Papst nach Darm-OP: „Es kam mir nie in den Sinn, zurückzutreten"
Franziskus belächelte in dem offenen Gespräch, bei dem er auch persönliche Fragen des spanischen Journalisten Carlos Herrera ungezwungen beantwortete, die Gerüchte, mit denen in zahlreichen Medien weltweit – vor allem aber in seiner Heimat Argentinien und in Italien - der unmittelbar bevorstehende Rücktritt des Papstes kolportiert wurde. „Es ist mir nie in den Sinn gekommen zurückzutreten“, erteilte der Papst entsprechenden Berichten lakonisch eine Absage.
Im kommenden März feiert das Kirchenoberhaupt bereits den Eintritt in das zehnte Pontifikatsjahr, alles andere als ein „kurzes Pontifikat“, wie er selbst es nach seiner Wahl prognostiziert hatte. Er verstehe selbst nicht, wie man auf die Idee kommen konnte, er wolle zurücktreten, beteuerte er. Und mit einem Hauch von Ironie erklärte er auch, dass er von solchen Nachrichten erst viel später erfahre, weil er nur eine einzige italienische Zeitung überfliege und auch nicht fernsehe: „Ich habe erst viel später erfahren, dass es etwas über meinen Rücktritt gab. Jedes Mal, wenn ein Papst krank ist, entsteht ein Hauch, oder ein Orkan, im Konklave“.
Freimütig Rede und Antwort stand Franziskus in dem ersten Interview nach seiner Darmoperation auch bei Fragen zu seinem Eingriff und seiner Genesung. „Ich bin noch am Leben“, so der Papst mit einem Lächeln. Und erzählte, dass ein Krankenpfleger des Gesundheitsdienstes des Heiligen Stuhls, „ein Mann mit mehr als 30 Jahren Erfahrung“, ihm „das Leben gerettet“ habe, indem er darauf beharrt habe, dass der Papst sich einer Operation unterziehen sollte – trotz des gegenteiligen Ratschlags anderer mit seiner Behandlung betrauten Personen, die stattdessen eine Behandlung „mit Antibiotika“ vorschlugen. Nach der Operation habe er nun „33 Zentimeter weniger Darm“, verriet der Genesende. Das hindere ihn jedoch nicht daran, ein „ganz normales“ Leben zu führen. Er könne nun wieder „alles essen“ und seinen vollen Terminkalender einhalten, einschließlich der Reise nach Ungarn und in die Slowakei vom 12. bis 15. September.
Afganistan: Eine schwierige Situation
Ein Teil des eineinhalb Stunden langen Interviews drehte sich um die Krise in Afghanistan und den Wunsch des Papstes, dass Christen mit Gebet und Fasten dieser Krise entgegensteuern könnten. „Eine schwierige Situation“, gestand der Papst ein, der auf die Frage des Journalisten Carlos Herrera zwar keine Details zu diplomatischen Bemühungen des Heiligen Stuhls nannte, um Repressalien der neuen Machthaber gegen die Bevölkerung zu vermeiden, aber die auf Versöhnung und Kompromiss ausgerichtete Arbeit seines Kardinalstaatssekretärs Parolin und dessen Entourage ausdrücklich lobte. „Ich bin sicher, dass er hilft oder zumindest Hilfe anbietet“, so der Papst mit Blick auf Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, den er als „den besten Diplomaten, den ich je getroffen habe“, bezeichnete.
Den Abzug der USA aus Afghanistan nach 20 Jahren bezeichnete er als „legitim“, räumte allerdings ein: „Soweit ich sehen kann, wurden nicht alle Eventualitäten berücksichtigt... Ich weiß nicht, ob es eine Überprüfung geben wird oder nicht, aber es gab sicherlich viele Täuschungen, vielleicht von Seiten der neuen Autoritäten. Ich sage, Täuschung oder viel Naivität, ich verstehe es nicht.“
In diesem Zusammenhang nahm der Papst auch auf ein Treffen zwischen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Putin vom 20. August in Moskau Bezug. Dabei hieß es, dass „die unverantwortliche Politik der Einmischung von außen und des Aufbaus der Demokratie in anderen Ländern“, wobei die Traditionen der Völker ignoriert würden, beendet werden müsse: „Prägnant und schlüssig. Ich denke, das sagt viel aus“, so Franziskus.
China: Dialog ist Weg vorwärts
Auch um den Dialog mit China ging es im weiteren Verlauf des Gespräches. Zwar sei „China nicht einfach“, aber er sei davon überzeugt, „dass wir den Dialog nicht aufgeben dürfen“, so der Papst. „Es können Fehler gemacht werden, aber das ist der Weg nach vorn. Was bisher in China erreicht wurde, ist zumindest der Dialog... einige konkrete Dinge wie die Ernennung neuer Bischöfe, langsam...“. Wie er selbst eingestand, sei für ihn in dieser Hinsicht Kardinal Agostino Casaroli, der unter dem Pontifikat von Johannes XXIII. damit beauftragt war, „Brücken zu Mitteleuropa“ und den kommunistischen Ländern zu bauen, Quelle der Inspiration. „Heute müssen wir in gewisser Weise Schritt für Schritt die Wege des Dialogs in den konfliktreichsten Situationen beschreiten“. Insbesondere die Erfahrungen mit dem Islam seien in diesem Sinne sehr positiv.
Die Herausforderungen des Pontifikats
Und der Dialog ist von Beginn an der Eckpfeiler der acht Jahre seines Pontifikats, auf die Papst Franziskus zurückblickt, beginnend mit seiner Wahl am 13. März 2013, die seiner Aussage nach völlig unerwartet kam („Ich bin mit einer Aktentasche gekommen“). Die Reform der römischen Kurie, die Transparenz der vatikanischen Finanzen und die Prävention von Missbrauchsfällen in der Kirche sind die drei Themen, an denen Jorge Mario Bergoglio seither intensiv arbeitet. In Bezug auf die Reform verriet der Papst, dass er diesen Sommer die neue Apostolische Konstitution „Praedicate Evangelium“ unterzeichnen wollte, die Veröffentlichung aber „wegen meiner Krankheit“ verschoben wurde. Das Dokument werde jedoch, so der Papst, „nichts Neues enthalten“, sondern nur „kleine Anpassungen“ wie die – bereits angekündigte - Zusammenlegung einiger Abteilungen.
Der Prozess im Vatikan
Doch auch die Bekämpfung der Korruption in den vatikanischen Finanzen bleibt ein wichtiges Thema. Mit Blick auf den Maxiprozess, der am 27. Juli im Vatikan wegen illegaler Aktivitäten mit Geldern des Staatssekretariats begonnen hat und bei dem unter den zehn Angeklagten auch der ehemalige Stellvertreter des Staatssekretariats, Kardinal Angelo Becciu, ist, bekräftigte Franziskus, dass er „keine Angst vor Transparenz oder vor der Wahrheit“ habe. In Bezug auf Becciu, dessen mit dem Kardinalsamt verbundene Privilegien er einkassierte, erklärte er: „Ich möchte von ganzem Herzen, dass er unschuldig ist. Er war ein Mitarbeiter von mir und hat mir sehr geholfen. Er ist ein Mensch, vor dem ich eine gewisse Achtung habe... Ich möchte, dass er gut davonkommt. Jetzt müssen die Gerichte entscheiden.“
Gegen Kinderpornographie vorgehen
Gerechtigkeit – und Recht - liegen dem Papst auch im Zusammenhang mit der Geißel der Pädophilie am Herzen. Die von Kardinal O'Malley geleitete Kinderschutzkommission leiste in diesem Zusammenhang wichtige Arbeit, so Franziskus. Und er nutzte das Gespräch zu einem eindringlichen Appell an die Staaten, gegen Kinderpornografie vorzugehen: „Manchmal frage ich mich, wie manche Regierungen die Produktion von Kinderpornografie zulassen können. Sie sollen nicht sagen, sie wüssten es nicht. Heute, mit den Geheimdiensten, wissen wir alles. Eine Regierung weiß, wer in ihrem Land pädophile Pornografie produziert. Für mich ist das eines der ungeheuerlichsten Dinge, die ich je gesehen habe“.
Euthanasie, ein Zeichen der „Wegwerfkultur“
Mit gleichem Nachdruck ging der Papst auch auf die Frage der Euthanasie ein, und zwar im Lichte der jüngsten Gesetze in Spanien. Die Legalisierung dieser Praxis sei ein Zeichen für die „Wegwerfkultur“, die die modernen Gesellschaften durchdringt: „Was nutzlos ist, wird weggeworfen“. Das gilt auch für die Abtreibung, die Franziskus einmal mehr stigmatisierte: „Ist es erlaubt, ein menschliches Leben zu vernichten, um ein Problem zu lösen? Ist es richtig, einen Auftragskiller zu engagieren, um ein Problem zu lösen?“
Franziskus verlieh auch seiner Hoffnung Ausdruck, bei der UN-Klimakonferenz (COP26), die vom 1. bis 12. November in Glasgow stattfindet, dabei sein zu können: „Es ist geplant, dass ich dorthin gehe. Das hängt davon ab, wie ich mich in dem Moment fühle. Aber meine Rede ist bereits in Vorbereitung“.
Das Motu proprio ,Traditionis Custodes'
Das ausführliche Gespräch wandte sich anschließend auch dem Motu Proprio ,Traditionis Custodes' zu, das die Messen in lateinischer Sprache regelt und in diesem Sommer in den konservativeren kirchlichen Kreisen für einige Kontroversen sorgte. „Die Besorgnis“, wiederholte der Papst mit Verweis auf die früheren Maßnahmen Benedikts XVI., „bestand darin, dass etwas, das getan wird, um denjenigen seelsorgerisch zu helfen, die eine frühere Erfahrung gemacht haben, zu einer Ideologie werden könnte. Wir mussten also mit klaren Regeln reagieren.... Es handelt sich lediglich um eine konstruktive Umstrukturierung, bei der die Seelsorge im Vordergrund steht und Übertreibungen vermieden werden.“ Benedikt sei ein Mann von „exquisiter Menschlichkeit“, so Franziskus in diesem Zusammenhang über seinen Vorgänger im Papstamt.
Synodaler Weg: Im Brief steht alles
Mit Blick auf die deutsche Kirche streifte das Interview auch den Synodalen Weg, den Laien und Bischöfe derzeit gemeinsam beschreiten. In seinem Brief, den er persönlich innerhalb eines Monats von Beten und Nachdenken auf Spanisch verfasst habe, drücke er „alles aus, was ich über die deutsche Synode denke. Es ist alles da.“ Doch er würde auch nicht „zu tragisch werden wollen“, wiegelte Franziskus die Nachfrage des spanischen Journalisten ab: „Viele Bischöfe, mit denen ich gesprochen habe, sind nicht böswillig. Es ist ein pastoraler Wunsch, aber einer, der vielleicht einige Dinge nicht berücksichtigt, die ich in dem Brief erkläre, die berücksichtigt werden müssen.“
Die Empfehlungen an das Dikasterium für Kommunikation
In dem Gespräch mit COPE ging es auch um den Besuch im Dikasterium für Kommunikation am vergangenen 24. Mai, als der Papst aus Anlass des 160. Jubiläums des L’Osservatore Romano und der 90 Jahre von Radio Vatikan seine Mitarbeiter im Medienapparat getroffen hatte. „Ich habe zwei Dinge gesagt. Zunächst eine Frage: Wie viele Menschen lesen den L'Osservatore Romano? Ich habe nicht gesagt, ob er viel oder wenig gelesen wird. Eine Frage. Ich denke, diese Frage ist legitim, oder? Und die zweite Frage (habe ich gestellt, Einf. d. R.), als ich - nachdem ich die ganze neue Arbeitsaufteilung, das neue Organigramm, die Funktionalisierung gesehen hatte - von der Krankheit der Organigramme sprach, die einer Realität einen Wert gibt, der mehr funktional als real ist“. „Es scheint“, fügte der Papst hinzu, „dass jemand diese beiden Dinge, die ich gesagt habe, nicht verstanden hat, oder vielleicht hat es jemandem nicht gefallen, oder ich weiß nicht was, und hat es als Tadel interpretiert.“ Das Dikasterium sei vielmehr „sehr vielversprechend“. Es sei das einzige, das „über den größten Haushalt der Kurie“ verfüge, das von einem Laien geleitet werde und das „mit neuen Reformen durchstartet“.
Familie, Fußball, Nostalgie
Am Ende des Interviews kamen weitere internationale Themen wie die Unabhängigkeit Kataloniens und die Migrationspolitik zur Sprache, aber Franziskus gab auch einen persönlicheren Einblick in Themen wie die Beziehung zu seiner Familie, seine Unterstützung für den Fußballclub San Lorenzo und seine Sehnsucht nach den Tagen in Buenos Aires, als er „von einer Gemeinde zur anderen laufen konnte“ oder im nebligen argentinischen Herbst der Musik von Astor Piazzolla lauschte. „Ich würde gerne die Straße hinuntergehen, aber ich muss mich zurückhalten, weil ich keine zehn Meter weit gehen kann“.
(vatican news - cs)
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