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Im Wortlaut: Die Predigt des Papstes bei der Messe für Migranten

Wir dokumentieren hier im Wortlaut die Predigt, die Papst Franziskus bei der Heiligen Messe zum 7. Jahrestag seiner Reise nach Lampedusa im vatikanischen Gästehaus Casa Santa Marta gehalten hat.

Den offiziellen Text mit den spontanen Einschüben des Papstes finden Sie in Kürze auf der Homepage des Vatikans.

Liebe Brüder und Schwestern,

Der heutige Antwortpsalm lädt uns zu einer ständigen Suche nach dem Antlitz des Herrn ein: „Sucht das Antlitz des Herrn allezeit. Fragt nach dem Herrn und seiner Macht, sucht sein Antlitz allezeit“ (Ps 105). Diese Suche stellt eine grundlegende Haltung im Leben des Gläubigen dar, der verstanden hat, dass das letzte Ziel seines Daseins die Begegnung mit Gott ist.

Die Suche nach dem Antlitz Gottes ist eine Garantie für das Gelingen unserer Reise in dieser Welt, die ein Exodus in das wahre Gelobte Land – die Heimat im Himmel – ist. Das Antlitz Gottes ist unser Ziel, und es ist auch der Polarstern, der dafür sorgt, dass wir uns nicht verirren.

Das Volk Israel, das der Prophet Hosea in der ersten Lesung beschreibt (vgl. 10,1-3.7-8.12), war damals ein verlorenes Volk. Ein Volk, das das Gelobte Land aus den Augen verloren hatte und in der Wüste der Ungerechtigkeit umherirrte. Der Wohlstand und der Reichtum im Überfluss hatten die Herzen der Israeliten vom Herrn entfernt und sie mit Falschheit und Ungerechtigkeit erfüllt.

Das ist eine Sünde, gegen die auch wir Christen heute nicht gefeit sind. „Die Wohlstandskultur, die uns dazu bringt, an uns selbst zu denken, macht uns unempfindlich gegen die Schreie der anderen; sie lässt uns in Seifenblasen leben, die schön, aber nichts sind, die eine Illusion des Nichtigen, des Flüchtigen sind, die zur Gleichgültigkeit gegenüber den anderen führen, ja zur Globalisierung der Gleichgültigkeit“ (Predigt beim Besuch in Lampedusa, 8. Juli 2013).

Der Appell des Hosea erreicht uns heute als erneuerte Einladung zur Umkehr; dazu, unseren Blick auf den Herrn zu richten, um sein Antlitz zu erkennen. Der Prophet sagt: „Sät als eure Saat Gerechtigkeit aus, so werdet ihr ernten, wie es der göttlichen Liebe entspricht. Nehmt Neuland unter den Pflug! Es ist Zeit, den Herrn zu suchen; dann wird er kommen und euch mit Heil überschütten“ (10,12).

Die Motivation für die Suche nach dem Antlitz Gottes ist die Sehnsucht nach einer persönlichen Begegnung mit dem Herrn, mit seiner unermesslichen Liebe und seiner heilenden Macht. Die zwölf Apostel, von denen das heutige Evangelium spricht (vgl. Mt 10,1-7), hatten die Gnade, ihm physisch in Jesus Christus, dem menschgewordenen Sohn Gottes, zu begegnen. Er nannte sie beim Namen, einen nach dem anderen, schaute ihnen in die Augen; und sie betrachteten sein Antlitz, hörten seine Stimme, sahen seine Wunder. Die persönliche Begegnung mit dem Herrn, eine Zeit der Gnade und des Heils, führt zur Mission: „Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe“, fordert Jesus sie auf (v. 7).

Diese persönliche Begegnung mit Jesus Christus ist auch für uns, die Jünger des dritten Jahrtausends, möglich. Auf unser Suche nach dem Antlitz des Herrn können wir ihn erkennen im Angesicht der Armen, der Kranken, der Verlassenen und der Fremden, die Gott unseren Weg kreuzen lässt. Und diese Begegnung wird auch für uns zu einer Zeit der Gnade und des Heils, die uns mit derselben Mission betraut, die den Aposteln anvertraut wurde.

Heute jährt sich mein Besuch auf Lampedusa zum siebten Mal. Im Licht des Wortes Gottes möchte ich wiederholen, was ich den Teilnehmern des Flüchtlingshelfer-Treffens „Frei von Angst“ im Februar letzten Jahres gesagt habe: „Die Begegnung mit dem anderen ist zudem Begegnung mit Christus. Das hat er selbst uns gesagt. Er ist es, der hungrig, durstig, als Fremder, nackt, krank und als Gefangener an unsere Tür klopft und um Begegnung und Hilfe bittet. Und sollten wir noch etwas Zweifel haben, hier sein klares Wort: »Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan«“ (Mt 25,40).

„Was ihr getan habt...“, im Guten und im Bösen! Diese Mahnung ist heute von brennender Aktualität. Wir alle sollten sie als einen Bezugspunkt unserer täglichen Gewissenserforschung betrachten. Ich denke an Libyen, an die Internierungslager, an den Missbrauch und die Gewalt, unter der Migranten zu leiden haben; an die Reisen der Hoffnung, die Rettungen und die Zurückweisungen. „Was ihr getan hab… das habt ihr mir getan“.

Möge die Jungfrau Maria, Solacium migrantium, uns helfen, das Antlitz ihres Sohnes in all den Brüdern und Schwestern zu erkennen, die wegen so vieler Ungerechtigkeiten, von denen unsere Welt noch immer heimgesucht wird, aus ihrer Heimat fliehen mussten.

(vatican news - silvia kritzenberger)

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08. Juli 2020, 13:42