„Wir müssen uns auf Flüchtlingsströme einstellen“
Radio Vatikan: Papst Franziskus hat an diesem Mittwoch bei der Generalaudienz dazu aufgerufen, insbesondere am kommenden Aschermittwoch für den Frieden in der Ukraine zu beten und zu fasten. Wie hat Renovabis denn diesen Appell aufgenommen?
Pfr. Thomas Schwartz: „Wir sind dankbar für diese Initiative des Heiligen Vaters. Er hatte ja schon einmal am 26. Januar zu einem solchen Geburtstag aufgerufen, und wir haben daraufhin am Rand der Münchner Sicherheitskonferenz eine bundesweite ökumenische Aktion zusammen mit vielen Partnerinnen und Partnern in Deutschland durchgeführt. Diese Initiative zu einem ökumenischen Friedensgebet wurde auch von sehr vielen aufgenommen.
Wir werden das jetzt auch wieder aufgreifen und versuchen, diesen Gebets- und Fastenaufruf – denn es ist ja beides – weiterzugeben, zum Beispiel auf unserer Homepage.“
Radio Vatikan: Gleichzeitig appelliert der Papst ja auch an alle politischen Verantwortungsträger, ihr Gewissen zu prüfen und Einzelinteressen hintanzustellen. Est nicht das erste Mal, dass er das gesagt hat – inwieweit sind diese Appelle überhaupt wirksam?
Pfr. Thomas Schwartz: „Das vermag ich nicht wirklich zu sagen. Wir sehen zumindest in Deutschland, dass viele Verantwortliche in der Politik jetzt leider zugeben müssen (und das auch sehr zerknirscht tun), dass die Außenpolitik der letzten Jahre offensichtlich nicht mit Erfolg gekrönt war. Dass alle Versuche, Putin dazu zu bewegen, sich auf einen friedlichen Weg der Verhandlungen, des diplomatischen Miteinander-Ringens zu beschränken, gescheitert sind. Und dass jetzt in der Tat Sanktionen – und zwar deutliche, auch für uns alle schmerzhafte Sanktionen – notwendig werden.“
Radio Vatikan: Wenn wir mal auf die Situation der Menschen vor Ort blicken – was berichten Ihnen denn Ihre Projektpartner?
Pfr. Thomas Schwartz: „Einerseits eine gewisse Gelassenheit, denn wir müssen uns immer klar machen: Der Kriegszustand ist nichts Neues. Seit über acht Jahren leben die Menschen in der Kontaktzone, das heißt also an dieser scheinbaren Grenze zwischen besetzten und nicht besetzten Gebieten in der Ostukraine, im Krieg. Die Menschen haben seit acht Jahren Gewalt und Bombenanschläge, Granateneinschläge als tägliches Leben wahrnehmen müssen. Und das gilt natürlich zumal für die Kinder, die dort die größten Opfer als vulnerable Gruppen sind. Die sind an den Krieg mittlerweile fast gewöhnt! Andererseits herrscht natürlich jetzt eine unglaublich große Angst dergestalt, dass nicht nur die tägliche Bedrohung, sondern auch der Verlust der Heimat durch den Krieg zu einer Realität werden kann.“
Radio Vatikan: Wie helfen Sie denn dort?
Pfr. Thomas Schwartz: „Wir helfen in verschiedensten Weisen. Jetzt schon haben wir mit unseren Partnern, beispielsweise bei der Caritas in der Ukraine, Möglichkeiten für mobile Küchen für Flüchtlings-Auffangorte geschaffen; wir sind aber auch seit Jahren damit unterwegs, diese vulnerable Gruppen, die besonderen von der Situation, die es da seit Jahren gibt, betroffen sind – alte, alleingelassene Menschen in dieser Kontaktzone; Kinder, die verhaltensauffällig werden, die keine guten menschlichen Beziehungen mehr eingehen können – zu unterstützen mit sozialpädagogischen, psychosozialen Leistungen, mit Psychologinnen und Sozialpädagogen. Das wird von uns finanziert. Und die Caritas in der Ukraine ist da sehr engagiert mit vielen Haupt- und auch ganz vielen Ehrenamtlichen, da wirklich den Menschen beizustehen.“
Eine dramatische Trennung
Radio Vatikan: Wie sieht denn die Situation in den besetzten Gebieten aus?
Pfr. Thomas Schwartz: „Dazu kann man natürlich nur begrenzt etwas sagen; wir haben gar nicht so viele Kontakte in den besetzten Gebieten, und die Kontakte wurden auch in den letzten Jahren immer wieder kontrolliert und eingeschränkt. Was wir im Moment wissen, ist, dass einerseits manche durchaus damit zufrieden sind, dass jetzt Putin - der Kreml - die Realität, die schon seit acht Jahren gegeben war, auch wirklich offiziell macht. Das ist also etwas, was durchaus nicht unterschlagen werden sollte: Es gibt viele, die auch damit zufrieden sind.
Es gibt aber auch viele, die jetzt wissen: Es wird jetzt so ernst, dass ein Tischtuch zwischen den früheren Nachbarn in der in der Ostukraine zerschnitten wird. Und dass es jetzt ist nicht mehr möglich sein wird, vertrauensvoll miteinander Zukunft zu bauen, sondern die einen zu Unterdrückern und die anderen zu Unterdrückten werden. Und das ist ja für eine Gemeinschaft in einer Gegend, die früher eigentlich ein Land war, das Dramatischste, was man sich vorstellen kann.“
Radio Vatikan: Was bedeutet diese Eskalation, die wir stündlich sehen, denn für Deutschland und Europa im Allgemeinen?
Pfr. Thomas Schwartz: „Einerseits müssen wir jetzt, wie gesagt, konstatieren, dass wir letztlich alle Versuche mit Putin und mit dem Kreml zu einer diplomatischen Verhandlungsbasis, die vertrauensvoll Zukunft gestalten will für diese Region, über Bord werfen müssen. Das ist offensichtlich nicht gewollt und nicht mehr möglich, obwohl natürlich immer Kanäle für das Gespräch offen bleiben sollten – zumindest ist das die große Hoffnung, die wir trotzdem haben.
Andererseits müssen wir uns langsam darauf einstellen, dass, sollte es tatsächlich noch zu weiteren Eskalationen kommen, die mit neuen Flüchtlingsströmen verbunden sind – es gibt ja jetzt schon anderthalb Millionen Binnenflüchtlinge in der Ukraine! –, die Ukraine selber, dieses Land, das dann im Krieg und vom Krieg gebeutelt sein wird, das nicht mehr auffangen können wird. Dann müssen wir uns darauf vorbereiten in den europäischen Staaten, dass wir nicht nur schöne Worte, sondern auch wichtige Unterstützungsmaßnahmen im Sinne einer Aufnahme von Flüchtlingen organisieren müssen.
Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Zeiten einer Migrationskrise wiederkommen werden. Und diesmal sollte es uns klar sein, dass die Menschen, die zu uns kommen, nicht freiwillig bei uns ankommen werden. Dass sie nicht in Deutschland das Heil suchen, sondern einfach vor dem Unheil in einer Kriegslandschaft flüchten, wie schon einmal in den 90er Jahren im ehemaligen Jugoslawien.“
Radio Vatikan: Der russische Präsident Putin hat unter anderem auch eine angebliche Verfolgung orthodoxer Christen des Moskauer Patriarchats in der Ukraine als Argument dafür angeführt, dass er die Separatisten Republiken anerkannt hat. Die ukrainische Staatsführung habe die Tragödie der Kirchenspaltung zynisch zu einem Instrument ihrer Staatspolitik gemacht, hat er gesagt. Wie ist das denn zu bewerten?
Pfr. Thomas Schwartz: „Genauso zynisch, wie er es gesagt hat. Letztlich war ja gerade in den sogenannten Volksrepubliken diese Kirchenspaltung nicht vollzogen worden. Das also jetzt als Argument anzuführen, um dort einzumarschieren, ist an Zynismus und Verlogenheit nicht zu übertreffen. Das muss man auch leider so konstatieren; es ist traurig, dass man das so sagen muss.
Das Zweite ist: Natürlich ist es seit der Erklärung der Unabhängigkeit der ukrainisch-orthodoxen Kirche vom Moskauer Patriarchat zu Spannungen gekommen, zu großen Spannungen – übrigens auch zu inner-orthodoxen Spannung allgemein. Doch das ist eine andere Baustelle, dazu äußert sich besser Seine Eminenz, Kardinal Koch. Aber natürlich hat es nicht unbedingt die Lage verbessert, dass auch die Vertreter der Kirche nicht mehr miteinander gesprochen haben. Dabei wäre das eigentlich etwas, das man sich immer erhoffen würde: dass Vertreter der christlichen Denominationen zum Frieden und zum Dialog aufrufen könnten. Das ist leider nicht mehr der Fall.“
Radio Vatikan: Wie kann man denn vor diesem Hintergrund die aktuelle Botschaft einordnen, mit der der orthodoxe Patriarch Kyrill dem russischen Präsidenten überaus herzlich zum Tag des ,Verteidigers des Vaterlandes' gratuliert hat?
Pfr. Thomas Schwartz: „Ich bin sehr erstaunt und - ohne dass ich da jetzt für die katholische Kirche sprechen kann und möchte, und auch nicht für Renovabis- persönlich sehr enttäuscht von dieser fast servilen Art und Weise, in der dort höchste und allerhöchste Kirchenvertreter in Russland wieder dem patriotischen Geist frönen, der immer wieder eingefordert wurde, wenn es darum ging, das Volk auf Kriegshandlungen einzustimmen. Man hat früher einmal vom Cäsaropapismus gesprochen; ob das in diesem Fall nicht auch schon wieder ein Bild ist, das passt, vermag ich jetzt noch nicht zu sagen – aber es ist zumindest für mich sehr traurig, so etwas lesen und hören zu müssen.“
Radio Vatikan: Schlagen wir mal einen Bogen zurück zu Ihnen: Sie sind seit Oktober Hauptgeschäftsführer bei Renovabis, dem Hilfswerk der deutschen Bischöfe für Osteuropa. Wo haben Sie denn schon Akzente gesehen, die Sie setzen möchten, jetzt in Ihrer Amtszeit?
Pfr. Thomas Schwartz: „Zunächst einmal (wäre mir wichtig), deutlich zu machen, dass wir nicht nur ein Hilfswerk der deutschen Bischöfe, sondern eine Solidaritätsaktion der deutschen Katholikinnen und Katholiken sind. Es ist nicht nur die Bischofskonferenz, sondern auch das ZdK, das für die Benennung eines Hauptgeschäftsführers von Renoviertes verantwortlich ist, weil eben die Geschichte dieses Werkes eine Geschichte der Katholiken, die solidarisch etwas für die Menschen in Mittelosteuropa tun möchten, gewesen ist und auch bleiben soll. Von daher hat sich Renovabis immer ein wenig von den anderen Werken, die im kirchlichen Bereich tätig sind, unterschieden, weil sie – ohne den Bischöfen zu nahe treten zu wollen – von einer größeren Basis, getragen und initiiert worden sind.
Die ersten Monate waren natürlich erst einmal geprägt von einer Strukturveränderung bei uns im Haus. Wir haben auch einige Veränderungen in der Organisation in der Geschäftsführung bekommen, die von der Bischofskonferenz mit dem ZdK zusammen initiiert worden sind; das musste jetzt erst mal umgesetzt werden. Ich musste meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erst einmal kennen- und schätzenlernen und bin da positiv überrascht von der Kompetenz und der Expertise, die mir in diesem Haus geballt begegnet und jeden Tag neu begegnet. Also, ich bin völlig begeistert von diesen Frauen und Männern, die da zum Teil seit Jahrzehnten engagiert Gutes und Bestes geben, um in Mittel und Osteuropa zu arbeiten.
In der Tat: Wir müssen als Werk politischer werden. Wir müssen die Stimme der Christen als Botschafter für die Menschen aus Osteuropa auch hörbar machen. Wir müssen deutlich machen, dass Ost und Mittelosteuropa unsere Nachbarschaft ist und nicht sozusagen Fernsten-Verantwortung hier gefragt ist, sondern Nächsten-Verantwortung: dass das die Haustür von Europa ist, für die wir tätig sind! Und das muss auch in der Politik und dort, wo Politik gemacht wird, in Berlin und in Brüssel, noch stärker gehört werden. Dann können wir angesichts der Probleme finanzieller Natur, die die Kirche natürlich in den nächsten Jahren zu gewärtigen hat, auch hoffentlich neue Finanzierungsmöglichkeiten auftun, um diese wichtige Aufgabe weiter zu erfüllen.“
Allein in der Ukraine in 20 Jahren über 120 Millionen Euro aufgewendet
Radio Vatikan: Sie haben es angesprochen – finanzielle Probleme stehen in der Kirche nicht nur am Horizont, sondern fangen ja schon an, sichtbar zu werden. Wie hat sich das auf die Finanzen von Renovabis ausgewirkt?
Pfr. Thomas Schwartz: „Also, gottlob in den letzten Jahren noch nicht so negativ, wie zu befürchten gewesen war. Die deutschen Bischöfe, das heißt der Verband der Diözesen in Deutschland, unterstützt Renovabis nach wie vor mit erklecklichen Kirchensteuer-Mitteln, und dafür sind wir sehr dankbar. Aber dieses Geld brauchen wir auch, weil wir sonst nämlich die vielen Projekte nicht nur in der Ukraine, sondern auch darüber hinaus in Kroatien, in Polen, in Tschechien, in Albanien, in vielen anderen Ländern dieser 29 Staaten, die früher kommunistisch regiert waren, nicht unterstützen können. Wobei wir in der Ukraine in den letzten 20 Jahren über 120 Millionen Euro zu den Menschen gebracht haben und in Projekte investieren konnten…
Und wir müssen in der Tat schauen, dass wir die Spendenbereitschaft der Bevölkerung stärken. Damit müssen wir uns aber auch deutlicher in der Gesellschaft und in der Öffentlichkeit zeigen, damit man weiß, was wir alles tun. Man kann nur dann etwas im Klingelbeutel bekommen, wenn man vorher anständig rappelt!“
Radio Vatikan: Dieses Jahr „rappelt“ es ja schon zum 30. Mal mit der Pfingstaktion von Renovabis. Sie steht in diesem Jahr unter dem Motto ‚Dem glaub ich gern – was Ost und West verbinden kann‘; die bundesweite Eröffnung ist am 22. Mai in Fulda. Was sind in diesem Jahr Schwerpunkte?
Thomas Schwarz: „Ein erster Schwerpunkt ist die Glaubensvermittlung, und das ist ja eine der größten Herausforderungen, vor der wir natürlich in Deutschland, aber eben auch in Ost und West stehen. Und die Suche nach glaubwürdigen Persönlichkeiten, nach glaubwürdigen Zeugen für die frohe Botschaft, dass Gott den Menschen nahekommt und dass der Mensch in allen Situationen Hoffnung haben kann, dass der Glaube Berge versetzen kann und dass man im Glauben über Wasser laufen kann. Das werden Sie dann auf dem Kampagnenplakat auch sehen…
Und das wollen wir in den nächsten Monaten nicht nur in Fulda, sondern auch auf dem Katholikentag in Stuttgart natürlich auch an die Frau und an den Mann bringen.“
Die Fragen stellte Christine Seuss
(vatican news – cs)
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