Papst Franziskus warnt vor Schwächung der Demokratie in Europa
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
„Die Demokratie ist ein Schatz der Zivilisation, sie muss bewahrt werden“, so der Papst wörtlich. Er sehe heute zwei „Gefahren gegen die Demokratie“, nämlich „ein Verwässern der eigenen Identität“ unter dem Druck übermächtiger, übernationaler Polit-, Kultur- und Wirtschaftsmodelle und, zweitens, den Populismus. „Wir müssen aufpassen, dass die Regierungen – ob von rechts oder von links – nicht auf diesen Weg des Populismus abrutschen.“ Ähnlich hatte sich der Papst in Athen vor Politikern, Diplomaten und Angehörigen der Zivilgesellschaft geäußert, in seiner ersten Rede auf griechischem Boden.
Wie schon bei seinem Besuch bei Migranten auf der Insel Lesbos am Sonntag warnte Franziskus dann vor dem Bau neuer Mauern in Europa und warb für eine Integration von Migranten. Der Papst, ein Nachfahre italienischer Auswanderer nach Argentinien, hatte wohl Länder wie Italien oder Spanien im Sinn, aus dem in früheren Jahrhunderten viele Menschen emigrierten, als er sagte:
„Denk an die Zeit, als du selbst Migrant warst...“
„Denk an die Zeit, als du selbst Migrant warst und sie dich nicht reinlassen wollten! Du warst es, der damals aus deinem Land entkommen wolltest – und jetzt bist du es, der Mauern bauen will… Wer Mauern baut, verliert den Sinn für die Geschichte, für die eigene Geschichte. Für die Zeit, als er selbst sozusagen Sklave in einem anderen Land war…“
Die Politik habe ein Recht darauf, Einwanderung zu steuern und darauf zu achten, dass sich ein Land nicht übernimmt. Für Absprachen und Koordination der Verteilung von Migranten sei es wichtig, dass es die Europäische Union gebe. Doch Migranten hätten ein Recht auf Aufnahme, Begleitung, Förderung und Integration.
„Es ist nicht leicht, Migranten aufzunehmen und das Problem der Migranten zu lösen, aber wenn wir das nicht tun, laufen wir Gefahr, dass unsere Zivilisation heute in Europa Schiffbruch erleidet… Die Vertreter der europäischen Regierungen sollten sich einigen.“
Skeptisch äußerte sich Franziskus zur Abschiebung oder Rückführung von Migranten in ihre Herkunftsländer. Man müsse ihnen bei der Integration in ihrer Heimat helfen, „statt sie an der libyschen Küste zu lassen“, wo sie leichte Beute für Menschenschlepper würden. „So riskieren wir die Zivilisation.“
Papst will mit französischen Bischöfen über Missbrauchs-Bericht sprechen
Eher ausweichend äußerte sich der Papst zum Bericht einer unabhängigen Kommission über Missbrauchsfälle in der Kirche in Frankreich. Die Schätzung zu hohen Opferzahlen hat in der französischen Gesellschaft einen Schock ausgelöst, stößt aber bei einigen auch auf Widerspruch. Er habe den Bericht nicht gelesen, habe aber französische Bischöfe um Erläuterungen gebeten und werde noch im Dezember erneut mit Bischöfen darüber sprechen, gab Franziskus an.
„Wenn man eine Studie zu einem so langen Zeitraum macht, dann gibt es die Gefahr, dass man die Art und Weise, wie ein Problem vor siebzig Jahren angegangen wurde, von heute aus nicht richtig einschätzt. Eine historische Situation muss mit dem Leserschlüssel der damaligen Zeit interpretiert werden, nicht mit dem heutigen.“ Man dürfe nicht vorschnell eine frühere Epoche verurteilen, die nicht unseren heutigen Erkenntnisstand besessen habe.
Aupetit und das „Gerede“
Franziskus antwortete auch auf eine Frage, warum er vor gut einer Woche den angebotenen Rücktritt des Pariser Erzbischofs Michel Aupetit sehr schnell angenommen hat. Er warnte vor einer Vorverurteilung des Kirchenmanns und sprach von einem teilweisen, „aber nicht vollständigen“ Verstoß Aupetits gegen das sechste Gebot. „Das ist Sünde, aber keine schwerwiegendere“, sagte Franziskus. Schlimmere Sünden seien beispielsweise Hochmut und Hass. In diesem Sinn sei der Erzbischof ein Sünder so wie er, der Papst, selbst, so wie vielleicht die fragende Journalistin und möglicherweise so wie der heilige Petrus, erklärte Franziskus. Durch das „Gerede“ der Öffentlichkeit, nicht durch „die Sünde, die Sünde bleibt, so wie jene des Petrus, so wie meine und Ihre", habe Aupetit die Autorität eingebüßt, die er für die Ausübung seines Bischofsamtes in Paris brauche. Deshalb habe er den Rücktritt des Erzbischofs angenommen.
Weitere Themen: Orthodoxe und EU
Franziskus, der die orthodoxen Christen in Griechenland bei seinem Besuch um Verzeihung für Fehler und Spaltungen der Vergangenheit gebeten hatte, sprach von einer grundlegenden Einheit der Christen untereinander. Die „Dynamik zwischen den Unterschieden innerhalb der Kirche“ sei die Synodalität; darum wolle die katholische von der Synoden-erfahrenen orthodoxen Weltkirche lernen.
Der Papst verriet auch, dass er den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill wohl bald schon ein zweites Mal treffen werde; eine wichtige Vor-Absprache dazu werde vielleicht schon nächste Woche getroffen. Das Treffen könne im Ausland, „vielleicht in Finnland“ stattfinden, doch sei er auch zu einer Reise nach Moskau bereit.
Die Europäische Union rief Franziskus, der auch Träger des Aachener Karlspreises ist, dazu auf, sich auf ihre Gründungsideale zu besinnen und der Versuchung einer „Vereinheitlichung“ der Mitgliedsstaaten zu widerstehen; sonst scheitere Europa.
(vatican news)
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