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Papst Franziskus sprach am 24. November 2014 vor dem EU-Parlament (Archivbild, hier rechts neben dem damaligen EU-Präsidenten Martin Schulz) Papst Franziskus sprach am 24. November 2014 vor dem EU-Parlament (Archivbild, hier rechts neben dem damaligen EU-Präsidenten Martin Schulz) 

Papst träumt von einem „menschenfreundlichen Europa“

Papst Franziskus wirbt für eine verbesserte Zusammenarbeit und stärkere Eintracht in Europa. In einem Brief an den vatikanischen Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin anlässlich der 50-jährigen Zusammenarbeit zwischen dem Heiligen Stuhl und den europäischen Institutionen erinnert er an die Grundwerte der Staatengemeinschaft und ruft dazu auf, in der aktuellen Krisenzeit den Weg der Geschwisterlichkeit zu wählen.

Mario Galgano und Alessandro De Carolis – Vatikanstadt

Was Franziskus an Kardinal Pietro Parolin schreibt, ist eine Art offener Brief an den europäischen Kontinent, in dem der Papst seine Hoffnung auf mehr Geschwisterlichkeit und Solidarität in der Staatengemeinschaft formuliert. Diese seien gerade in der gegenwärtigen Corona-Krise sehr dringlich, unterstreicht der Papst. Es gehe um eine gemeinsame Vision für die Zukunft, hält der Papst fest.

Zum Nachhören - was der Papst über Europa denkt.

Für diese Woche waren anlässlich des 50. Jahrestages der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den europäischen Institutionen Treffen des vatikanischen Kardinalstaatssekretärs Parolin mit hochrangigen Vertretern der EU-Institutionen in Brüssel geplant. Sie sollen allerdings wegen der Corona-Pandemie letztlich nur in Videokonferenz durchgeführt werden, wie der Vatikan an diesem Dienstag mitteilte. 

Traum von einem menschenfreundlichen Europa

Der Papst formuliert in seinem Schreiben vier Träume und die Grundüberzeugung, es könne kein authentisches Europa ohne die Grundpfeiler geben, auf die es sich historisch gründete. Es sei als Raum von Völkern entworfen worden, die sich durch Solidarität geeint sahen - ein wichtiger Schritt nach langen Jahren des Krieges und der Mauern, so Franziskus mit Blick auf die bewegte europäische Geschichte. Für die Zukunft entwirft er die Vision eines Europa der Solidarität und der Geschwisterlichkeit. Und da brachte das Kirchenoberhaupt seinen ersten Traum zur Sprache:  

„Ich träume also von einem menschenfreundlichen Europa; von einem Kontinent, in dem die Würde eines jeden respektiert wird, in dem der Mensch an sich einen Wert darstellt und nicht zu einem Gegenstand wirtschaftlichen Kalküls oder zu einer Ware wird; von einem Kontinent, der das Leben zu jedem Zeitpunkt schützt, von dem Moment an, in dem es unsichtbar im Mutterleib entsteht, bis zu seinem natürlichen Ende, denn kein Mensch ist Herr über das Leben, weder über das eigene noch das anderer; von einem Kontinent, der die Arbeit als vorzügliches Mittel sowohl für das persönliche Wachstum als auch für den Aufbau des Gemeinwohls fördert und Beschäftigungsmöglichkeiten vor allem für die Jüngeren schafft. Menschenfreundlich zu sein, bedeutet, Bildung und kulturelle Entwicklung zu fördern.“

Traum von Einheit und Familie

Sein zweiter Traum sei, so betont der Papst, die Einheit. Er träume aber auch, so das dritte Element, von Europa als „Familie und Gemeinschaft“, als Ort, der die besonderen Eigenschaften jedes Menschen und jedes Volkes zu würdigen wisse, „ohne zu vergessen, dass sie eine gemeinsame Verantwortung verbindet“.

Traum eines solidarischen und großzügigen Europas

Es brauche ein „solidarisches und großzügiges Europa“, formuliert der Papst seinen vierten Traum. Das soll ein Europa sein, so sein Herzensanliegen, das „einen einladenden und gastfreundlichen Ort ist, wo die Nächstenliebe – welche die höchste christliche Tugend ist – alle Formen von Gleichgültigkeit und Egoismus überwindet“. Auch wirbt der Papst für einen „gesunden Säkularimus“ in Europa.

„Die Zeit des Konfessionalismus ist vorbei, aber hoffentlich auch die eines gewissen Säkularismus, der seine Türen für die anderen und vor allem für Gott verschließt.“

„Ich träume von einem gesund säkularen Europa, in dem Gott und Kaiser zwar unterschiedliche aber nicht einander entgegengesetzte Wirklichkeiten bezeichnen; von einem Kontinent, der offen ist für die Transzendenz, in dem die Gläubigen frei sind, ihren Glauben öffentlich zu bekennen und ihren Standpunkt in der Gesellschaft vorzubringen. Die Zeit des Konfessionalismus ist vorbei, aber hoffentlich auch die eines gewissen Säkularismus, der seine Türen für die anderen und vor allem für Gott verschließt, denn es ist evident, dass eine Kultur oder ein politisches System, das die Offenheit für die Transzendenz nicht achtet, auch die menschliche Person nicht angemessen respektiert.“

Europäische Union
Europäische Union

Mehrere große Jubiläen

Mehrere Jubiläen haben den Papst eigenen Angaben nach zu dem Grundsatzschreiben bewogen: das 50 Jahr-Jubiläum der Zusammenarbeit zwischen dem Heiligen Stuhl und den europäischen Institutionen, sowie das 40 Jahr-Jubiläum der Comece, der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union. Zwei Jubiläen, die sich in den größeren Rahmen der vergangenen 70 Jahre seit der sogenannten Schuman-Erklärung einfügen, mit der Europa den Spaltungen des Krieges den Rücken kehrte. Dazu der Papst wörtlich:

„Wenn in Europa heute viele Menschen kritisch und wenig zuversichtlich sind, was die Zukunft des Kontinents betrifft, blicken doch viele andere mit Hoffnung auf ihn, in der Überzeugung, dass er der Welt und der Menschheit noch immer etwas zu geben hat. Es ist dasselbe Vertrauen, das Robert Schuman inspiriert hat, der sich dessen bewusst war, dass ,der Beitrag, den ein organisiertes und lebendiges Europa für die Zivilisation leisten kann, […] für die Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen´ unerlässlich ist. Auch wir dürfen dieses Vertrauen haben aufgrund der gemeinsamen Werte, die in der Geschichte und Kultur dieses Kontinents verwurzelt sind.“

Weg der Geschwisterlichkeit wählen

Die Corona-Pandemie lasse viele Herausforderungen in Europa besonders deutlich hervortreten. Papst Franzikus beschreibt diese Krisenzeit als Zeit der Entscheidung für Europa und warnt vor Spaltungen und Abgrenzungstendenzen in der Staatengemeinschaft. In diesem historischen Augenblick brauche es Einheit, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen.  

„In unserer Zeit, in der es ,Indizien für einen Rückschritt´ gibt und man die Dinge zunehmend selbstständig tun möchte, ist die Pandemie wie eine Wasserscheide, die uns vor die Wahl stellt: entweder wir gehen den Weg des letzten Jahrzehnts weiter, der von der Versuchung zur Autonomie geprägt war und steuern so auf wachsende Missverständnisse, Gegensätze und Konflikte zu, oder wir entdecken wieder jenen Weg der Geschwisterlichkeit, der zweifellos die Gründerväter des modernen Europa, angefangen bei Robert Schuman selbst, inspiriert und beseelt hat.“

(vatican news)

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27. Oktober 2020, 12:44