Im Wortlaut: Die Papstpredigt zum Neujahrstag
In den Lesungen der Liturgie vom heutigen Tag stechen drei Verben hervor, die besonders charakteristisch sind für die Mutter Gottes: segnen, geboren werden und finden.
Segnen. Im Buch Numeri verlangt der Herr, dass die Priester sein Volk segnen: »So sollt ihr die Israeliten segnen; sprecht zu ihnen: Der Herr segne dich« (6,23-24). Das ist keine fromme Ermahnung, sondern eine präzise Aufforderung. Und es ist wichtig, dass auch heute die Priester unermüdlich das Volk Gottes segnen; und dass auch die übrigen Gläubigen Segen bringen, dass sie segnen. Der Herr weiß, dass wir des Segens bedürfen. Das erste, was er nach der Schöpfung tat, war, dass er von allem sagte, es sei gut, uns Menschen bezeichnete er sogar als sehr gut. Aber jetzt, mit dem Sohn Gottes, empfangen wir nicht nur Segensworte, sondern den Segen schlechthin: Jesus ist der Segen des Vaters. In ihm segnet uns der Vater, sagt der heilige Paulus, »mit allem Segen« (Eph 1,3). Jedes Mal, wenn wir unser Herz für Jesus öffnen, tritt Gottes Segen in unser Leben.
Heute feiern wir den Sohn Gottes, den Gesegneten schlechthin, der durch seine Mutter, die aus Gottes Gnade Gesegnete, zu uns kommt. Maria bringt uns also den Segen Gottes. Wo immer sie ist, da kommt auch Jesus. Es muss uns daher ein Bedürfnis sein, sie willkommen zu heißen, wie die heilige Elisabeth, die sie in ihr Haus einließ und sofort den Segen erkannte, der auf ihr ruhte, und sagte: »Gesegnet bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes« (Lk 1,42). Diese Worte wiederholen wir jedes Mal im Ave Maria. Wenn wir Maria Raum geben, werden wir gesegnet, aber wir lernen auch zu segnen. Die Gottesmutter lehrt in der Tat, dass man Segen empfängt, um ihn weiterzugeben. Sie, die Gesegnete, war ein Segen für alle, denen sie begegnete: für Elisabeth, für das Hochzeitspaar in Kana, für die Apostel im Abendmahlssaal ... Auch wir sind berufen, zu segnen, im Namen Gottes Gutes zu sagen. Die Welt ist stark verschmutzt von dem vielen Schlechten, das man über andere, über die Gesellschaft, über sich selbst sagt und denkt. Aber Verleumdung verdirbt, sie lässt alles verkommen, während der Segen regeneriert und Kraft gibt für einen Neubeginn. Bitten wir die Mutter Gottes um die Gnade, dass wir anderen voll Freude den Segen Gottes bringen dürfen, so wie sie ihn uns gebracht hat.
Geboren werden ist das zweite Verb. Der heilige Paulus betont, dass der Sohn Gottes von einer Frau geboren wurde (vgl. Gal 4,4). Mit diesen wenigen Worten sagt er uns etwas Wunderbares, nämlich, dass der Herr so geboren wurde wie wir. Er erschien nicht als Erwachsener, sondern als Kind; er kam nicht von allein auf die Welt, sondern wurde von einer Frau zur Welt gebracht, nach neun Monaten im Schoß seiner Mutter, von der er seine menschliche Natur annahm. In Maria begann das Herz des Herrn zu schlagen; von ihr bezog der Gott des Lebens seinen Sauerstoff. Seitdem verbindet uns Maria mit Gott, denn in ihr hat Gott sich an unser Fleisch gebunden und hat es nie mehr verlassen. Maria – so pflegte der heilige Franziskus gern zu sagen – hat »uns den Herrn der Herrlichkeit zum Bruder gegeben« (Hl. Bonaventura, Legenda major, 9,3). Sie ist nicht nur die Brücke zwischen uns und Gott, sie ist mehr: Sie ist der Weg, den Gott gegangen ist, um uns zu erreichen, und der Weg, den wir gehen müssen, um ihn zu erreichen. Durch Maria begegnen wir Gott so, wie er es will: in Zärtlichkeit, in Vertrautheit, im Fleisch. Ja, denn Jesus ist keine abstrakte Idee, er ist konkret, er ist Fleisch geworden, er wurde von einer Frau geboren und ist in aller Geduld herangewachsen. Frauen kennen diese geduldige Konkretheit. Wir Männer sind oft abstrakt und wollen sofort etwas; Frauen sind konkret und wissen, wie man geduldig die Fäden des Lebens spinnt. Wie viele Frauen, wie viele Mütter bringen auf diese Weise Leben zur Welt und verhelfen ihm zu einer Neugeburt und geben so der Welt eine Zukunft!
Wir sind nicht auf der Welt, um zu sterben, sondern um Leben hervorzubringen. Die heilige Gottesmutter lehrt uns, dass der erste Schritt, um dem, was uns umgibt, Leben zu geben, darin besteht, es innig zu lieben. Sie bewahrte, wie das Evangelium heute sagt, alle diese Worte […] in ihrem Herzen (vgl. Lk 2,19). Das Gute kommt aus dem Herzen. Wie wichtig ist es, das Herz rein zu halten, das innere Leben, das Gebet zu bewahren! Wie wichtig es ist, das Herz zur Fürsorge, zur Wertschätzung von Menschen und Dingen zu erziehen. Damit beginnt alles: mit der Sorge für andere, für die Welt, für die Schöpfung. Es ist sinnlos, viele Menschen und viele Dinge zu kennen, wenn wir uns nicht um sie kümmern. In diesem Jahr, in dem wir auf einen Neubeginn und neue Behandlungsmöglichkeiten hoffen, sollten wir die Sorge füreinander nicht vernachlässigen. Denn über den Impfstoff für den Körper hinaus brauchen wir auch einen Impfstoff für das Herz: die Sorge füreinander. Es wird ein gutes Jahr werden, wenn wir für andere sorgen, so wie es die Gottesmutter mit uns tut.
Der Herr muss jeden Tag gefunden werden
Finden ist das dritte Verb. Die Hirten »fanden Maria und Josef und das Kind« (V. 16), berichtet uns das Evangelium. Sie fanden keine wundersamen und spektakulären Zeichen, sondern eine einfache Familie. Dort aber fanden sie wirklich Gott, dessen Größe im Kleinsein und dessen Stärke in der Zärtlichkeit offenbar wird. Aber wie stellten es die Hirten an, dass sie dieses so unscheinbare Zeichen fanden? Sie wurden von einem Engel gerufen. Auch wir hätten Gott nicht gefunden, wenn wir nicht aus Gnade gerufen worden wären. Wir hätten uns einen solchen Gott, der von einer Frau geboren wird und die Geschichte mit seiner Zärtlichkeit revolutioniert, nicht vorstellen können, aber mithilfe seiner Gnade haben wir ihn gefunden. Und wir haben entdeckt, dass seine Vergebung einen Neubeginn bringt, dass sein Trost Hoffnung entzündet und dass seine Gegenwart unbändige Freude schenkt. Wir haben ihn gefunden, aber wir dürfen ihn nicht aus den Augen verlieren. Den Herrn findet man in der Tat nicht ein für alle Mal. Er muss jeden Tag gefunden werden. Deshalb beschreibt das Evangelium die Hirten als Menschen, die immer auf der Suche, immer in Bewegung waren: Sie eilten hin und fanden ihn, sie berichteten und kehrten zurück, sie rühmten und priesen Gott (vgl. V. 16-17, 20). Sie waren nicht passiv, denn um Gnade zu empfangen, muss man aktiv bleiben.
Und wir? Wozu sind wir gerufen, was sollen wir zu Beginn dieses Jahres finden? Es wäre schön, Zeit für jemanden zu finden. Zeit ist der Reichtum, den wir alle haben, den wir aber eifersüchtig hüten, weil wir ihn nur für uns selbst nutzen wollen. Bitten wir um die Gnade, Zeit für Gott und für unsere Mitmenschen zu finden – für die Einsamen, für die Leidenden, für die, die jemanden brauchen, der ihnen zuhört und sich um sie kümmert. Wenn wir eine Möglichkeit finden, anderen unsere Zeit zu schenken, werden wir erstaunt und glücklich sein, wie die Hirten. Die Muttergottes, die Gott in die Zeit eintreten ließ, helfe uns, Zeit zu schenken. Heilige Mutter Gottes, dir weihen wir das neue Jahr. Du weißt alles in deinem Herzen zu bewahren, so nimm dich unser an. Segne unsere Zeit und lehre uns, Zeit für Gott und unsere Mitmenschen zu finden. In Freude und Zuversicht jubeln wir dir zu: Heilige Mutter Gottes! Heilige Mutter Gottes! Heilige Mutter Gottes!
(vaticannews - skr)
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