Urbi et Orbi: Papst Franziskus fordert Impfstoff für alle
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Der Saal, der manchmal für Audienzen genutzt wird, liegt sozusagen im ersten Stock von St. Peter: über der Vorhalle des Doms, gleich hinter der Loggia, von der aus die Päpste sonst üblicherweise den „Urbi et Orbi“ spenden. Ein wirkliches Novum ist ein „Urbi et Orbi“ in diesem Saal allerdings nicht, denn nach 1870 spendeten Päpste jahrzehntelang den Segen von hier aus – und zwar nicht Richtung Petersplatz, sondern in den Dom hinein. Das war damals, vor Gründung des Vatikanstaats, ein Protest gegen die Zerschlagung des Kirchenstaats durch Italien.
Die Zeremonie von diesem Freitag, die von etwa 150 TV-Sendern nach draußen in die Corona-Welt übertragen wurde, war nicht unfeierlich, aber nüchtern – sozusagen heruntergedimmt. Hinter Franziskus war ein Teppich aus der Werkstatt des Renaissance-Künstlers Raffael angebracht, der die Geburt Christi zeigte. Nur einige Dutzend Gläubige waren in der Benediktionsaula dabei, darunter der Rektor des Campo Santo Teutonico, Hans-Peter Fischer, und der deutsche Benediktiner Nikodemus Schnabel aus der Dormitio-Abtei Jerusalem. Der Petersplatz war während der Feier in der Benediktionsaula fast menschenleer, nur Polizisten waren unterwegs.
In seiner Weihnachtsbotschaft vor dem Segen forderte ein ernst dreinblickender Papst die Weltgemeinschaft zu mehr Geschwisterlichkeit auf – ganz im Kielwasser seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ vom 3. Oktober dieses Jahres. Dank der Menschwerdung Gottes in Jesus seien wir alle Geschwister: „aus allen Kontinenten, aus jedwedem Sprach- und Kulturraum, mit unseren Identitäten und Unterschieden und doch alle als Brüder und Schwestern“.
Für eine Geschwisterlichkeit, die nicht nur aus schönen Worten besteht
Geschwisterlichkeit sei die richtige Antwort auf ökologische Krise, wirtschaftliche und soziale Missverhältnisse und Corona-Pandemie. Es gehe um eine Geschwisterlichkeit, die nicht nur „aus schönen Worten, aus abstrakten Idealen, aus vagen Gefühlen“ bestehe.
„Nein! Eine Geschwisterlichkeit, die auf der konkreten Liebe gründet. Die fähig ist, dem anderen von mir verschiedenen Menschen zu begegnen. Mit ihm zu leiden, sich ihm zu nähern und sich seiner anzunehmen, auch wenn er nicht meiner Familie, meiner Volksgruppe, meiner Religion angehört. Er ist anders als ich, aber er ist mein Bruder, sie ist meine Schwester. Und dies gilt auch in den Beziehungen zwischen den Völkern und den Nationen.“
Franziskus warb um Solidarität und Großherzigkeit: den Kranken gegenüber; denen, die arbeitslos geworden sind oder wegen der Pandemie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können; den Frauen, die in diesen Tagen der Isolation zum Opfer häuslicher Gewalt werden. Die Entwicklung von Corona-Impfstoffen sei ein „Licht der Hoffnung“.
„Aber um die ganze Welt zu erleuchten und Hoffnung überallhin zu tragen, müssen diese Lichter allen zur Verfügung stehen. Wir können nicht zulassen, dass Nationalismen uns daran hindern, als die Menschheitsfamilie zu leben, die wir sind! Wir können auch nicht zulassen, dass der Virus der radikalen Gleichgültigkeit uns besiegt und uns dem Leiden unserer Brüder und Schwestern gegenüber gefühllos macht. Ich kann mich selbst nicht über die anderen stellen, ich kann nicht die Gesetze des Marktes und der Patente für Erfindungen höherstellen als die Gesetze der Liebe und der Gesundheit der Menschheit. Daher fordere ich alle, die Verantwortlichen der Staaten, Unternehmen, internationalen Organismen dazu auf, Kooperation und nicht Konkurrenz zu fördern und eine Lösung für alle zu suchen: Impfstoffe für alle, vor allem für die Verletzlichsten und Bedürftigsten in allen Regionen des Planeten. An die erste Stelle gehören die Verletzlichsten und die Bedürftigsten!“
Angesichts einer Herausforderung, die keine Grenzen kenne, dürfe man jetzt keine Barrieren errichten, so der Papst eindringlich. „Wir sitzen alle im gleichen Boot! Jeder Mensch ist einer meiner Geschwister. In jeder Person sehe ich das Angesicht Gottes widergespiegelt, und in den Leidenden werde ich des Herrn gewahr, der mich um Hilfe bittet. Ich sehe ihn im Kranken, im Armen, im Arbeitslosen, im Ausgegrenzten, im Migranten und Flüchtling.“
Gebet für Syrien
Wie üblich nutzte der Papst seine Botschaft, um Friedenswünsche in viele Teile der Welt zu schicken. Diesmal dachte er als erstes an die Kinder in Konflikt- und Kriegsgebieten, etwa in Syrien, im Irak oder im Jemen. Er betete außerdem um ein Ende der Spannungen im Nahen Osten und im östlichen Mittelmeerraum.
„Das Jesuskind heile die Wunden des geschätzten syrischen Volkes, welches schon seit einem Jahrzehnt vom Krieg und seinen Konsequenzen geplagt wird, die durch die Pandemie noch schwerwiegender geworden sind. Es möge dem irakischen Volk und all denen Trost spenden, die sich auf den Weg der Versöhnung verpflichtet haben, insbesondere den Jesiden, die von den letzten Kriegsjahren schwer getroffen wurden. Es möge Libyen Frieden schenken und gewähren, dass die neue Phase der laufenden Verhandlungen jeder Form von Feindseligkeit im Land ein Ende setze.“
Auch für ein Ende des Nahostkonflikts setzte sich der Papst ein. Dabei forderte er Israelis und Palästinenser zu einem „direkten Dialog“ auf. Dem Libanon solle die internationale Gemeinschaft helfen, seine schwere Krise zu überwinden und den „Weg der Reformen“ einzuschlagen.
Mit Blick auf Europa sagte Franziskus: „Der Sohn des Höchsten stütze den Einsatz der internationalen Gemeinschaft und der betroffenen Länder, um den Waffenstillstand in Nagorny Karabach fortzusetzen wie auch in den östlichen Regionen der Ukraine, um den Dialog als einzigen Weg zu fördern, der zum Frieden und zur Versöhnung führt.“
Sorge über Pandemie-Opfer in Lateinamerika
Besorgt zeigte sich der Papst über Extremismus und bewaffnete Konflikte in Afrika, namentlich in Südsudan, Mosambik und Burkina Faso. Er erwähnte auch den Konflikt in Äthiopien. Zu seiner lateinamerikanischen Heimat sagte er:
„Das ewige Wort des Vaters sei Quelle der Hoffnung für den amerikanischen Kontinent, der vom Coronavirus besonders getroffen wurde. Die Pandemie hat die vielen Leiden, die ihn bedrücken, noch verschärft, wo sie schon durch die Konsequenzen der Korruption und des Rauschgifthandels erschwert wurden. Das Christkind helfe, die jüngsten sozialen Spannungen in Chile zu überwinden und den Leiden des venezolanischen Volkes ein Ende zu setzen.“
Papst erwähnt Rohingya
Auch Asien spielte eine Rolle in der Weihnachtsbotschaft des Papstes. Er erwähnte die Naturkatastrophen in Südostasien, und das Leiden der Rohingya. Auf die Lage der Uiguren in der chinesischen Region Xinjiang ging er nicht explizit ein.
„Liebe Brüder und Schwestern, „ein Kind ist uns geboren“ (vgl. Jes 9,5). Er ist gekommen, um uns zu retten! Er verkündet uns, dass der Schmerz und das Böse nicht das letzte Wort sind. Sich mit der Gewalt und der Ungerechtigkeit abfinden, würde bedeuten, die Freude und die Hoffnung von Weihnachten zurückzuweisen.“
Er hoffe, dass viele Menschen an diesem Weihnachtsfest „die Familie als Wiege des Lebens und des Glaubens wiederentdecken“, sagte Franziskus noch. Dann erteilte er auf Latein den feierlichen Segen „für die Stadt und den Erdkreis“. Der Versuchung, doch noch mal eben aus dem Fenster Richtung Petersplatz zu schauen, widerstand er; Hymnen wurden nicht gespielt. Nach knappen zwanzig Minuten endete dieser ungewöhnliche Weihnachtssegen mit einem spontanen Applaus der Teilnehmer.
(vatican news)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.