Aschermittwoch in Rom: Die Predigt im Wortlaut
An diesem Tag, der die Fastenzeit eröffnet, sagt uns der Herr: » Hütet euch, eure Gerechtigkeit vor den Menschen zu tun, um von ihnen gesehen zu werden; sonst habt ihr keinen Lohn von eurem Vater im Himmel zu erwarten« (Mt 6,1). Es mag überraschen, aber das Wort, das im heutigen Evangelium am häufigsten vorkommt, ist Lohn (vgl. V. 1.2.5.16). Am Aschermittwoch richtet sich unsere Aufmerksamkeit für gewöhnlich auf den Einsatz, den der Weg des Glaubens erfordert, und nicht auf die Belohnung, zu der er führt. Doch heute kommt Jesus in seiner Predigt immer wieder auf diesen Begriff des Lohns zurück, der die Triebfeder für unser Handeln zu sein scheint. In der Tat gibt es in uns, in unseren Herzen, einen Durst, ein Verlangen nach dem Erreichen eines Lohns, der uns anzieht und uns zu dem antreibt, was wir tun.
Der Lohn beim Vater und der Lohn bei den Menschen
Der Herr unterscheidet jedoch zwischen zwei Arten von Lohn, die ein Mensch in seinem Leben anstreben kann: zum einen den Lohn beim Vater und zum anderen den Lohn bei den Menschen. Der erste ist ewig, er ist der wahre, endgültige Lohn, er ist das Ziel des Lebens. Der zweite hingegen ist vergänglich, er ist ein Blendwerk, zu dem wir neigen, wenn die Bewunderung der Menschen und der weltliche Erfolg für uns das Wichtigste, die größte Befriedigung sind. Aber das ist eine Täuschung: Es ist wie ein Trugbild, das uns, wenn wir es erreicht haben, mit leeren Händen zurücklässt. Unruhe und Unzufriedenheit befinden sich für diejenigen, deren Horizont die Weltlichkeit ist, die verführt, aber dann enttäuscht, immer in unmittelbarer Nähe. Wer auf den Lohn der Welt schaut, findet keinen Frieden und kann den Frieden auch nicht fördern. Denn er verliert den Vater und die Geschwister aus den Augen. Es ist ein Risiko, das wir alle eingehen, und deshalb warnt uns Jesus: »Seid wachsam«. Es ist, als würde er sagen: „Ihr habt die Möglichkeit, in den Genuss eines unendlichen Lohns ohnegleichen zu gelangen: Hütet euch also davor, euch von Äußerlichkeiten blenden zu lassen und billigem Lohn nachzujagen, der in euren Händen zerrinnt“.
Der Ritus der Aschenauflegung auf unser Haupt soll uns der falschen Vorstellung entreißen, den Lohn bei den Menschen dem Lohn beim Vater voranzustellen. Dieses schroffe Zeichen, das uns zum Nachdenken über die Vergänglichkeit unseres menschlichen Daseins anregt, ist wie eine bittere, aber wirksame Medizin, um die Krankheit des Scheins heilen. Es handelt sich um eine geistige Krankheit, die den Menschen versklavt und ihn dazu bringt, von der Bewunderung anderer abhängig zu werden. Es ist eine regelrechte „Sklaverei der Augen und des Geistes“ (vgl. Eph 6,6; Kol 3,22), die dazu führt, unter dem Banner der Eitelkeit zu leben, so dass nicht die Reinheit des Herzens zählt, sondern die Bewunderung der Menschen; nicht der Blick Gottes auf uns, sondern der Blick der anderen auf uns. Und man kann kein gutes Leben führen, wenn man sich mit diesem Lohn zufriedengibt.
Auch Gebet, Nächstenliebe und Fasten können selbstbezogen sein...
Das Unglück ist, dass diese Krankheit des Scheins selbst den heiligsten Bereichen nachstellt. Das ist es, worauf Jesus heute beharrt: Sogar Gebet, Nächstenliebe und Fasten können selbstbezogen sein. In jeder noch so schönen Geste kann sich der Wurm der Selbstgefälligkeit verbergen. Dann ist das Herz nicht völlig frei, denn es sucht nicht die Liebe zum Vater und zu den Geschwistern, sondern die menschliche Anerkennung, den Beifall der Menschen, den eigenen Ruhm. Und alles kann zu einer Art Vortäuschung gegenüber Gott, gegenüber sich selbst und gegenüber den anderen werden. Deshalb lädt uns das Wort Gottes ein, in uns selbst hineinzuschauen, um unsere Heucheleien zu erkennen. Diagnostizieren wir den Schein, nach dem wir trachten, und versuchen wir, ihn zu entlarven. Das wird uns guttun.
Die kramphafte Suche nach weltlichen Belohungen...
Die Asche bringt die Nichtigkeit ans Licht, die sich hinter der krampfhaften Suche nach weltlichen Belohnungen verbirgt. Sie erinnert uns daran, dass die Weltlichkeit wie Staub ist, der von einem Windhauch weggeweht wird. Schwestern und Brüder, wir sind nicht auf dieser Welt, um dem Wind nachzujagen; unser Herz dürstet nach Ewigkeit. Die Fastenzeit ist eine Zeit, die der Herr uns geschenkt hat, um zum Leben zurückzukehren, um innerlich geheilt zu werden und um auf Ostern zuzugehen, auf das, was nicht vergeht, auf den Lohn beim Vater. Sie ist ein Weg der Heilung. Nicht um von heute auf morgen alles zu ändern, sondern um jeden Tag mit einem neuen Geist, mit einem anderen Stil zu leben. Dazu dienen das Gebet, die Nächstenliebe und das Fasten: gereinigt durch die Asche der Fastenzeit, gereinigt von der Heuchelei des Scheins, entfalten diese drei ihre ganze Kraft und erneuern die lebendige Beziehung zu Gott, zu den Brüdern und Schwestern und zu sich selbst.
Das demütige Gebet, das „im Verborgenen“ (Mt 6,6), in der Abgeschiedenheit der eigenen Kammer, verrichtet wird, wird zum Geheimnis, um das Leben draußen zum Blühen zu bringen. Es ist ein liebevoller Dialog der Zuneigung und des Vertrauens, der tröstet und das Herz öffnet. Beten wir besonders in dieser Fastenzeit mit Blick auf den Gekreuzigten: Lassen wir uns von der bewegenden Zärtlichkeit Gottes einnehmen und legen wir unsere Wunden und die der Welt in seine Wunden. Lassen wir uns nicht hetzen und verweilen wir in Stille vor ihm. Entdecken wir die fruchtbare Bedeutung des vertrauten Dialogs mit dem Herrn wieder. Denn Gott sind nicht die aufsehenerregenden Dinge wohlgefällig, sondern er liebt es, sich im Verborgenen zu zeigen. Es ist „die Vertraulichkeit der Liebe“, die weit entfernt ist von aller Zurschaustellung und lauten Tönen.
Wenn das Gebet echt ist, kann es sich nicht anders, als sich in Nächstenliebe zu übertragen. Und die Nächstenliebe befreit uns von der schlimmsten Sklaverei, nämlich der unserer selbst. Die durch die Asche gereinigte Nächstenliebe in der Fastenzeit bringt uns zurück zum Wesentlichen, zur innigen Freude des Gebens. Das Almosen, das abseits des Rampenlichts gegeben wird, gibt dem Herzen Frieden und Hoffnung. Es offenbart uns die Schönheit des Gebens, das zum Empfangen wird, und ermöglicht uns so, ein kostbares Geheimnis zu entdecken: Geben erfüllt das Herz mit mehr Freude als nehmen. (vgl. Apg 20,35).
Das Leben darf nicht der vergänglichen Bühne dieser Welt unterworfen werden
Schließlich das Fasten. Es ist keine Diät, sondern befreit uns von der Selbstbezogenheit des zwanghaften Strebens nach körperlichem Wohlbefinden, um uns zu helfen, nicht den Körper, sondern den Geist in Form zu halten. Das Fasten führt uns wieder dazu, den Dingen den richtigen Wert zu geben. Es erinnert uns konkret daran, dass das Leben nicht der vergänglichen Bühne dieser Welt unterworfen werden darf. Und das Fasten sollte sich nicht nur auf das Essen beschränken: Gerade in der Fastenzeit sollten wir in all dem fasten, was uns in eine gewisse Abhängigkeit bringt. Darüber sollte jeder nachdenken, um auf eine Weise zu fasten, die sich wirklich auf sein konkretes Leben auswirkt.
Wenn aber Gebet, Nächstenliebe und Fasten im Geheimen reifen müssen, so sind doch ihre Wirkungen nicht verborgen. Gebet, Nächstenliebe und Fasten sind nicht nur Medikamente für uns, sondern für alle: Sie können die Geschichte verändern: vor allem, weil diejenigen, die ihre Wirkungen erfahren, sie fast unbemerkt auf andere übertragen; und vor allem, weil Gebet, Nächstenliebe und Fasten die wichtigsten Wege sind, die es Gott ermöglichen, in unser Leben und in das Leben der Welt einzugreifen. Sie sind die Waffen des Geistes, und mit ihnen erflehen wir an diesem Gebets- und Fasttag für die Ukraine von Gott den Frieden, den Menschen allein nicht zu aufzubauen vermögen.
Herr, der du ins Verborgene siehst und uns über alle Erwartungen hinaus belohnst, erhöre die Gebete all derer, die auf dich vertrauen, besonders der Demütigsten, der am meisten Geprüften, derer, die leiden und unter dem Lärm der Waffen fliehen. Gib unseren Herzen den Frieden zurück, schenke unseren Tagen deinen Frieden wieder. Amen.
(vaticannews - skr)
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