Wortlaut: Predigt von Papst Franziskus zum Herz-Jesu-Freitag
Sämtliche Wortmeldungen des Papstes in ihrer offiziellen deutschen Fassung werden auf der Internetseite des Vatikan veröffentlicht.
Da wir mit Dankbarkeit der Stiftung dieses Sitzes der Katholischen Universität gedenken, möchte ich ein paar Gedanken zu ihrem Namen äußern. Sie ist dem Heiligsten Herzen Jesu geweiht, dessen Fest heute, am ersten Freitag im Monat, gefeiert wird. Bei der Betrachtung des Herzens Christi können wir uns von drei Worten leiten lassen: Erinnern, Leidenschaft und Trost.
Erinnern. Erinnern bedeutet „zum Herzen zurückkehren“, „mit dem Herzen zurückkehren“ (lat. Herz: cor, ,erinnern' auf Italienisch: ri-cordare - Anm.). Wohin bringt uns das Herz Jesu zurück? Zurück zu dem, was er für uns getan hat: Das Herz Christi zeigt uns Jesus, der sich selbst opfert: Es ist der Inbegriff seiner Barmherzigkeit. Wenn wir ihn betrachten - wie es Johannes im Evangelium tut (19,31-37) -, ist es ganz natürlich, sich an seine Güte zu erinnern, die unentgeltlich - weder kauft noch verkauft man sie - und bedingungslos ist, sie hängt nicht von unseren Werken ab, sie ist hoheitlich. Und sie bewegt uns. In der heutigen Hektik, inmitten von tausenderlei Herumrennen und ständigen Sorgen, verlieren wir die Fähigkeit, uns bewegen zu lassen und Mitgefühl zu empfinden, weil wir diese Rückkehr zum Herzen, zur Erinnerung verlieren. Ohne Erinnerung verlieren wir unsere Wurzeln, und ohne Wurzeln können wir nicht wachsen. Es ist gut für uns, die Erinnerung an diejenigen zu pflegen, die uns geliebt, für uns gesorgt und uns erzogen haben. Heute möchte ich mein Dankeschön für die Fürsorge und Zuneigung, die ich hier erfahren habe, erneuern. Ich glaube, dass es in dieser Zeit der Pandemie gut für uns ist, uns auch an die schmerzlichsten Zeiten zu erinnern: nicht, um uns traurig zu stimmen, sondern um nicht zu vergessen und um unsere Entscheidungen im Lichte einer sehr jungen Vergangenheit zu treffen.
Ich frage mich: Wie funktioniert unsere Erinnerung? Vereinfacht ausgedrückt könnten wir sagen, dass wir uns an jemanden oder etwas erinnern, wenn das unser Herz berührt, wenn es mit einer bestimmten Zuneigung oder einem Mangel an Zuneigung verbunden ist. Nun, das Herz Jesu heilt unsere Erinnerung, denn es führt sie zurück zur grundlegenden Zuneigung. Es baut sie auf die festeste Grundlage. Es erinnert uns daran, dass wir geliebt werden, egal was uns im Leben passiert. Ja, wir sind geliebte Wesen, Kinder, die der Vater immer und in jedem Fall liebt, Brüder und Schwestern, für die das Herz Christi schlägt. Jedes Mal, wenn wir auf dieses Herz schauen, entdecken wir, dass wir „in der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet“ sind, wie der Apostel Paulus in der ersten Lesung heute sagt (Eph 3,17).
Pflegen wir diese Erinnerung, die gestärkt wird, wenn wir dem Herrn von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, besonders wenn wir uns von ihm in Anbetung anschauen und lieben lassen. Aber wir können auch unter uns die Kunst des Erinnerns kultivieren und die Gesichter, denen wir begegnen, wertschätzen. Ich denke an die anstrengenden Tage im Krankenhaus, an der Universität, bei der Arbeit. Wir laufen Gefahr, dass alles spurlos an uns vorübergeht oder dass nur Müdigkeit und Erschöpfung zurückbleiben. Es tut uns gut, am Abend die Gesichter, die wir getroffen haben, das Lächeln, das wir erhalten haben, die guten Worte Revue passieren zu lassen. Sie sind Erinnerungen an die Liebe und helfen unserer Erinnerung, sich wiederzufinden. Wie wichtig diese Erinnerungen in Krankenhäusern sind! Sie können dem Tag eines kranken Menschen einen Sinn geben. Ein geschwisterliches Wort, ein Lächeln, ein Streicheln des Gesichts: das sind Erinnerungen, die innerlich heilen, die dem Herzen gut tun. Vergessen wir die Erinnerungs-Therapie nicht! Sie tut so gut.
Leidenschaft ist das zweite Wort. Leidenschaft. Das erste ist Erinnerung, erinnern; das zweite ist Leidenschaft. Das Herz Christi ist keine fromme Andacht, um ein wenig Wärme im Inneren zu spüren, es ist kein zartes Bild, das auf Zuneigung spekuliert. Nein, das ist es nicht. Es ist ein leidenschaftliches, von Liebe verwundetes Herz - dafür genügt es, das Evangelium zu lesen - das am Kreuz für uns aufgerissen wurde. Wir haben gehört, wie das Evangelium davon spricht: „Einer der Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite und sogleich floss Blut und Wasser heraus“ (Joh 19,34). Durchbohrt und tot, gibt er uns das Leben. Das Heiligste Herz Jesu ist die Ikone der Passion: Es zeigt uns die innige Zärtlichkeit Gottes, seine liebende Leidenschaft für uns, und gleichzeitig zeigt es uns, überragt vom Kreuz und umgeben von Dornen, wie viel Leid unsere Erlösung gekostet hat. In seiner Zärtlichkeit und seinem Schmerz offenbart dieses Herz, kurz gesagt, was die Leidenschaft Gottes ist: der Mensch, wir. Und welches ist der Stil Gottes? Nähe, Mitgefühl und Zärtlichkeit. Das ist der Stil Gottes: Nähe, Mitgefühl und Zärtlichkeit.
Was bedeutet das? Wenn wir Gott wirklich lieben wollen, müssen wir uns für den Menschen begeistern – für jeden Menschen. Vor allem für diejenigen, die in der Situation leben, in der sich das Herz Jesu offenbart hat: Schmerz, Verlassenheit, Marginalisierung, vor allem in dieser Kultur der Marginalisierung, in der wir heute leben. Wenn wir denen dienen, die leiden, trösten und freuen wir uns am Herzen Christi. Eine Stelle im Evangelium ist bemerkenswert. Der Evangelist Johannes legt in dem Augenblick, in dem er von der durchbohrten Seite berichtet, aus der Blut und Wasser austreten, Zeugnis ab, damit wir glauben können (vgl. V. 35). Der heilige Johannes betont also, dass in diesem Augenblick das Zeugnis stattfindet. Denn das zerrissene Herz Gottes ist wortgewaltig. Es spricht ohne Worte, denn es ist die reine Barmherzigkeit, die Liebe, die verwundet ist und Leben schenkt. Es ist Gott, mit Nähe, Mitgefühl und Zärtlichkeit. Wie viele Worte sagen wir über Gott, ohne Liebe zu zeigen! Aber die Liebe spricht für sich selbst, sie spricht nicht von sich selbst. Bitten wir um die Gnade, uns für den leidenden Menschen zu begeistern, uns für den Dienst zu begeistern, damit die Kirche, bevor sie Worte macht, ein Herz hat, das vor Liebe schlägt. Bevor sie spricht, lerne sie, das Herz der Liebe zu behüten.
Das dritte Wort ist Trost. Das erste war Erinnerung, das zweite Leidenschaft, das dritte ist der Trost. Das weist auf eine Kraft, die nicht von uns kommt - der Trost - sondern von denen, die mit uns sind. Daher kommt die Kraft. Also Jesus, der Gott, der mit uns ist, gibt uns diese Kraft, sein Herz gibt uns Mut in der Not. So viele Ungewissheiten machen uns Angst: In dieser Zeit der Pandemie haben wir uns selbst als kleiner und fragiler entdeckt. Trotz der vielen großartigen Fortschritte zeigt sich dies auch im medizinischen Bereich: so viele seltene und unbekannte Krankheiten... Wenn ich in den Audienzen Menschen begegne, vor allem Kindern, und frage: ist es krank? und zur Antwort bekomme: eine seltene Krankheit... Wie viele es heute gibt! Und so viel Aufwand, um mit den Pathologien Schritt zu halten, um die Behandlungsmöglichkeiten anzupassen, um ein Gesundheitswesen zu haben, das wirklich das ist, was es sein sollte, für alle. Wir könnten den Mut verlieren. Deshalb brauchen wir Trost - das dritte Wort. Das Herz Jesu schlägt für uns und wiederholt immer wieder die Worte: „Habt Mut, fürchtet euch nicht!“. Nur Mut, Schwester, nur Mut, Bruder, lass dich nicht entmutigen, der Herr, dein Gott, ist größer als deine Krankheiten, er nimmt dich an der Hand und streichelt dich, er ist dir nahe, er hat Mitgefühl, er ist zärtlich. Er ist dein Trost.
Wenn wir die Wirklichkeit von der Größe seines Herzens aus betrachten, ändert sich die Perspektive, ändert sich unsere Lebenserkenntnis, weil wir, wie der heilige Paulus uns erinnert, „die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übersteigt“ (Eph 3,19). Lassen wir uns von dieser Gewissheit und von Gottes Trost ermutigen. Und bitten wir das Heiligste Herz Jesu um die Gnade, unsererseits trösten zu können. Es ist eine Gnade, um die wir bitten müssen, wenn wir uns mutig dazu verpflichten, uns zu öffnen, einander zu helfen und die Last des anderen zu tragen. Das gilt auch für die Zukunft des Gesundheitswesens, insbesondere des katholischen Gesundheitswesens: teilen, sich gegenseitig unterstützen, gemeinsam vorankommen.
Möge Jesus die Herzen derer, die sich um die Kranken kümmern, für Zusammenarbeit und Zusammenhalt öffnen. Deinem Herzen, Herr, vertrauen wir unsere Berufung zur Fürsorge an: Lass uns jeden Menschen, der sich in Not an uns wendet, liebgewinnen.
Amen.
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