„Urbi et Orbi“: Fast wie früher, vor Corona
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Der Petersplatz war an diesem ersten Weihnachts-Feiertag nur halb gefüllt; das lag nicht (nur) am regnerischen Wetter, sondern an den Abstand-Regeln wegen Corona. Ein italienisches und ein vatikanisches Musik-Corps sorgte für festliche Stimmung. Die letzten Male war Franziskus zu seinem traditionellen Segen an Weihnachten bzw. an Ostern in den Petersdom ausgewichen, um keine Menschenansammlungen herbeizuführen.
„Liebe Brüder und Schwestern, frohe Weihnachten!“ So setzte ein ernst blickender Franziskus an. „Das Wort (Gottes) ist Fleisch geworden, um mit uns in Dialog zu treten. Gott will keinen Monolog führen, sondern einen Dialog. Denn Gott selbst, Vater, Sohn und Heiliger Geist, ist Dialog, ewige und unendliche Gemeinschaft der Liebe und des Lebens. Indem Gott in der Person des fleischgewordenen Wortes in die Welt gekommen ist, hat er uns den Weg der Begegnung und des Dialogs gezeigt.“
Eindringliches Plädoyer für Dialog
Das war, in wenigen Sätzen, eine Zusammenfassung der Lehre über die heilige Dreifaltigkeit. Und es war der Ausgangspunkt für den Papst, um wie schon in seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ vom Herbst 2020 eine Lanze für die „Kultur der Begegnung“ und des Dialogs zu brechen. Diese Haltung der Offenheit zum anderen sei in der Corona-Pandemie noch nötiger als zuvor.
„Unsere Fähigkeit zu sozialen Beziehungen wird auf eine harte Probe gestellt; es gibt eine wachsende Tendenz dazu, sich zu verschließen, alles allein machen zu wollen; man verzichtet darauf, hinauszugehen, sich zu begegnen und miteinander die Aufgaben zu erledigen. Und auch auf internationaler Ebene besteht die Gefahr, dass die Bereitschaft zum Dialog fehlt, dass die komplexe Krise dazu führt, Abkürzungen zu wählen anstatt die längeren Wege des Dialogs; diese allein jedoch führen zu einer Konfliktlösung und zu Vorteilen, die allen zugutekommen und von Dauer sind.“
Nicht abstumpfen angesichts der vielen Krisen und Kriege
Leider gebe es weltweit noch allzu viele „Konflikte, Krisen und Widersprüche“, bedauerte Franziskus. „Sie scheinen nie zu enden, und wir nehmen sie kaum noch wahr. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, dass unermessliche Tragödien schweigend übergangen werden; wir riskieren, den Schrei des Schmerzes und der Verzweiflung vieler unserer Brüder und Schwestern nicht zu hören.“
Appelle für Syrien, Libanon, Irak und Jemen
Da dachte Franziskus vor allem an Syrien – an den dort seit über zehn Jahren anhaltenden Krieg, an die Flüchtlinge. Er erinnerte aber auch an den Libanon, „der sich in einer beispiellosen Krise befindet“, und an den Irak, der „immer noch Mühe hat, sich wiederaufzurichten“. Der Papst hat im März dieses Jahres den Irak besucht – eine Reise, die für das gequälte Land und die Region einen überraschenden Moment der Hoffnung bedeutete. „Hören wir (auch) den Schrei der Kinder aus dem Jemen, wo sich eine ungeheure, von allen vergessene Tragödie seit Jahren in aller Stille abspielt, die jeden Tag Menschenleben fordert.“
Wie üblich in seinen Urbi-et-Orbi-Ansprachen, bedauerte Franziskus auch den Stillstand in den Friedensbemühungen für das Heilige Land. Besonders besorgt zeigte er sich über die Lage in der Geburtsstadt Jesu: Betlehem.
„Dort durchlebt man auch aufgrund der von der Pandemie verursachten wirtschaftlichen Probleme schwere Zeiten. Denn die Pilger sind daran gehindert, das Heilige Land zu erreichen, und dies wirkt sich negativ auf das Leben der Bevölkerung aus.“
Als stünde er in diesem Moment selbst an der Geburtsgrotte in Betlehem, wechselte der Papst in seiner Ansprache die Perspektive und sprach den neugeborenen Herrn direkt an.
„Jesuskind, gib dem Nahen Osten und der ganzen Welt Frieden und Eintracht. Stehe denen bei, die sich für humanitäre Hilfe zugunsten der Bevölkerungen einsetzen, die gezwungen sind, aus ihrer Heimat zu fliehen; tröste das afghanische Volk, das seit über vierzig Jahren durch Konflikte auf eine harte Probe gestellt wird, die viele dazu bewogen haben, das Land zu verlassen.“
Gebet für Myanmar und die Ukraine
Franziskus betete auch für weitere Krisenherde. „Stehe dem Volk in Myanmar zur Seite, wo Intoleranz und Gewalt oft auch die christliche Gemeinschaft und die Gotteshäuser treffen… Lass nicht zu, dass sich in der Ukraine die Metastasen eines schwelenden Konflikts ausbreiten. Fürst des Friedens, hilf Äthiopien, … den Weg zu Versöhnung und Frieden wieder zu finden.“
Der Papst bedachte auch die terrorgeplagte Sahelzone, den Maghreb sowie Sudan und Südsudan mit ein paar besorgten Worten. Den Völkern Amerikas wünschte der erste Lateinamerikaner im Petrusamt „Versöhnung und friedliche Koexistenz“.
„Sohn Gottes, tröste die Opfer der Gewalt gegen Frauen, die in dieser Zeit der Pandemie um sich greift. Gib den Kindern und Jugendlichen Hoffnung, die Mobbing und Missbrauch erleiden. Spende den älteren Menschen Trost und Zuneigung, vor allem denjenigen, die am einsamsten sind.“
Franziskus betete für „Lösungen zur Überwindung der Gesundheitskrise und ihrer Folgen“, forderte etwas weniger drängend als bei anderen Gelegenheiten Corona-Impfstoff auch für die armen Länder und hatte auch einen Gedanken für Migranten, Flüchtlinge und Vertriebene.
Ein Zitat aus der Papst-Ansprache auf Lesbos
„Ihre Augen bitten uns, uns nicht abzuwenden, die Menschlichkeit, die uns verbindet, nicht zu leugnen, uns ihre Geschichten zu eigen zu machen und ihre Tragödien nicht zu vergessen.“ Das war ein Zitat aus der Rede, die er Anfang Dezember in einem Aufnahmelager für Migranten auf der griechischen Insel Lesbos gehalten hat.
„O Christus, für uns geboren, lehre uns, mit dir auf den Wegen des Friedens zu wandeln!“ Nach der Ansprache des Papstes erinnerte ein Kardinal daran, dass der feierliche Segen „Urbi et Orbi“ (Für die Stadt und den Erdkreis) auch für alle gilt, die per Radio, TV oder neue Medien zuschalten. Und dass damit (bei Einhaltung der üblichen Bedingungen, versteht sich) ein vollkommener Ablass erlangt werden kann.
Der feierlichste Segen, den die Kirche kennt
Dann erteilte Franziskus den Segen in lateinischer Sprache. Der „Urbi et Orbi“ geht bis ins 13. Jahrhundert zurück; im Fernsehen wurde er erstmals 1949 ausgestrahlt. Erteilt wird der „Urbi et Orbi“ bei drei Gelegenheiten: am Ostersonntag, am ersten Weihnachtsfeiertag sowie unmittelbar nach der Wahl eines neuen Papstes, bei seinem ersten Auftritt vor der Weltöffentlichkeit.
Letztes Jahr machte Franziskus allerdings eine Ausnahme von dieser Regel: Angesichts der Corona-Pandemie erteilte er während des „Lockdown“ im März 2020 einen feierlichen Sondersegen „Urbi et Orbi“ auf dem menschenleeren Petersplatz.
(vatican news)
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