Unser Dossier: Die Päpste und Assisi
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
„Mit Franziskus, dem Heiligen, der die milde Luft dieser hügeligen Landschaft geatmet und dieses Gebiet durchquert hat, schauen wir auf das Geheimnis des Kreuzes, den Baum der Erlösung, der vom heilbringenden Blut Christi getränkt ist.“
Es ist der 24. Januar 2002. Papst Johannes Paul II. (1978-2005) hat die Führer der großen Religionen und der christlichen Kirchen nach Assisi eingeladen – ein Weltgebetstag für den Frieden, vier Monate nach den blutigen Anschlägen des 11. September.
„Einzigartiger Prophet des Friedens“
„Wir haben uns hier in Assisi eingefunden, wo alles von einem einzigartigen Propheten des Friedens Zeugnis gibt, der Franziskus genannt wird. Er wird nicht nur von den Christen, sondern auch von vielen Andersgläubigen geliebt, von Menschen, die der Religion fernstehen, aber sich zu seinen Idealen der Gerechtigkeit, der Versöhnung und des Friedens bekennen.“
Es ist kein Zufall, dass der polnische Papst sich für das Friedensgebet das umbrische Städtchen ausgesucht hat. Hier hat er schon 1986 zum ersten Mal einen Weltgebetstag der Religionen für den Frieden durchgeführt. Im Geist des hl. Franziskus, des Mannes, der durch sein Ideal der Armut und Einfachheit die Kirche revolutioniert hat und bis heute inspiriert. Im Geist eines Heiligen, der 1219 in Ägypten das Gespräch mit Sultan al-Malik al-Kamil suchte und damit auch zum Vorreiter heutiger interreligiöser Verständigung geworden ist.
Die Friedensgebete Johannes Pauls
„Die Tatsache, dass wir hierhergekommen sind, impliziert nicht die Absicht, einen religiösen Konsens unter uns zu suchen oder über unsere Glaubensüberzeugungen zu verhandeln. Unsere Begegnung bezeugt lediglich, dass die Menschheit in ihrer Unterschiedlichkeit auf der Suche nach Frieden ihre tiefsten und lebendigsten Ressourcen mobilisieren muss!“ (Johannes Paul II. 1986 in Assisi).
Johannes kam wenige Tage vor dem Konzil
Rückblende. Der erste Papst überhaupt, der Assisi besucht, ist Johannes XXIII. Es ist das erste Mal im 20. Jahrhundert, dass ein Papst Rom verlässt. Der Roncalli-Papst reist mit der Bahn nach Loreto – und nach Assisi, zum Fest des hl. Franz am 4. Oktober 1962.
„44 Jahre wurde Franziskus alt. Die Hälfte seines Lebens war er auf der Suche nach Reichtum, doch letztlich vergebens – eine Art Abscheu, eine Unruhe hielt den Sohn von Messer Bernardone zurück. Die zweite Lebenshälfte hingegen wandte er an ein Abenteuer, das verrückt anmutet, in Wirklichkeit aber der Beginn einer Sendung und eines unvergänglichen Ruhmes war. Diese Sendung und dieser Ruhm haben uns zu einem Gelübde veranlasst, das wir heute für Assisi, für Italien und für alle Nationen ablegen.“
Das Gelübde des Johannes – es ist eher ein Gebet. In wenigen Tagen wird er im Petersdom das Zweite Vatikanische Konzil eröffnen. Davon erhofft sich der Papst, der nur noch ein Jahr zu leben hat, einen neuen Frühling für die Kirche.
Paul und der Schmerzensmann
Paul VI. (1963-78), der Nachfolger des Johannes, setzt die Akzente anders. Am hl. Franz betont er vor allem den biblischen Typus des Schmerzensmannes. Der Heilige von Assisi war offenbar Träger der Wundmale Jesu.
„Eure Spiritualität kann nicht von der Passion absehen! Passion hat eine doppelte Bedeutung: Es meint brennendes Verlangen, und es meint auch Leiden. Die Passion, die der hl. Franziskus für die Passion Christi hatte… Seine Wundmale sind eine Predigt für die Ewigkeit. Franziskus hat mehr mit seinen gefalteten Händen, mit seinem gekrümmten, leidenden, von Kasteiungen gezeichneten Körper gepredigt als mit seiner Stimme.“
Das sagt der Montini-Papst 1971, an die franziskanische Ordensfamilie gewandt. „Eure Entscheidung, ihm nachzufolgen, lädt euch dazu ein und verpflichtet euch dazu, diesen anderen, wesentlichen Aspekt nicht nur des franziskanischen Geistes, sondern des Christentums überhaupt zu verstehen. Kann denn das Christentum vom Kreuz Christi absehen?“ Der Papst, der sich in den letzten Jahren seines Pontifikats, speziell nach dem Hohn angesichts seiner Enzyklika Humanae Vitae, immer stärker unverstanden fühlt, lässt sich inspirieren von Franziskus, dem Dulder.
Differenziert äußert sich Paul VI. zum franziskanischen Ideal der Armut. „Armut ist ein kontroverser Begriff – sogar im Evangelium. Jesus nennt die Armen selig, und alle Hörer des Evangeliums stürzen sich dann gleich auf die Armen, um sie von ihrem Leiden und ihrer Armut zu befreien. Das ist fast paradox – ein scheinbarer Widerspruch. Wenn sie selig sind, weil sie arm sind, dann lassen wir sie doch besser arm! Also – ist Armut ein Gut oder ein Übel?“
Franz von Assisi als Ideengeber von „Populorum progressio“
Der Papst formuliert das so spitz, weil er genau hier „die großen ideologischen und sozialen Strömungen unserer Zeit“ zusammenstoßen sieht, Kommunismus und Kapitalismus. Der Fortschritt der Moderne sei „auf unbegrenzte Vermehrung von Reichtümern, auf Verwandlung der Dinge in Güter“ ausgerichtet.
„Das Schlachtfeld ist der Bereich der Wirtschaft, dann auch der Soziologie und der Politik. Es wird auch zum Schlachtfeld nationaler wie internationaler Konflikte. Diese Frage des Besitzes von Gütern dieser Erde scheint die Menschen auf unerbittliche Weise zu spalten.“ In seiner Sozialenzyklika Populorum progressio versucht Paul eine Antwort darauf. „Ihr wisst, dass die Armut im Sinn des Evangeliums bedeutet, seinen Sinn nicht vor allem auf das Leben auf dieser Welt zu richten, nicht auf ihre Reichtümer und Befriedigungen, nicht auf das irdische Reich, sondern auf das Himmelreich.“
Benedikt und der „Gigant der Heiligkeit“
Und wieder ein anderer Blick auf den hl. Franz: Diesmal ist es Benedikt XVI. (2005-13), der deutsche Papst – der sich zwar eher an Benedikt von Nursia orientiert, aber im umbrischen Franziskus dennoch einen „Giganten der Heiligkeit“ sieht.
„Wer kennt nicht den hl. Franz von Assisi, den Gründer der Franziskaner? Viele Menschen – auch über die Grenzen der Kirche hinweg – sind davon fasziniert, wie er die Ideale der Armut, der Hilfsbereitschaft, der Fröhlichkeit, der Brüderlichkeit und der Liebe zur Schöpfung gelebt hat.“ Das sagt Benedikt, der während seines Pontifikats zweimal nach Assisi fährt, bei einer Generalaudienz im Jahr 2010.
„Aber wer Franz von Assisi verstehen will, muss nach der Wurzel von all dem fragen: Franziskus wollte wie Christus sein; er wollte Jesus im Evangelium betrachten, ihn von ganzem Herzen lieben und seine Tugenden nachahmen. Die Etappen seiner Biographie zeigen uns, wie Gott diesen reichen Kaufmannssohn und ehrgeizigen Ritter allmählich zur Bekehrung führte.“
In freier Rede fällt dem Theologenpapst Benedikt zu Franziskus vor allem folgendes ein: „Nach dem Verzicht auf sein Erbe lebte er zunächst als Einsiedler bei einer kleinen, verfallenen Kirche außerhalb von Assisi. 1208, mit 27 Jahren, verspürte er den Ruf Christi, das Wort Gottes zu verkünden. Bald schlossen sich ihm Gefährten an, aus denen – mit der wohlwollenden Unterstützung des Papstes – der Franziskanerorden hervorging.“
Auch Benedikt betont die interreligiöse Pionierrolle des Franz von Assisi. Bei einem Weltgebet für den Frieden, das der deutsche Papst im Stil seines Vorgängers Johannes Paul in Assisi ausrichtet, lädt er 2011 nicht nur Vertreter anderer Religionen, sondern auch Nichtglaubende ein.
„Der Glaube des hl. Franz und sein Eifer für das Evangelium kannten keine Grenzen, so dass er – trotz der bestehenden Konflikte – im Jahr 1219 dem muslimischen Sultan in Ägypten einen Besuch abstattete, wohl auch das Heilige Land besuchte und dem bewaffneten Kampf zwischen Christen und Muslimen in den Kreuzzügen den Dialog der Liebe und der Wahrheit entgegenstellte und damit eine neue Epoche eröffnet hat, die wir nun eigentlich so richtig angehen sollten…“
Und dann kam Franziskus, der Papst
Mit dem Jesuiten Jorge Mario Bergoglio gibt sich 2013 erstmals ein Papst den Namen Franziskus. Und mit „Laudato si‘“ prägt zum ersten Mal eine Dichtung des hl. Franz, sein berühmter Sonnengesang nämlich, den Titel einer päpstlichen Enzyklika. Einfachheit, Einsatz für die Schöpfung, Zugehen auf andere Religionen: Das argentinische Pontifikat nimmt viele Themen des Heiligen aus Umbrien auf.
(vatican news)
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