Papst Franziskus: „Ohne Geburten gibt es keine Zukunft“
Das Forum der Familienvereinigungen in Italien hat das Treffen im Auditorium della Conciliazione, nur wenige Schritte vom Vatikan entfernt, einberufen. Neben Premierminister Draghi nahm auch Papst Franziskus teil. Schließlich geht es bei den Arbeiten um ein Thema, das Franziskus erklärtermaßen am Herzen liegt. Und so dankte der Papst den Anwesenden in seiner Eröffnungsansprache für ihren Einsatz für eine Familienpolitik, die junge Leute dazu ermuntern könne, eine Familie zu gründen.
Junge Menschen stünden heute vor der „Unsicherheit des Arbeitsplatzes“ und den „immer weniger leistbaren Kosten“, die für das Aufziehen der Kinder aufzuwenden sind. Der Papst sprach in seiner Einlassung von seiner „Traurigkeit“ darüber, dass Frauen „am Arbeitsplatz entmutigt werden, Kinder zu bekommen oder ihren Bauch verstecken müssen.“ All dies sei „Treibsand, der eine Gesellschaft versinken lassen kann“, und der dazu beitrage, den „demographischen Winter“ in Italien nur noch „kälter und dunkler“ zu machen, gab Franziskus vor den Teilnehmern des Treffens zu bedenken. Diese vertreten zahlreiche Gesellschaftsbereiche, darunter Banken, Firmen, Versicherungen, Medienbetriebe, Sportvereinigungen und andere.
Paare bekommen weniger Kinder, als sie eigentlich wollen
Mit Blick auf den jüngsten dramatischen Rückgang der Geburtenrate in Italien, die bereits in den Vorjahren stetig sank, betonte Franziskus, dass es diese Tendenz umzukehren gelte, „um Italien vom Leben ausgehend wieder in Gang zu bringen, ausgehend vom menschlichen Wesen.“ Ein besonderes Augenmerk legte Franziskus dabei auf die jungen Paare, die mittlerweile derart desillusioniert seien, dass – Statistik bei der Hand – nur die Hälfte darauf vertraue, „dass sie im Lauf ihres Lebens zwei Kinder bekommen können.“
Umfragen zufolge wollen die italienischen Paare durchschnittlich zwei Kinder. Doch die Realität sieht anders aus, mit einem Durchschnitt unter 1,5: „Italien verzeichnet so seit Jahren die niedrigste Geburtenrate in Europa“, betonte Franziskus - „in dem, was der ,alte‘ Kontinent wird, nicht mehr wegen seiner ruhmreichen Geschichte, sondern wegen seines hohen Altersdurchschnitts. Jedes Jahr ist es, als würde eine Stadt von 200.000 Einwohnern verschwinden, und das Jahr 2020 hat die niedrigste Geburtenrate seit der nationalen Einheit verzeichnet: nicht nur wegen Covid, sondern auch wegen einer ständigen und fortschreitenden Abnahme der Geburten, einem immer strengeren Winter.“
Die Gedanken des Papstes gingen auch zu den Schwierigkeiten, die in Italien (und anderen Ländern) Eltern und Großeltern während der Lockdown-Phasen in den vergangenen Monaten ausgesetzt waren. Ihnen seien Überstunden abverlangt worden, die Wohnung musste als Arbeitsstelle und Schule herhalten, „und die Eltern mussten als Lehrer, Informatiker, Handwerker und Psychologen“ tätig werden. In dieser Situation seien auch die Großeltern wahre „Rettungsboote für die Familien“ gewesen, abgesehen von ihrer „Erinnerung, die uns für die Zukunft öffnet“: „Damit die Zukunft gut wird, gilt es also, sich um die Familien zu kümmern, vor allem um die jungen, die von Sorgen bestürmt werden, die riskieren, ihre Lebensprojekte auf Eis zu legen.“
Lob für die Einrichtung eines Familienbonus
Und hier spricht der Papst eine Realität an, die besonders perfide ist: Frauen, die fürchten, wegen ihrer Schwangerschaft den Arbeitsplatz zu verlieren und deshalb versuchen, eine nahende Geburt so lange wie möglich geheim zu halten und ihren wachsenden Bauch zu verbergen:
„Wie ist es möglich, dass eine Frau sich für das schönste Geschenk schämen muss, das das Leben anbieten kann? Nicht die Frau, sondern die Gesellschaft muss sich schämen, denn eine Gesellschaft, die das Leben nicht annimmt, hört auf zu leben. Kinder sind die Hoffnung, die ein Volk wieder aufleben lässt!“
Die italienische Realität im Blick drückte der Papst dann seine Zufriedenheit darüber aus, dass die italienische Regierung die Zahlung einer einmaligen Geldsumme für die Geburt eines Kindes auf den Weg gebracht hat. Bislang war eine solche Zahlung nicht vorgesehen, doch sie wurde innerhalb eines größeren Paketes für die Förderung von Familien jüngst auf den Weg gebracht. Der Papst verlieh in diesem Zusammenhang seiner Hoffnung Ausdruck, dass diese Zahlung „den konkreten Bedürfnissen der Familien entgegenkommt, die viele Opfer gebracht haben und noch bringen, und dass sie den Startschuss für soziale Reformen darstellt, die die Kinder und die Familien ins Zentrum stellen: „Wenn die Familien nicht im Zentrum der Gegenwart stehen, dann gibt es keine Zukunft; aber wenn die Familien wieder in Bewegung kommen, dann kommt alles in Bewegung.“
Geschenk, Nachhaltigkeit, Solidarität
Dem Papst ist klar, dass es sich um keine leichte Aufgabenstellung handelt, doch er blickt trotz allem optimistisch in die Zukunft. Er bot in seinen Ausführungen drei Gedanken an, die dabei unterstützend wirken könnten. Zuallererst die „Gabe“: „Jede Gabe erhält man, und das Leben ist das erste Geschenk, das jeder empfangen hat. Wir sind gerufen, es weiterzugeben. Und ein Kind ist die größte Gnade für alle und kommt vor allem anderen.“
Das Fehlen von Kindern verursache im Gegenzug eine Überalterung der Gesellschaft, was „implizit“ bedeute, dass „alles mit uns endet, dass nur unsere individuellen Interessen zählen“, so Franziskus. Vor allem in wohlhabenderen Gesellschaften sei oft festzustellen, dass „das Primat des Geschenkes“ nicht mehr als solches wahrgenommen werde und dass „mehr Indifferenz und weniger Solidarität, mehr Abgrenzungen und weniger Großzügigkeit“ herrschten, stellte der Papst fest, der als zweiten Gedenken seiner langen Ansprache die „Nachhaltigkeit“ anführte. Diese sei nicht nur „wirtschaftlich, technologisch und auf die Umwelt bezogen“ zu denken, sondern auch als eine „generationenbezogene Nachhaltigkeit“, betonte Franziskus.
„Wir werden nicht in der Lage sein, die Produktion lebendig zu halten und die Umwelt zu bewahren, wenn wir nicht auf die Familien und die Kinder achten. Darum geht es beim nachhaltigen Wachstum“, so der Papst mit Blick auf Nachkriegsphasen, die stets mit einem explosionsartigen Anstieg der Geburtenraten einhergingen. Und auch heute, in der durch Corona notwendig gewordenen Wiederaufbauphase, dürfe man keine „kurzsichtigen Wachstumsmodelle“ verfolgen, „als ob für eine Vorbereitung des Morgen nur ein flüchtiges Justieren ausreiche. Nein, die dramatischen Zahlen der Geburten und die Schrecken der Pandemie erfordern Wandel und Verantwortung.“
In Verantwortung sieht der Papst auch die Schule, die nicht nur dafür da sein sollte, auswendig gelerntes Wissen einzutrichtern, sondern als „privilegierte Zeit für Begegnung und menschliches Wachstum“ verstanden werden sollte. Dabei zählten lange nicht nur die Noten, gab Franziskus zu bedenken:
„Es ist traurig, Modelle zu sehen, für die es nur wichtig ist, in Erscheinung zu treten, um schön, jung und in Form zu sein. Die jungen Leute wachsen nicht dank der Feuerwerke der Fassaden, sondern sie reifen, wenn sie von jemandem angezogen werden, der den Mut hat, große Träume zu verfolgen, sich für die anderen aufzuopfern, der Welt Gutes zu tun, in der wir leben. Und jung zu bleiben kommt nicht davon, Selfies oder Retuschen zu machen, sondern davon, sich eines Tages in den Augen seiner Kinder spiegeln zu können.“ Manchmal, so klagte der Papst, werde jedoch die scheinbare Wahrheit akzeptiert, dass eine Selbstverwirklichung Erfolg und Wohlstand bedeute, während die Kinder nur als Beiwerk gelten, das die eigenen persönlichen Ansprüche nicht behindern sollte. Diese Mentalität bezeichnete Franziskus als „Krebsgeschwür für die Gesellschaft“, das die Nachhaltigkeit der Zukunft unterminiere.
Strukturelle Solidarität
Der dritte und letzte Gedankengang des Papstes galt dem Thema Solidarität. Diese müsse „strukturell“ sein, also nicht an eine Notsituation gebunden, sondern im normalen Leben der Familien integriert sein und somit auch eine Unterstützung für die Familienplanung bilden. Dazu brauche es jedoch eine weitsichtige Familienpolitik, die über kurzfristige Umfragewerte hinausgehe, betonte Franziskus. „Darin liegt der Unterschied zwischen einer guten Verwaltung des Allgemeingutes und darin, ein guter Politiker zu sein.“ Den jungen Menschen müssten dringend Garantien für eine ausreichend stabile Anstellung und für ihre Wohnsituation gegeben werden, damit sie nicht dazu getrieben würden, das Land zu verlassen, betonte Franziskus.
Dabei müsse auch die Wirtschaft einbezogen werden, so der Papst, der seinem Wunsch Ausdruck verlieh, dass auch Unternehmer und Firmen sich zunehmend dieser Sichtweise anschließen mögen. Achtsamkeit für die Mitarbeiter, die nicht unter untragbaren Bedingungen und Arbeitsdauern leiden sollten, aber auch die Idee, einen Teil des Ertrags an die Arbeiterschaft weiterzugeben, um deren Familien eine gute Entwicklung zu ermöglichen, sind nur einige der Denkanstöße, die das Kirchenoberhaupt dazu mit seinem hochkaratigen Publikum teilte: „Das ist eine Herausforderung nicht nur für Italien, sondern für viele Länder, die oft reich an Ressourcen sind, aber arm an Hoffnung.“
Abschließend dankte der Papst den Teilnehmern der Konferenz nochmals für ihren Einsatz, allen Hindernissen zum Trotz: „Manchmal wird es euch scheinen, als würdet ihr in der Wüste rufen oder gegen Windmühlen kämpfen. Aber geht vorwärts, gebt nicht auf, denn es ist schön, das Gute zu träumen und die Zukunft aufzubauen. Und ohne Geburten gibt es keine Zukunft.“
(vatican news - cs)
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