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Papst Franziskus, der IS und die drei Engel von Karakosch

„Willkommen in Frieden, wahrer Hirte“, sangen Hunderte von Menschen auf Aramäisch, der Sprache Jesu, als Papst Franziskus am Sonntag die größte Kirche des Irak besuchte.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Auch auf den mit Fahnen geschmückten Straßen winkte eine ausgelassene Menschenmenge dem Papst zu, der mit einem gepanzerten Fahrzeug durch Karakosch fuhr.

Doch idyllisch oder normal war nichts an dieser Visite des Papstes in der größten christlichen Stadt des Irak. Schließlich wurde Karakosch noch vor ein paar Jahren vom „Islamischen Staat“ (IS) beherrscht, von 2014 bis 2016. Auch in der Vierziger-Jahre-Kathedrale, die auf Arabisch Tahira al-Kubra genannt wird, wüteten die Dschihadisten: Sie köpften die Statuen, verbrannten das Inventar und nutzten die Lourdesgrotte im Hof für Schießübungen.

„Wie viel ist zerstört worden!“

„Wie viel ist zerstört worden! Und was muss alles wiederhergestellt werden!“, sagte der Papst. Auch anderen in der trotz Corona ziemlich dicht besetzten Kirche war nach Klagen zumute. So erzählte Doha Sabah Abdallah, ganz in Schwarz gekleidet, von dem Augusttag 2014, als der IS auf einmal vor den Toren von Karakosch stand.

„Ich hörte die Detonation eines Sprengsatzes und lief aus dem Haus. Die Kinder waren vor Schreck verstummt, man hörte nur noch das Geschrei der Erwachsenen... Man sagte mir, dass mein Sohn und sein Vetter tot waren – und dass auch unsere junge Nachbarin, die sich gerade auf ihre Hochzeit vorbereitete, nicht mehr lebte.“

„Ich hörte die Detonation eines Sprengsatzes und lief aus dem Haus“

Immerhin konnte sie diesem tragischen Moment rückblickend noch etwas Gutes abgewinnen. „Das Martyrium dieser drei Engel war eine klare Warnung – sonst wären die Menschen in Karakosch geblieben und unweigerlich in die Hände des IS gefallen. Der Tod dieser drei Märtyrer hat die ganze Stadt gerettet!“

Gemeint war damit die christliche Bevölkerung der Stadt: 90 Prozent der damals 50.000 Einwohner waren Christen. Die meisten von ihnen suchten ihr Heil in der Flucht, in der Regel ins weiter nördlich gelegene Kurdengebiet. Eine „schwere, harte Prüfung“ war das, berichtete der Priester Ammar Yako, Generalvikar des Erzbistums Mossul, bei der Begegnung mit dem Papst.

„Wir lebten auf den Straßen, Plätzen und öffentlichen Parks“

„Wir lebten auf den Straßen, Plätzen und öffentlichen Parks, ohne Unterkunft und Nahrung... Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, all das zu beschreiben, was wir in den drei Jahren als Vertriebene erlebt haben.“ Auch die Rückkehr in die Heimat, nach der militärischen Niederlage der IS-Terroristen, sei kein Zuckerschlecken gewesen. „Alles lag in Schutt und Asche: Kirchen, Tausende von Häusern verbrannt und geplündert, alle lebenswichtigen Dienste zerstört.“

Immerhin – fast die Hälfte derer, die vor der Schreckensherrschaft des „Islamischen Staats“ in Karakosch lebten, sind mittlerweile zurückgekehrt. Etwas zögernder verläuft die Rückkehr christlicher Flüchtlinge und Vertriebener in die umliegende, agrarisch geprägte Ninive-Ebene. Viele christliche Familien können den Hass nicht vergessen, der ihnen vor sechs Jahren auf einmal auch von muslimischen Nachbarn entgegenschlug.

Blumige Worte des Patriarchen

„Wir sind stolz darauf, dass die hier anwesenden Gläubigen, ihre vertriebenen und in der Ferne lebenden Familienangehörigen, trotz der Schrecken der Verfolgung ihrer unerschütterlichen Liebe zum Evangelium des Friedens und der Gerechtigkeit treu geblieben und dem Beispiel ihrer heldenhaften Vorfahren gefolgt sind.“ So orientalisch-blumig drückte es der syrisch-katholische Patriarch Ignace Youssef III. Younan, der eigentlich im Libanon residiert, bei Franziskus‘ Besuch in der Tahira al-Kubra in Karakosch aus.

Zum Nachhören: Papst Franziskus besucht in Karakosch die größte christliche Kirche des Irak - und trifft Opfer der IS-Terroristen

Younan lobte den Wiederaufbau und die Hilfe von Werken wie „Kirche in Not“ in den höchsten Tönen. Er wies den Papst auch darauf hin, dass in der – weitgehend restaurierten und wieder hergerichteten – Kathedrale „einige unserer Nachbarn“ mit dabei seien, etwa arabische Muslime, Kurden, Turkmenen und Jesiden. „Eine multireligiöse und multiethnische Gemeinschaft, die in der Vergangenheit versucht hat, in Frieden miteinander zu leben.“

„Wir, die Lebenden, versuchen, dem Angreifer zu vergeben“

Die Frage ist nur, ob sich das IS-Trauma überwinden lässt, ob also das friedliche Zusammenleben in Zukunft wieder möglich sein wird. „Wir, die Lebenden, versuchen, dem Angreifer zu vergeben, weil auch unser Herr Jesus seinen Henkern vergeben hat“, sagte Frau Sabah Abdallah.

„Ihr seid nicht allein!“

Der Papst versuchte in seiner Ansprache, den Menschen von Karakosch Mut zu machen. „Unser Treffen hier zeigt, dass der Terrorismus und der Tod niemals das letzte Wort haben. Das letzte Wort hat Gott und sein Sohn, der Sieger über Sünde und Tod… Jetzt ist die Zeit, aufzubauen und wieder neu zu beginnen und sich der göttlichen Gnade anzuvertrauen, die das Schicksal jedes Menschen und aller Völker leitet. Ihr seid nicht allein…“

Doch nicht nur Gebäude, sondern auch Beziehungen und Vertrauen müssten jetzt wiederhergestellt werden. „Sicher gibt es Momente, in denen der Glaube ins Wanken geraten mag, wenn es scheint, als würde Gott nicht hinsehen und nicht handeln. Diese Erfahrung habt ihr in den dunkelsten Tagen des Krieges gemacht… In diesen Momenten denkt daran, dass Jesus an eurer Seite ist. Hört nicht auf zu träumen! Gebt nicht auf, lasst die Hoffnung nicht sinken!“

„Vergebung – das ist ein Schlüsselwort“

Es habe ihn bewegt, dass Frau Sabah Abdallah von Vergebung für die Mörder gesprochen habe. „Vergebung – das ist ein Schlüsselwort. Vergebung ist nötig, um in der Liebe zu bleiben, um Christ zu bleiben. Der Weg zu einer vollständigen Heilung könnte noch lang sein, aber bitte lasst euch nicht entmutigen. Es braucht die Fähigkeit zu vergeben und zugleich den Mut zu kämpfen. Ich weiß, dass das sehr schwer ist. Doch wir glauben daran, dass Gott den Frieden auf diese Erde bringen kann.“

Vom Hubschrauber aus habe er die riesige Marienstatue auf dem wiederaufgebauten Turm der Kirche gesehen, verriet Franziskus noch: „Beschädigt und zertrampelt“ hätten die Terroristen das Bild Mariens, und dennoch schaue sie „weiterhin mit Zärtlichkeit“ auf die Menschen der Stadt.

So machen es die Mütter…

„So machen es die Mütter: sie trösten, sie richten auf, sie schenken Leben. Und ich möchte allen Müttern und allen Frauen dieses Landes von Herzen Danke sagen – mutige Frauen, die weiterhin Leben schenken trotz der Misshandlungen und Verletzungen. Mögen die Frauen respektiert und geschützt werden! Möge ihnen Aufmerksamkeit zukommen und Chancen eröffnet werden!“

Den Katholiken von Karakosch schenkte der Papst ein Marienbild: die silberne Kopie einer Ikone der Gottesmutter mit Kind. Außerdem überreichte er dem syrisch-katholischen Erzbischof von Mossul, Yohanna Butros Mouché Sidra, ein wertvolles liturgisches Manuskript aus dem 14. und 15. Jahrhundert, das aramäische Gebete für die Osterzeit aufführt. Das Manuskript stammt aus Karakosch; es hat die IS-Schreckensherrschaft in einem Mauerversteck unter einer Treppe in der Stadt überlebt und ist jetzt in Italien restauriert worden.

Auch ins Goldene Buch der Kathedrale trug sich Franziskus ein: „Aus dieser zerstörten und wiederaufgebauten Kirche, Symbol der Hoffnung für Karakosch und für den ganzen Irak, erflehe ich von Gott, durch die Fürsprache der Jungfrau Maria, das Geschenk des Friedens.“

(vatican news)

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07. März 2021, 11:17