Historische Ton-Aufnahmen: Wahl Benedikts XVI. vor 15 Jahren
Stefan von Kempis - Vatikanstadt
Dienstag, 19. April 2005: Kurz vor 18 Uhr quillt auf einmal weißer Rauch aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle. Ein neuer Papst ist gewählt, nach nur 26 Stunden – einem der kürzesten Konklave der Geschichte. Um 18.43 Uhr verkündet der chilenische Kardinal Medina Estévez von der mittleren Loggia des Petersdoms den Namen des Gewählten: Joseph Ratzinger.
Der Nachfolger des großen Johannes Paul II. im Papstamt kommt aus Bayern und wirkt schon seit einem Vierteljahrhundert im Vatikan, als Präfekt der Glaubenskongregation. Sein Papstname: Benedikt.
Erster deutscher Papst seit fast 500 Jahren
Schüchtern, aber gelöst tritt der neue Bischof von Rom auf den Balkon, winkt den 300.000 Menschen auf dem Petersplatz noch etwas ungeübt zu. „Wir sind Papst“, wird die „Bild“-Zeitung am Tag danach titeln; Ratzinger ist der erste deutsche Pontifex seit fast 500 Jahren.
.Mit einer kurzen, italienischen Ansprache stellt sich der Gewählte der Öffentlichkeit vor, bevor er seinen ersten Segen als Papst erteilt. „Liebe Schwestern und Brüder! Nach einem großen Papst Johannes Paul II. haben die Herrn Kardinäle mich gewählt, einen einfachen und bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn. Mich tröstet die Tatsache, dass der Herr auch mit ungenügenden Werkzeugen zu arbeiten und zu wirken weiß. Vor allem vertraue ich mich euren Gebeten an.“
„Einfacher Arbeiter im Weinberg des Herrn“
Es ist ein bewusst demütiger Einstand für einen Mann, der als einer der intelligentesten Köpfe des Abendlands gilt. An der Personalie Ratzinger scheiden sich die Geister; einigen gilt er als gefühlloser Großinquisitor, viele bewundern ihn hingegen als brillanten und sensiblen Denker des Christlichen. „Mitarbeiter der Wahrheit“ ist sein Wahlspruch – „Mitarbeiter“ steht übrigens im Plural. Für das Papstamt glaubte er sich nicht geschaffen, sagt Benedikt ein paar Tage nach seiner Wahl bei einer Begegnung mit Landsleuten.
Als das Fallbeil herabfiel
„Als langsam der Gang der Abstimmungen mich erkennen ließ, dass sozusagen das Fallbeil auf mich herabfallen würde, war mir ganz schwindelig zumute. Ich hatte geglaubt, mein Lebenswerk getan zu haben und nun auf einen ruhigen Ausklang meiner Tage hoffen zu dürfen. Ich habe mit tiefer Überzeugung zum Herrn gesagt: Tu mir dies nicht an! Du hast Jüngere und Bessere, die mit ganz anderem Elan und mit ganz anderer Kraft an diese große Aufgabe herantreten können.“
Nur aus Gehorsam dem Willen Gottes gegenüber habe er dann aber doch Ja gesagt. „Bequem sind die Wege des Herrn nicht, aber wir sind ja auch nicht für die Bequemlichkeit, sondern für das Große, für das Gute geschaffen.“
Nicht Johannes Paul III. hat er sich genannt, sondern Benedikt. Der 78-Jährige weiß, dass er als Nachfolger Karol Wojtylas in große Fußstapfen tritt. Aber er sagt sich – so erklärt er später –, dass es neben den „großen“ auch die „kleinen Päpste“ geben müsse, die ruhig ihre Arbeit leisteten.
Schlaflose Nächte
„Staunen und Dankbarkeit gegenüber Gott, aber auch ein inneres Zittern vor der Größe der mir übertragenen Verantwortung empfinde ich in diesen Tagen.“ Das sagt Papst Ratzinger bei seiner ersten Generalaudienz auf dem Petersplatz. „Die Gewissheit der Hilfe Gottes erfüllt mich mit gläubiger Gelassenheit und Freude.“ Später wird er erzählen, dass er in den ersten Nächten als Papst kaum Schlaf findet, weil er die Last der Verantwortung spürt.
Ein europäisches Pontifikat beginnt
„Ich habe mich Benedikt XVI. genannt, um mich an das Pontifikat des mutigen Friedens-Papstes Benedikt XV. anzulehnen, der den Ersten Weltkrieg zu verhindern suchte. Ich stelle mein Petrusamt in den Dienst der Versöhnung und des guten Einvernehmens unter den Menschen und Völkern. Die Wahl meines Namens knüpft aber auch an den heiligen Benedikt von Nursia an, den ‚Vater des abendländischen Mönchtums‘ und Mitpatron Europas.“ Ein dezidiert europäisches Pontifikat wird das also. Dass in Europa die Frage nach Gott wieder aufbrennt, ist sein Hauptanliegen.
Amtsantritt: „Wer glaubt, ist nie allein“
24. April 2005: 200 Monarchen, Staats- und Regierungschefs sind auf dem Petersplatz, außerdem Hunderttausende von Menschen – und Millionen an den Fernsehgeräten. Benedikt wird in sein Amt eingeführt, erhält die päpstlichen Insignien: Pallium, Fischerring, Hirtenstab.
„Wer glaubt, ist nie allein“, sagt der Papst in seiner Predigt. Nein, ein Regierungsprogramm wolle er nicht vorlegen. „Das eigentliche Regierungsprogramm ist, nicht meinen Willen zu tun, nicht meine Ideen durchzusetzen, sondern gemeinsam mit der ganzen Kirche auf Wort und Wille des Herrn zu lauschen und mich von ihm führen zu lassen, damit er selbst die Kirche führe in dieser Stunde unserer Geschichte.“
Er bittet um Gebet, auf dass er kein Hirte werde, der vor den Wölfen Reißaus nimmt. Und er nimmt sich vor, „den Menschen Gott zu zeigen“. „Erst wo Gott gesehen wird, beginnt das Leben richtig. Erst wo wir dem lebendigen Gott in Christus begegnen, lernen wir, was Leben ist. Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht. Es gibt nichts Schöneres, als vom Evangelium, von Christus gefunden zu werden.“
Der Ratzinger-Sound
Das ist er, der Ratzinger-Sound. Eingängige Formulierungen, die Wesentliches zum Schillern bringen. Ein neuer Augustinus, ein Kirchenlehrer – „Professor Papst“ wird ihn der „Spiegel“ nennen – sitzt jetzt auf dem Stuhl Petri. Bei seiner Amtseinführung sagt der alte neue Papst auch: „Die Kirche lebt. Und die Kirche ist jung.“ Was er damit meint, erklärt er kurz danach Zuhörern aus seiner Heimat.
„Die Kirche ist gar nicht alt und unbeweglich. Nein, sie ist jung. (…) Es ist gar nicht wahr, dass die Jugend vor allem an Konsum und an Genuss denkt. Es ist nicht wahr, dass sie materialistisch und egoistisch ist. Das Gegenteil ist wahr: Die Jugend will das Große. (…) Sie will das Gute. Und deswegen ist die Jugend – seid Ihr – auch wieder ganz offen für Christus.“
„Christus zeigt uns Gott und damit die wahre Größe des Menschen“
Christus habe denen, die ihm nachfolgen, nicht ein bequemes Leben versprochen. „Wer Bequemlichkeit will, der ist bei ihm allerdings an der falschen Adresse. Aber er zeigt uns den Weg zum Großen, zum Guten, zum richtigen Menschenleben. Wenn er vom Kreuz spricht, das wir auf uns nehmen sollen, ist es nicht Lust an der Quälerei oder kleinlicher Moralismus. Es ist der Impuls der Liebe, die aufbricht aus sich selbst heraus, die nicht umschaut nach sich selber, sondern den Menschen öffnet für den Dienst an der Wahrheit, an der Gerechtigkeit, am Guten. Christus zeigt uns Gott und damit die wahre Größe des Menschen.“
‚Deus Caritas est‘, ‚Gott ist Liebe‘: Ausgerechnet darüber wird Benedikt, der angeblich so verknöcherte Glaubens- und Sittenwächter, seine erste Enzyklika schreiben – und damit viele überraschen, die von ihm keinen poetischen Ton, sondern irgendetwas Strenges erwartet hatten.
„Sprungbereite Feindseligkeit“
Doch die acht Jahre Ratzinger-Pontifikat werden auch von einer Reihe umstrittener Entscheidungen geprägt sein – und von Skandalen, wirklichen und vermeintlichen, im Vatikan und der Weltkirche. Dann wird der deutsche Papst die „sprungbereite Feindseligkeit“ vieler Kritiker erleben. Schon im Voraus wirbt Benedikt in einer seiner ersten Ansprachen als Papst um Verständnis.
„Ich bitte Euch um Nachsicht, wenn ich Fehler mache wie jeder Mensch oder wenn manches unverständlich bleibt, was der Papst von seinem Gewissen und vom Gewissen der Kirche her sagen und tun muss. Ich bitte Euch um Euer Vertrauen. Halten wir zusammen, dann finden wir den rechten Weg.“
(vatican news)
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