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Johannes Paul II. im Februar 1981 in Japan Johannes Paul II. im Februar 1981 in Japan 

Johannes Paul II: „Eiliger Vater“, Mann des Gebets, Apostel der Menschenwürde

Am 18. Mai 1920 kam Karol Wojtyła, der spätere Papst Johannes Paul II, in der polnischen Stadt Wadowice zur Welt. Der spätere Papst war nicht nur geistlicher Strippenzieher beim Zusammenbruch des Kommunismus in Europa, er hat in seinem 26-jährigen Pontifikat auch die Kirche in das 21. Jahrhundert geführt. Das Hilfswerk Kirche in Not interviewte den US-Papstbiografen George Weigel.

Herr Weigel, warum ist Papst Johannes Paul II. ein Heiliger?

George Weigel: Er ist ein Heiliger, weil er ein Leben heroischer Tugenden gelebt hat. Er ist ein Heiliger, weil er das Christentum interessant und anziehend gemacht hat zu einem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte, als viele – gerade auch hier in Deutschland – dachten, dass es langweilig und öde sei. Er ist ein Heiliger, weil er in der Auseinandersetzung mit Tyranneien aller Art einen außerordentlichen Mut bewiesen hat – und das mit Erfolg. Der Fall der Berliner Mauer 1989 wäre zu jenem Zeitpunkt und auf diese friedliche Weise ohne ihn nicht denkbar gewesen. 

Wodurch wurde der junge Karol Wojtyła geprägt?

George Weigel: Der entscheidende Einfluss auf sein Leben war der Zweite Weltkrieg mit der brutalen Besatzung von Krakau. Ich bin überzeugt, dass dies der Zeitpunkt war, als er beschloss, die Verteidigung der Würde des Menschen zu seiner Lebensaufgabe zu machen durch ein Priesterleben in der katholischen Kirche.

Er, der im Kindesalter die Mutter verloren hatte, hat umso mehr die göttliche Mutter geliebt“, sagte Kardinal Ratzinger bei seinem Begräbnis. Welche Auswirkungen hatte diese Liebe zur Gottesmutter auf sein Pontifikat?

George Weigel: Man sollte die marianische Frömmigkeit von Johannes Paul II. nicht „überpsychologisieren“. Er sah in Maria schlicht das Leitbild jeglicher christlicher Jüngerschaft. Wichtig war auch der Einfluss seines Vaters. Dessen Zeugnis, dass man sowohl ein guter wie ein starker Mann und ein Mann des Gebets sein kann, hatte einen entscheidenden Einfluss auf den späteren Papst.

Johannes Paul II. war ein Philosoph. Was waren seine Grundüberzeugungen?

George Weigel: Die entscheidende Frage war für ihn die Frage nach der Würde des Menschen und die  Verteidigung dieser Würde. Und die Frage: Was ist Wahrheit? Wenn es nur Deine und meine Wahrheit gibt und keiner von uns anerkennt, dass es DIE Wahrheit gibt, haben wir ein Problem. Ich denke, dass die derzeitigen Verwirrungen in der westlichen Welt zeigen, wie recht Johannes Paul II. mit seiner Analyse hatte.

Ein großes Thema seines Pontifikats war die Barmherzigkeit Gottes. Was meinte er, wenn er von Barmherzigkeit sprach?

George Weigel: Seine Betonung der Barmherzigkeit Gottes ist die Folge seiner Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg, seines Erlebens von Totalitarismus und Kommunismus in Polen. Genau zu einer Zeit, als die Menschheit drauf und dran war, sich selbst zu zerstören, gab Gott eine Antwort darauf durch die Offenbarung der Göttlichen Barmherzigkeit. In einem seiner letzten Apostolischen Schreiben sagte Johannes Paul II., die Welt wäre schrecklich einsam, wenn es niemand gäbe, den man um Verzeihung bitten könnte. Das ist ein großes Problem unserer Zeit. Dennoch haben wir eine Antwort darauf erhalten in den Botschaften von der Göttlichen Barmherzigkeit, die aus dem Herzen des auferstandenen Herrn strömen.

Die Neuevangelisierung war ein weiteres wichtiges Thema seines Pontifikats. Hat er in diesem Punkt nicht versagt, wenn man die Glaubensverdunstung und den Glaubensabfall in unseren westlichen Gesellschaften betrachtet?

George Weigel: Nein, er hat nicht versagt. Aber eine ganze Reihe von Kirchenführern haben versagt. Wo immer man heute lebendiges, aufblühendes katholisches Leben in der Welt findet, wo immer die Kirche lebt, dort lebt sie die Neuevangelisierung. Und dort, wo die Kirche abstirbt, ist das der Fall, weil sie die Neuevangelisation nicht lebt. Das ist eine empirische Wirklichkeit der katholischen Kirche von heute auf der ganzen Welt. In diesem Sinne ist Johannes Paul II. sehr erfolgreich gewesen.

Sein beispielhaftes Beten hat mich immer berührt und erbaut“, hat Papst Benedikt XVI. einmal über seinen Vorgänger gesagt. Ist das Gebet einer der Schlüssel, um Johannes Paul II. zu verstehen?

George Weigel: Ja, das glaube ich. Ich erinnere mich, darüber im Frühjahr 1996 mit Kardinal Ratzinger gesprochen zu haben. Der Kardinal sagte zu mir: „Die wichtigste Stunde im Tagesablauf von Johannes Paul II. ist die erste. Es ist die Stunde im Gebet vor dem ausgesetzten Allerheiligsten, weil alles Weitere sich daraus ergibt.“ Und ich denke, das gilt auch für sein ganzes Pontifikat. Es gibt keine Entscheidung von ihm, die nicht eine Frucht des Gebets gewesen wäre. Und das ist ein großes Beispiel für uns alle.

Johannes Paul II. ist wegen seiner vielen Reisen auch als „eiliger Vater“, berühmt geworden. Welche Auswirkungen hatten diese Reisen?

George Weigel: Sie hatten oft einen doppelten Effekt: Einerseits belebte er damit die Ortskirchen, andererseits veränderte sich oft das öffentliche Leben. Große politische Auswirkungen hatten zum Beispiel seine Reisen auf die Philippinen, nach Mittelamerika 1983 und nach Chile und Argentinien in den späten 1980er Jahren. Wenn Sie betrachten, wo Kirche heute wächst und lebendig ist, dann besteht oft ein Zusammenhang mit den Reisen des Papstes in diese Gebiete.

Aus seinem Umfeld war immer wieder zu hören, dass er vom Ende des Kommunismus schon früh überzeugt war. Woher nahm er diesen Glauben?

George Weigel: Er hat während seiner Polenreise 1979 begriffen, dass die Geschichte des 20. Jahrhunderts in einer dramatischen Weise umschwenkte. Er sah, dass der kommunistische „Kaiser“, wenn auch nicht nackt war, so doch nur noch wenige Kleider trug. Ihm war klar: Wenn man die Schwachstelle der kommunistischen Regime, nämlich die Missachtung der menschlichen Würde, die Geringschätzung des Menschen und seiner Freiheit, immer und immer wieder anprangert, dann würde das System vielleicht zusammenbrechen.

Johannes Paul II. hat sogar eine eigene Theologie über die Sexualität des Menschen entworfen, die „Theologie des Leibes“. War das angesichts des Aufkommens der Gender-Ideologie in unseren Tagen ein prophetischer Akt?

George Weigel: Die Gender-Ideologie ist Unsinn. Die Theologie des Leibes dagegen ist eine wunderschöne, biblische und philosophische Erklärung für das Menschsein in zwei Formen, männlich und weiblich, ihre Komplementarität und Fruchtbarkeit. Dort, wo die Theologie des Leibes ernsthaft umgesetzt wurde, zum Beispiel bei uns in den USA, hat sie Leben verändert. Die Kirche muss immer „Ja“ sagen zur Würde der menschlichen Person, und die Theologie des Leibes ist ein Teil dieses „Ja“.

Das ausführliche Interview von „Kirche in Not“ mit George Weigel findet sich im neuen Glaubens-Kompass „Papst Johannes Paul II.“, den das Hilfswerk kostenlos herausgibt.

(Kirche in Not - gs)

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05. Mai 2020, 11:18