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Wortlaut: Ansprache von Papst Franziskus bei seiner Generalaudienz

Hier finden Sie die Ansprache, die Papst Franziskus bei seiner Generalaudienz an diesem Mittwoch gehalten hat, in einer leicht gekürzten Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan.

Sämtliche Wortmeldungen des Papstes in offizieller deutscher Fassung finden Sie auf der Internetseite des Vatikan.

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Wir setzen unsere Katechesenreihe zur Gestalt des heiligen Josef fort. Heute möchte ich darauf eingehen, dass er ein „Gerechter“ und der „Verlobte Marias“ war, und damit eine Botschaft an alle Verlobten richten... Viele Ereignisse im Zusammenhang mit Josef werden in den apokryphen – also nichtkanonischen – Evangelien erzählt, die auch die Kunst und verschiedene Kultstätten beeinflusst haben. Schriften..., die dem Wunsch entgegenkommen, die erzählerischen Lücken in den kanonischen Evangelien zu füllen, die uns all das vermitteln, was für den christlichen Glauben und das christliche Leben wesentlich ist.

Der Evangelist Matthäus ... bezeichnet Josef als „Gerechten“. Doch hören wir, was er uns berichtet: „Mit der Geburt Jesu Christi war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete – durch das Wirken des Heiligen Geistes. Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen“ (1,18-19)...

„Wenn wir eine etwas häßliche Nachricht über jemanden bekommen, dann sagen wir sie sofort weiter. Josef hingegen schweigt“

Um das Verhalten Josefs Maria gegenüber zu verstehen, muss daran erinnert werden, dass die jüdische Trauung im antiken Israel in zwei festgelegten Etappen ablief. Die erste glich einer offiziellen Verlobung, die bereits eine neue Situation mit sich brachte: Die Braut lebte zwar noch ein Jahr lang im Haus ihres Vaters, wurde aber faktisch als „Ehefrau“ ihres Bräutigams betrachtet... Danach wurde sie vom Haus ihres Vaters ins Haus des Bräutigams überführt. Dies geschah in einer feierlichen Prozession, die den Abschluss der Trauung bildete... Da sich nun aber zeigte, dass Maria „ein Kind erwartete, bevor die Brautleute zusammengekommen waren“, konnte die Jungfrau nach diesem Brauchtum des Ehebruchs bezichtigt werden. Und dieses Vergehen war nach dem alten Gesetz mit Steinigung zu bestrafen (vgl. Dtn 22,20-21). In der späteren jüdischen Praxis hatte sich jedoch eine gemäßigtere Auslegung durchgesetzt, die nur vorsah, dass die Betroffene verstoßen wurde, was auch zivil- und strafrechtliche Konsequenzen für sie hatte, aber nicht die Steinigung.

Im Evangelium heißt es, dass Josef gerade deshalb „gerecht“ war, weil er wie jeder fromme Israelit dem Gesetz unterstand. Doch seine Liebe zu Maria und das Vertrauen, das er in sie setzte, legten ihm einen Weg nahe, der es möglich machte, das Gesetz einzuhalten und die Ehre seiner Braut zu retten: er beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen, damit sie nicht öffentlich bloßgestellt wurde. Er wählte den Weg der Geheimhaltung, ohne Prozess und ohne Rache. Welche Heiligkeit in (dieser Reaktion des) Josef! Wenn wir eine etwas häßliche Nachricht über jemanden bekommen, dann sagen wir sie sofort weiter. Josef hingegen schweigt.

„Die Versuchung besteht darin, uns im Schmerz einzuschließen“

Und dann fügt der Evangelist Matthäus gleich hinzu: „Während er noch darüber nachdachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen“ (1,20-21). Zur Einsicht kommt Josef also auch durch die Stimme Gottes, der ihm im Traum eine noch größere Bedeutung der Gerechtigkeit aufzeigt. Wie wichtig ist es doch für einen jeden von uns, ein rechtschaffenes Leben zu führen und gleichzeitig zu spüren, dass wir immer auf die Hilfe Gottes angewiesen sind! Unseren Horizont zu erweitern und die Lebensumstände aus einem anderen, umfassenderen Blickwinkel zu betrachten. Oft fühlen wir uns gefangen durch das, was uns widerfahren ist..., aber gerade angesichts bestimmter Lebensumstände, die auf den ersten Blick dramatisch erscheinen, gibt es eine Vorsehung, die mit der Zeit Gestalt annimmt und selbst den Schmerz, der uns getroffen hat, mit Sinn erhellt. Die Versuchung besteht darin, uns im Schmerz einzuschließen, in diesem Gedanken an das Ungute, das uns zugestoßen ist. Aber das tut nicht gut - es führt zu Traurigkeit und Bitterkeit. Ein bitteres Herz ist etwas Häßliches.

„Man muss von der Verliebtheit zur reifen Liebe übergehen“

Ich möchte, dass wir nun innehalten und über ein Detail dieser im Evangelium erzählten Geschichte nachdenken, das oft übersehen wird. Maria und Josef sind zwei Verlobte, die wahrscheinlich Träume, Erwartungen an ihr Leben und ihre Zukunft hatten. Gott scheint unerwartet in ihr Leben einzugreifen, doch nach anfänglichen Schwierigkeiten öffnen beide ihr Herz für die Realität, die sich ihnen darbietet.

Liebe Brüder und Schwestern, oft ist unser Leben nicht so, wie wir es uns vorstellen. Vor allem in Liebes- und Freundschaftsbeziehungen fällt es uns manchmal schwer, von der Logik der Verliebtheit zur Logik der reifen Liebe überzugehen. Man muss von der Verliebtheit zur reifen Liebe übergehen... Die erste Phase ist immer von einer gewissen „Verzauberung“ geprägt, die uns in eine imaginäre Welt eintauchen lässt, die oft nicht der Realität entspricht. Doch gerade dann, wenn die Verliebtheit mit ihren Erwartungen verflogen zu sein scheint, kann die wahre Liebe beginnen. Zu lieben bedeutet nämlich nicht zu erwarten, dass der Andere oder das Leben unseren Vorstellungen entsprechen; nein, es bedeutet, in völliger Freiheit Verantwortung für das Leben zu übernehmen, wie es sich uns darbietet. Deshalb erteilt Josef uns eine wichtige Lektion: Er wählt Maria „mit offenen Augen“. Wir könnten sagen: mit vollem Risiko... Das Risiko des Josef lehrt uns etwas: Er nimmt das Leben, wie es kommt. Gott hat eingegriffen? Ich nehme es so an. Und Josef tut, was ihm der Engel des Herrn befohlen hatte.

Im Evangelium heißt es nämlich: „Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Er erkannte sie aber nicht, bis sie ihren Sohn gebar. Und er gab ihm den Namen Jesus“ (Mt 1,24-25). Christliche Verlobte sind aufgerufen, Zeugnis abzulegen von einer solchen Liebe, die den Mut hat, von der Logik des Verliebtseins zur Logik der reifen Liebe überzugehen. Es ist eine anspruchsvolle Entscheidung, die das Leben nicht zum Gefängnis macht, sondern die Liebe stärkt, so dass sie in den Prüfungen der Zeit Bestand haben kann. 

„Heiliger Josef, hilf uns, uns von Gott überraschen zu lassen“

Die Liebe eines Paares reift im Lauf des Lebens, jeden Tag. Die Liebe der Verlobungszeit ist, wenn ich das so sagen darf, ein bisschen romantisch... Dann fängt die reife Liebe an - alle Tage, die Arbeit, die Kinder - und manchmal verschwindet die Romantik etwas. Ist da keine Liebe mehr? Doch: reife Liebe... Dieser Weg von der Verliebtheit zur reifen Liebe ist eine anspruchsvolle Entscheidung, aber wir müssen auf dieser Straße gehen.

Lasst uns auch heute zum Abschluss zum heiligen Josef beten.

Heiliger Josef,
du, der du Maria in Freiheit geliebt hast
und dich dazu entschieden hast, dich von deiner Vorstellungswelt zu trennen, um Platz zu machen für die Realität,
hilf uns, uns von Gott überraschen zu lassen
und das Leben nicht als ein unvorhergesehenes Ereignis zu betrachten, vor dem wir uns schützen müssen,
sondern als ein Mysterium, das das Geheimnis der wahren Freude birgt.
Schenke allen christlichen Verlobten Freude und Radikalität,
doch stets in dem Bewusstsein,
dass nur Barmherzigkeit und Vergebung die Liebe möglich machen. Amen.

(vatican news - skr/sk)
 

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01. Dezember 2021, 10:33