Papstreise endet in Athen mit Jugend-Treffen
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Im Multifunktionssaal der Ursulinenschule im Vorort Marousi führten junge Leute in traditioneller Tracht ein Tänzchen für den Gast aus Rom auf; vor allem aber stellten sie ihm Fragen. Eine Schülerin, deren Eltern von den Philippinen stammen, berichtete ihm von Glaubenszweifeln – doch durch die Pandemie sei ihr Glaube „ironischerweise gestärkt worden“. Eine 26-jährige Studentin (aus Vatikansicht kann das noch halbwegs als jugendliches Alter durchgehen) erzählte von einer Art Christus-Vision und von ihrem Entschluss, vor allem für andere Menschen da zu sein.
Besonders bewegend war die kurze Rede, die ein 18-jähriger Flüchtling aus Syrien bei dem Treffen hielt; Aboud, der seinen 12-jährigen Bruder an seiner Seite hatte, sprach über den Krieg in seiner Heimat Aleppo und darüber, wie im Frühjahr 2012 Extremisten in sein Stadtviertel eingedrungen seien: „Sie haben mit ihren Maschinengewehren einfach auf die Menschen auf den Balkonen und in den Wohnhäusern geschossen und sie getötet.“
Bewegende Rede eines Syrien-Flüchtlings
„Der Krieg wurde von Tag zu Tag grausamer. Lange Zeit gab es weder Licht noch Wasser. Wir waren gezwungen, in den Vierteln Brunnen zu graben. Jeden Tag Essen auf den Tisch zu bekommen war ein Problem, vor allem für Familien mit Kindern. Im Mai 2014 gingen wir dann mittags auf den Balkon, um Sonne zu tanken – und genau in dem Moment explodierte vor unserem Haus ein Blindgänger. Die Explosion schleuderte uns ins Haus zurück und bedeckte uns mit Glassplittern und Schrapnellen. Es war ein Wunder, dass wir überlebt haben…“
Ende 2014 entschloss sich Abouds Familie dann zur Flucht – per Boot, denn an ein Visum zu kommen, erwies sich als unmöglich. „Nach drei Versuchen ist es uns schließlich gelungen, an der Küste der Hoffnung zu landen. Es war schwer, ohne Wasser und Nahrung auf einem Felsen auszuharren und auf den Sonnenaufgang und ein Schiff der Küstenwache zu warten, das uns retten würde...“
Der Papst war von den Ansprachen der jungen Leute beeindruckt. Zum Thema Glaubenszweifel, das die philippinische Schülerin angesprochen hatte, äußerte er:
„Habt keine Angst vor Zweifeln, denn sie sind kein Mangel an Glauben. Im Gegenteil, die Zweifel sind Vitamine des Glaubens: Sie helfen, ihn zu festigen, ihn stärker, das heißt, bewusster, freier, reifer zu machen. Sie erhöhen seine Bereitschaft, sich auf den Weg zu machen, Tag für Tag in Demut voranzugehen. Und genau das ist der Glaube: ein täglicher Weg mit Jesus, der uns an der Hand hält…“
Am Anfang war: das Staunen...
Übrigens helfe es nach seiner Erfahrung, bei Glaubenszweifeln zum „Staunen“ zurückzukehren. Das sei nicht nur der Anfang aller Philosophie – eine gedankliche Verbeugung des Papstes vor dem Gastgeberland –, sondern auch der Anfang des Glaubens.
„Erinnert ihr euch an die berühmten Worte, die auf dem Giebel des Tempels von Delphi eingemeißelt sind? ‚Erkenne dich selbst‘. Heute besteht die Gefahr, dass wir vergessen, wer wir sind, weil wir von tausend Äußerlichkeiten belagert sind, von auf uns einhämmernden Botschaften, die das Leben davon abhängig machen, wie wir uns kleiden, welches Auto wir fahren, wie die anderen uns anschauen...“
Doch die alte Aufforderung des Tempels von Delphi sei immer noch gültig, so Franziskus. „Erkenne, dass du einen Wert hast aufgrund dessen, der du bist, und nicht dessen, was du hast. Du hast einen Wert nicht wegen der Marke des Kleides oder der Schuhe, die du trägst, sondern weil du einzigartig bist.“
Auf die Christus-ähnliche Vision der Studentin ließ sich der Papst vorsichtshalber nicht ein; stattdessen lobte er ihren Willen, sich auf die Mitmenschen einzulassen.
„Möchtest du etwas Neues im Leben machen? Möchtest du wieder jung sein? Gib dich nicht mit der Veröffentlichung von ein paar Posts oder Tweets zufrieden. Gib dich nicht mit virtuellen Begegnungen zufrieden, sondern suche die realen Begegnungen, vor allem mit denen, die dich brauchen: Suche nicht danach, gesehen zu werden, sondern such nach denen, die nicht gesehen werden. Das ist originell und revolutionär. Viele Menschen sind heute sehr social, aber wenig sozial…“
„Migration: Eine Odyssee der Neuzeit“
Dann kam Franziskus auf die Erlebnisse Abouds von seiner Flucht aus Syrien zu sprechen – eine echte „Odyssee der Neuzeit“ sei das, sagte er, ähnlich wie am Sonntag bei seinem Besuch bei Migranten auf der Insel Lesbos. Auch in der Odyssee mache sich ein junger Mann – Telemach, der Sohn des Helden – auf den Weg ins Ungewisse:
„Der Sinn des Lebens besteht nicht darin, am Strand zu bleiben in der Erwartung, dass der Wind Neuigkeiten bringt. Die Rettung liegt im offenen Meer, im Elan, in der Suche, in der Verfolgung von Träumen, den wahren, denjenigen, die man mit offenen Augen hat, die harte Arbeit, Kampf, Gegenwind, plötzliche Stürme mit sich bringen. Bitte lasst euch nicht von Ängsten lähmen, habt große Träume! Und träumt gemeinsam!“
Abouds Traum
Aboud träumt – auch das hatte er in seiner Rede wissen lassen – von einem Studium in Griechenland und im Ausland. Und davon, „ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu werden“. Das ist in seiner neuen Heimat Griechenland gar nicht so einfach: Die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen ist sehr hoch, der Mix aus Wirtschaftskrise und Corona vernebelt die Zukunftschancen der Jungen.
Die Ursulinen haben schon im 17. Jahrhundert eine Schule in Griechenland gegründet, es war die erste ausländische überhaupt im Land. Die jetzige „griechisch-französische“ Schule in Marousi wird nicht nur von Angehörigen der katholischen Minderheit in Griechenland besucht, sondern auch von vielen jungen Leuten orthodoxen Glaubens. Das liegt auch daran, dass das staatliche Schulsystem nicht den allerbesten Ruf genießt.
(vatican news)
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