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Wortlaut: Ansprache von Papst Franziskus bei seiner Generalaudienz

Hier finden Sie die Ansprache, die Papst Franziskus bei der ersten Generalaudienz des neuen Jahres an diesem Mittwoch gehalten hat, in einer Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan.

Sämtliche Wortmeldungen des Papstes in ihrer offiziellen Fassung werden auf der Internetseite des Heiligen Stuhls veröffentlicht.

Liebe Brüder und Schwestern, guten Morgen!

Heute werden wir über den heiligen Josef als Vater Jesu meditieren. Die Evangelisten Matthäus und Lukas stellen ihn als vermeintlichen Vater Jesu dar, nicht als seinen biologischen Vater. Matthäus präzisiert dies, indem er die Formel ‚zeugte‘ vermeidet, die im Stammbaum für alle Vorfahren Jesu verwendet wird; stattdessen definiert er ihn als ‚ Mann Marias; von ihr wurde Jesus geboren, / der der Christus (der Messias) genannt wird‘ (1,16). Lukas bekräftigt dies, indem er sagt: ‚Man hielt ihn für den Sohn Josefs‘ (3:23), das heißt, er erschien als Vater.

Um die vermeintliche oder rechtliche Vaterschaft Josephs zu verstehen, muss man bedenken, dass in der Antike im Orient die Adoption sehr verbreitet war, stärker noch als heute. Man denke an die in Israel übliche ‚Schwagerehe‘, die im Buch Deuteronomium folgendermaßen dargestellt wird: ‚ Wenn zwei Brüder zusammen wohnen und der eine von ihnen stirbt und keinen Sohn hat, soll die Frau des Verstorbenen nicht die Frau eines fremden Mannes außerhalb der Familie werden. Ihr Schwager soll sich ihrer annehmen, sie heiraten und die Schwagerehe mit ihr vollziehen. Der erste Sohn, den sie gebiert, soll den Namen des verstorbenen Bruders weiterführen. So soll dessen Name in Israel nicht erlöschen’ (25,5-6). Mit anderen Worten: Der Elternteil dieses Kindes ist der Schwager, aber der rechtliche Vater bleibt der Verstorbene, der dem neugeborenen Kind alle erblichen Rechte überträgt. Dieses Gesetz verfolgte einen doppelten Zweck: die Sicherung der Nachkommenschaft des Verstorbenen und die Erhaltung des Nachlasses.

Wie Adam, Abraham, Jakob

Als offizieller Vater Jesu nahm Josef das Recht wahr, den Namen seines Sohnes festzulegen und ihn rechtlich anzuerkennen. Rechtlich ist er der Vater, aber er hat ihn nicht gezeugt.

In der Antike war der Name der Inbegriff der Identität einer Person. Den Namen zu ändern bedeutete, sich selbst zu ändern – wie im Fall von Abram, dessen Namen Gott in Abraham änderte, was ‚Vater der Menge‘ bedeutet, ‚denn‘, so heißt es im Buch Genesis, ‚zum Stammvater einer Menge von Völkern habe ich dich bestimmt‘ (17:5). Das Gleiche gilt für Jakob, der Israel genannt wird, was ‚Gottesstreiter‘ bedeutet, weil er mit Gott gerungen hat, um ihn zu zwingen, ihm seinen Segen zu geben (vgl. Gen 32,29; 35,10).

Jemandem oder etwas einen Namen zu geben, bedeutete aber vor allem, seine Autorität über das Benannte geltend zu machen, wie es Adam tat, als er allen Tieren einen Namen gab (vgl. Gen 2,19-20).

„Als Vater wird man nicht geboren, zum Vater wird man“

Josef wusste, dass Gott bereits einen Namen für Mariens Sohn vorbereitet hatte - den Namen gibt Jesus der wahre Vater Jesu, Gott: Jesus, was so viel bedeutet wie ‚Der Herr rettet‘. So hatte der Engel es ihm (im Traum) erklärt: ‚Denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen‘ (Mt 1,21). Dieser besondere Aspekt der Figur des Josef gibt uns heute die Gelegenheit, über Vaterschaft und Mutterschaft nachzudenken. Und das halte ich für sehr wichtig: an die Vaterschaft heute denken. Denn wir leben in einer Epoche des Waisendaseins, nicht? Es ist kurios: unsere Zivilisation ist ein wenig Waise, das spürt man, dieses Waisendasein. Möge die Figur des Heiligen Josef, der an der Stelle des wahren Vaters, Gott, steht, uns dabei helfen, wie man dieses Gefühl, Waise zu sein, das uns heute so weh tut, heilen kann.

Es reicht nicht aus, ein Kind auf die Welt zu bringen, um zu sagen, dass wir Vater oder Mutter sind. ‚Als Vater wird man nicht geboren, zum Vater wird man. Und man wird es nicht nur, weil man ein Kind gezeugt hat, sondern weil man sich verantwortungsvoll um dieses Kind kümmert. Jedes Mal, wenn jemand die Verantwortung für das Leben eines anderen übernimmt, übt er in gewissem Sinne eine Vaterschaft ihm gegenüber aus‘ (vgl. Apostolisches Schreiben Patris corde). Ich denke dabei vor allem an all diejenigen, die sich durch den Weg der Adoption für das Leben öffnen, welches ein so großzügiges und schönes Verhalten darstellt... Joseph zeigt uns, dass diese Art von Bindung nicht zweitrangig ist, sie ist kein Ersatz, nein. Diese Art der Entscheidung gehört zu den höchsten Formen der Liebe, der Vaterschaft und der Mutterschaft.

„Keine Angst haben vor der Adoption“

Wie viele Kinder in der Welt warten darauf, dass sich jemand um sie kümmert! Und wie viele Ehepartner wünschen sich, Väter und Mütter zu sein, können es aber aus biologischen Gründen nicht; oder sie wollen, obwohl sie bereits Kinder haben, die Zuneigung ihrer Familie mit denjenigen teilen, die ohne sie geblieben sind.

Wir dürfen keine Angst haben, den Weg der Adoption zu wählen und das ‚Risiko‘ einzugehen, Kinder aufzunehmen.

Und auch heute, im Zusammenhang mit dem Waisendasein, gibt es einen gewissen Egoismus. Neulich sprach ich über den demografischen Winter, den wir heute erleben, dass die Menschen keine Kinder haben wollen, oder zumindest eines und nicht mehr. Und viele, viele Paare haben keine Kinder, weil sie nicht wollen, oder sie haben eines und nicht mehr - aber sie haben zwei Hunde, zwei Katzen ... Ja, Hunde und Katzen ersetzen Kinder. Ja, das bringt einen zum Lachen, das verstehe ich, aber es ist die Realität.

Und diese Verleugnung der Vater- und Mutterschaft setzt uns herab, nimmt uns die Menschlichkeit. Und so wird die Gesellschaft älter und unmenschlicher, weil der Reichtum der Vaterschaft und der Mutterschaft verloren geht. Und das Vaterland leidet, weil es keine Kinder hat und - wie einer mal etwas humorvoll sagte - ,und wer zahlt jetzt die Steuern für meine Rente, da es keine Kinder gibt?': er lachte, aber es ist die Wahrheit. Wer wird sich um mich kümmern?

Ich bitte den heiligen Josef um die Gnade, das Gewissen zu wecken und darüber nachzudenken: Kinder zu bekommen. Vaterschaft und Mutterschaft sind die Fülle des Lebens eines Menschen. Denken Sie einmal darüber nach. Gewiss, es gibt eine geistliche Vaterschaft für diejenigen, die sich Gott weihen, und eine geistliche Mutterschaft; aber diejenigen, die in der Welt leben und heiraten, denkt daran, Kinder zu bekommen, das Leben zu schenken, denn sie sind es, die (nach dem Tod, Anm.) Eure Augen verschließen werden, die von euch etwas für die Zukunft übernehmen werden. Und wenn Ihr keine Kinder bekommen könnt, denkt über eine Adoption nach. Es ist ein Risiko, ja: Ein Kind zu bekommen ist immer ein Risiko, ob auf natürlichem Wege oder durch Adoption. Aber es ist riskanter, keine zu haben. Riskanter ist die Verleugnung der Vaterschaft, die Verleugnung der Mutterschaft, sei sie real oder geistig. Aber zu verleugnen, ein Mann und eine Frau, die keinen Sinn für Vaterschaft und Mutterschaft entwickeln, ihnen fehlt etwas, etwas Wesentliches, etwas Wichtiges. Denkt bitte daran.

Ich hoffe, dass die Behörden immer bereit sein werden, in dieser Hinsicht der Adoption zu helfen, indem sie das notwendige Verfahren ernsthaft überwachen, aber auch vereinfachen, damit der Traum so vieler Kinder, die eine Familie brauchen, und so vieler Ehepartner, die sich in Liebe hingeben wollen, wahr werden kann.

Vor einiger Zeit hörte ich das Zeugnis eines Menschen, eines Arztes - wichtig, sein Beruf -, der keine Kinder hatte und mit seiner Frau beschloss, eines zu adoptieren. Und als die Zeit gekommen war, boten sie ihnen einen Jungen an und sagten: ,Aber wir wissen nicht, wie es um die Gesundheit dieses einen bestellt ist. Er könnte eine Krankheit haben'. Und er sagte - er hatte es gesehen - er sagte: ,Wenn Sie mich das gefragt hätten, bevor ich hier eingetreten war, hätte ich vielleicht nein gesagt. Aber jetzt habe ich ihn gesehen: Ich nehme ihn mit.' Das ist der Wunsch, auch bei der Adoption Vater und Mutter zu sein. Davor braucht Ihr keine Angst zu haben.

Ein Gebet

Ich bete darum, dass sich niemand der väterlichen Liebe beraubt fühlen möge. Und diejenigen, die an der Krankheit des Waisendaseins leiden, mögen ohne dieses häßliche Gefühl vorwärt gehen. Der heilige Josef möge die Waisenkinder schützen und ihnen helfen, und er möge Fürsprache einlegen für die Paare, die sich ein Kind wünschen. Hierfür beten wir gemeinsam:

Heiliger Josef,
der du Jesus mit väterlicher Liebe geliebt hast,
sei den vielen Kindern nahe, die keine Familie haben
und die sich einen Vater und eine Mutter wünschen.
Unterstütze die Ehepaare, die keine Kinder bekommen können.
Hilf ihnen, durch dieses Leiden einen größeren Plan zu entdecken.
Sorge dafür, dass niemandem ein Zuhause, eine Bindung fehlen möge,
eine Person, die sich um ihn oder sie kümmert;
und heile den Egoismus derjenigen, die sich dem Leben verschließen,
auf dass sie ihre Herzen für die Liebe öffnen. Amen.

(vatican news – sk)
 

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05. Januar 2022, 10:14