken. Es sollte dort außerdem viel mehr Ständige Diakone geben, und die Rolle der Ordensleute und Laien muss weiter entwickelt werden.“
Radio Vatikan: Aber das Papstschreiben lässt nicht die Möglichkeit zu, verheiratete Männer zu Priestern zu weihen...
Czerny: „Franziskus ist dem treugeblieben, was er vor der Synode gesagt hatte. Die Möglichkeit, verheiratete Männer zu ordinieren, kann von der Kirche durchaus diskutiert werden – und es gibt sie auch längst, zum Beispiel in den katholischen Ostkirchen. Diese Diskussion wird seit vielen Jahrhunderten geführt, und die Synode hat sich freimütig dazu geäußert: nicht isoliert, sondern im gesamten Kontext von Eucharistie und Amt in der Kirche. Der Papst erklärt nun in seinem Schreiben, dass das Thema nicht nur numerisch zu betrachten ist, dass es also nicht ausreichen würde, nur für eine größere Präsenz von Priestern zu sorgen.
Was wir brauchen, ist ein neues Leben in den Gemeinschaften, ein neuer missionarischer Impuls, neue Laiendienste, ständige Weiterbildung, Mut und Kreativität! Was wir brauchen, ist eine viel stärkere Präsenz von Laien, die von missionarischem Geist beseelt und in der Lage sind, das authentische Gesicht der Kirche des Amazonasgebiets darzustellen. Dann würden– so scheint der Papst zu denken – auch die Berufungen wieder aufblühen. Der Amazonas fordert uns heraus, schreibt Franziskus, begrenzte Perspektiven zu überwinden und sich nicht mit Lösungen zu begnügen, die nur Teilaspekte berühren. Vielmehr geht es um eine erneute Erfahrung des Glaubens und der Verkündigung!“
Radio Vatikan: Und was ist mit der Rolle der Frauen?
Czerny: „Der Papst erinnert in seinem Text daran, dass es in Amazonien Gemeinschaften gibt, die seit Jahrzehnten den Glauben ganz ohne Priester weitergeben. Das liegt daran, dass es dort starke und großzügige Frauen gibt, die, vom Heiligen Geist beseelt, taufen, den Katechismus lehren und zeigen, wie man betet. Wir müssen unseren Blick erweitern, damit wir nicht nur funktionalistisch denken – als ob es nur dann eine bedeutendere Rolle für Frauen gäbe, wenn sie mit dem Zugang den Weiheämtern verbunden wäre. Das würde vielmehr dazu führen, Frauen zu klerikalisieren. Papst Franziskus betont immer wieder, wie wichtig es ist, das priesterliche Amt nicht als Macht zu verstehen, denn diese Kombination führt zu Klerikalismus.
Diese Verbindung zwischen Amt und Macht ist es, die Frauen ohne Stimme, ohne Rechte und ohne Entscheidungsmöglichkeiten dastehen lässt! Es geht also nicht darum, ihnen Zugang zu einem Weiheamt zu verschaffen, damit sie Stimme und Stimmrecht haben, sondern darum, Macht und Amt voneinander zu trennen. Außerdem müssen wir uns von ihrem Beispiel inspirieren lassen: Es erinnert uns daran, dass Macht in der Kirche Dienst ist. Dass sie Großzügigkeit ist. Dass sie Freiheit ist. Wir müssen das Entstehen anderer weiblicher Dienste und Charismen fördern! Frauen sollten - so der Papst - Zugang zu kirchlichen Funktionen und Diensten haben, die nicht die Weihe erfordern und die mit einem Mandat der Bischöfe ausgestattet, stabil und öffentlich anerkannt sein sollten. Vielleicht ist es an der Zeit, die bereits in der Kirche bestehenden Laiendienste zu überprüfen, zu ihren Grundlagen zurückzukehren und sie zu aktualisieren – und gleichzeitig andere, neue, stabile Dienste mit öffentlicher Anerkennung und Beauftragung durch den Bischof zu schaffen.“
Radio Vatikan: Noch eine letzte Frage. In welcher Beziehung stehen denn das Papstschreiben und das Schlussdokument der Synode?
Czerny: „Der Papst erklärt ja in seiner Einleitung, dass er das Schlussdokument weder ersetzen noch einfach nur wiederholen will. Er stellt es offiziell vor; er lädt uns ein, es ganz zu lesen. Er betet darum, dass sich die ganze Kirche bereichern und herausfordern lässt von dieser Arbeit. Und er bittet darum, dass in Amazonien alle Bischöfe, Priester, Ordensleute und Gläubige sich für seine Verwirklichung einsetzen. Alle Menschen guten Willens sollen sich vom Schlussdokument und auch vom schönen „Querida Amazonia“ inspirieren lassen…“
(vatican news – sk)
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