Papst im Irak: Offener Brief von Nadia Murad zum Schutz religiöser Minderheiten
Mehrfach hatte der Papst bereits während seines Besuches die Situation der Minderheiten angesprochen und auf die Herausforderungen verwiesen, mit denen sie zu kämpfen haben. Gegenseitiger Respekt und die Achtung der Grundfreiheiten eines jeden nannte Franziskus als unabdingbar für ein friedliches und harmonisches Zusammenleben, zuletzt in seiner Ansprache in Ur, wo er seinem Wunsch Ausdruck verlieh, dass die „Grundfreiheiten überall geachtet und anerkannt“ werden sollten.
Jesiden besonders bedroht
Eine religiöse Minderheit, die der Papst während seiner Irakvisite besonders im Herzen trägt, ist die der Jesiden, die insbesondere unter dem Schreckensregime des Islamischen Staates von völliger Vernichtung bedroht waren. Eine Vertreterin dieser Minderheit und Friedensnobelpreisträgerin 2018, Nadia Murad, war mehrere Monate in der Hand der IS-Schergen, wurde dort versklavt und Opfer schwerer Gewalttaten. Seit ihrer Flucht setzt sie sich für die Rechte der religiösen Minderheit und gegen den modernen Menschenhandel ein. Mit mehreren internationalen Nichtregierungsorganisationen, religiösen Gruppen und Vertretern der irakischen Zivilgesellschaft hat sie sich nun in einem offenen Brief an Papst Franziskus gewandt.
„Die Jesiden“, so heißt es in dem Text, „werden die dauerhaften Auswirkungen des Völkermordes spüren, bis den Minderheiten im Irak voller Schutz und Rechte gewährt werden.“ In diesem „kritischen Moment in der Geschichte des Landes“ stelle der Besuch des Papstes eine „wichtige Gelegenheit dar, Frieden und Toleranz zu fördern, indem ethnisch-religiöse Gemeinschaften zusammengebracht und kollektives Handeln inspiriert wird, um weitere Gräueltaten dieser Art zu verhindern, die seit Generationen so viel Leid verursacht haben.“
Genozid und systematische Ausgrenzung
In dem Brief wird der Reichtum ethnisch-religiöser Gemeinschaften beschrieben, doch auch angeprangert, dass nach vielen Jahrhunderten friedlicher Koexistenz nun religiös motivierte Verfolgungen und gewalttätige Angriffe die Minderheitengruppen treffen. Die Verfasser scheuen sich nicht, von „Völkermord“, „Missbrauch der Scharia“, und „institutionalisierter Ausgrenzung“ zu sprechen, die zur Flucht hunderttausender Menschen und zur Auflösung des sozialen Gefüges in der einstigen „Wiege der Zivilisation“.
Und es ist nicht vorbei, denn, so prangert der Brief an, „die Bedrohung durch zukünftige Gräueltaten von Da'esh (wie der IS in der Region genannt wird, Anm.) bleibt trotz der territorialen Niederlage der Terrorgruppe klar und präsent.“ Hassreden durch extremistische Religionsführer im gesamten Irak, und tief sitzende Intoleranz überdauere aufgrund einer mangelhaften religiösen Bildung, klagen die Verfasser des Briefes an. Die unzureichende Grundversorgung und Infrastruktur, gemeinsam mit der anhaltenden Bedrohung der Sicherheit, „lässt die Gemeinden mit einem Gefühl der Verzweiflung zurück“.
Es braucht Aufarbeitung
Es seien zwar viele Anstrengungen unternommen worden, heißt es in dem Brief weiter, aber „ohne Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht für vergangene Gräueltaten werden religiöse Gemeinschaften weiterhin mit Verfolgung und der Bedrohung durch wiederholte Gewalt konfrontiert sein“.
„Der Besuch Seiner Heiligkeit Papst Franziskus im Irak“, heißt es weiter, „ist eine ideale Gelegenheit, die Zusammenarbeit und die Einigkeit der Ziele zu fördern, um die Bedürfnisse der betroffenen Gemeinschaften umfassend zu erfüllen.“
In einer Liste zählen die Verfasser anschließend ihre Forderungen an die irakische Regierung, die Regierung der kurdischen Region, die internationale Gemeinschaft und religiöse Führer auf. Darin geht es um die Einleitung konkreter Schritte für die Entschädigung der Überlebenden, den Schutz durch Rechtsmittel, den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete in Sinjar, Tel Afar und der Ninive-Ebene, wozu die Wiederherstellung der Grundversorgung und der Möglichkeiten, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, gehört. Weiters fordern die Verfasser therapeutische Unterstützung für Überlebende, insbesondere für Frauen und Kinder, um ihre soziale Wiedereingliederung zu erleichtern, Gesetzesänderungen und die Förderung von religiöser Bildung, die über Minderheitengemeinschaften informieren kann. Abschließend wird auf die Vereinten Nationen verwiesen, um die Ausweitung der Zustimmung zur Interreligiösen Erklärung auf andere Religionsgemeinschaften zu erleichtern.
(vatican news - cs)
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