Papst auf Malta: Wortlaut Predigt und Angelus in Floriana
Wie immer können Sie alle Ansprachen des Papstes zu seiner Reise nach Malta auf Deutsch auf der Vatikan-Sammelseite zur Reise nachlesen.
Predigt während der Heiligen Messe
Malta, 3. April 2022
Jesus ging »am frühen Morgen […] wieder in den Tempel. Alles Volk kam zu ihm« (Joh 8,2). So beginnt die Episode mit der Ehebrecherin. Der Hintergrund ist freundlich: ein Morgen an heiliger Stätte, im Herzen Jerusalems. Der Protagonist ist das Volk Gottes, das im Hof des Tempels Jesus, den Meister, aufsucht: Sie wollen ihn anhören, denn was er sagt, erleuchtet und wärmt. Seine Lehre ist nichts Abstraktes, sie betrifft das Leben und macht es frei, verwandelt es, erneuert es. Das ist der „Spürsinn“ des Gottesvolkes, das sich nicht mit dem Tempel aus Steinen zufrieden gibt, sondern sich um die Person Jesu versammelt. An dieser Episode sehen wir das Volk der Gläubigen aller Zeiten, das heilige Volk Gottes, das hier in Malta zahlreich und lebendig ist, treu in seiner Suche nach dem Herrn, gebunden an einen konkreten, gelebten Glauben. Ich danke euch dafür.
Vor dem Volk, das zu ihm strömt, hat es Jesus nicht eilig: »Er setzte sich«, heißt es im Evangelium, »und lehrte es« (V. 2). Es gibt Abwesende: das sind die Frau und ihre Ankläger. Sie sind nicht wie die anderen zum Meister gegangen, und die Gründe für ihre Abwesenheit sind unterschiedlich: Die Schriftgelehrten und Pharisäer meinen, sie wüssten schon alles, sie bräuchten die Lehre Jesu nicht; die Frau hingegen hat sich verirrt, ist vom Weg abgekommen, weil sie ihr Glück auf falschen Pfaden gesucht hat. Die Abwesenheit ist also auf unterschiedliche Beweggründe zurückzuführen, so wie auch der Ausgang ihrer Geschichten unterschiedlich ist. Beschäftigen wir uns mit diesen Abwesenden.
Zunächst einmal die Ankläger der Frau. In ihnen sehen wir das Bild derer, die sich rühmen, gerecht zu sein, das Gesetz Gottes zu befolgen, gute und anständige Menschen zu sein. Sie achten nicht auf ihre eigenen Fehler, sind aber sehr darauf bedacht, die Fehler der anderen zu finden. So gehen sie zu Jesus: nicht mit offenem Herzen, um ihm zuzuhören, sondern sie »wollten […] ihn auf die Probe stellen - wie uns das Evangelium sagt - um einen Grund zu haben, ihn anzuklagen« (V. 6). Es ist eine Absicht, die das Innere dieser gebildeten und religiösen Menschen deutlich macht, die die Heilige Schrift kennen, den Tempel besuchen, aber all das ihren privaten Interessen unterordnen und nicht gegen die bösen Gedanken ankämpfen, die sich in ihren Herzen regen. In den Augen der Menschen scheinen sie Experten für Gott zu sein, aber gerade sie erkennen Jesus nicht; im Gegenteil, sie sehen in ihm einen Feind, den es zu beseitigen gilt. Dazu stellen sie eine Person vor ihn, so als wäre sie eine Sache, nennen sie verächtlich „diese Frau“ und prangern ihren Ehebruch öffentlich an. Sie drängen darauf, die Frau zu steinigen, und schütten ihre Abneigung über sie aus, die sie auch gegen das Mitgefühl Jesu hegen. Und das alles tun sie unter dem Deckmantel ihres Rufs als religiöse Menschen.
Brüder und Schwestern, diese Gestalten zeigen uns, dass sich selbst in unserer Religiosität der Wurm der Heuchelei und das Laster, mit dem Finger zu zeigen, einschleichen kann. In jedem Zeitalter, in jeder Gemeinschaft. Es besteht immer die Gefahr, dass wir Jesus missverstehen, dass wir seinen Namen im Munde führen, ihn aber in Wirklichkeit verleugnen. Und dies kann auch geschehen, wenn wir Banner mit Kreuzen darauf aufziehen. Wie können wir also überprüfen, ob wir Jünger in der Schule des Meisters sind? Durch unsere Sichtweise, durch die Art, wie wir unseren Nächsten und wie wir uns selbst sehen. Das ist unser Ausgangspunkt.
Barmherzigkeit, das Herzstück Gottes
Es kommt darauf an, wie wir unseren Nächsten sehen: ob wir es so tun, wie Jesus es uns heute zeigt, also mit einem barmherzigen Blick, oder ob wir urteilend, manchmal sogar verächtlich blicken, wie die Ankläger im Evangelium, die sich als Vorkämpfer Gottes aufspielen, aber nicht merken, dass sie ihre Brüder und Schwestern mit Füßen treten. In Wirklichkeit haben diejenigen, die glauben, den Glauben zu verteidigen, indem sie mit dem Finger auf andere zeigen, vielleicht eine religiöse Vision, aber sie vertreten nicht den Geist des Evangeliums, denn sie vergessen die Barmherzigkeit, die das Herzstück Gottes ist.
Die Wahrheit des Herzens
Um zu verstehen, ob wir wahre Jünger des Meisters sind, müssen wir auch überprüfen, wie wir uns selbst sehen. Die Ankläger der Frau sind überzeugt, dass sie nichts zu lernen haben. Ihr äußerer Apparat ist zwar perfekt, aber es fehlt ihnen die Wahrheit des Herzens. Sie sind das Abbild jener Gläubigen, die in jedem Zeitalter aus dem Glauben eine Fassade machen, bei der das feierliche Äußere im Vordergrund steht, aber die innere Armut fehlt, die der kostbarste Schatz des Menschen ist. Was für Jesus zählt, ist die offene Bereitschaft derer, die sich nicht als schon angekommen, sondern als erlösungsbedürftig empfinden. Es tut uns also gut, wenn wir beten und auch wenn wir an schönen Gottesdiensten teilnehmen, uns zu fragen, ob wir im Einklang mit dem Herrn sind. Wir können ihn direkt fragen: „Jesus, ich bin hier bei Dir, aber was willst Du von mir? Was möchtest Du, dass ich in meinem Herzen, in meinem Leben verändere? Wie soll ich die anderen sehen?“ Es wird uns guttun, so zu beten, denn der Meister gibt sich nicht mit Äußerlichkeiten zufrieden, sondern sucht die Wahrheit des Herzens. Und wenn wir ihm unser Herz in Wahrheit öffnen, kann er Wunder in uns bewirken.
Wir sehen dies an der ehebrecherischen Frau. Ihre Situation scheint kompromittiert zu sein, doch in ihren Augen eröffnet sich ein neuer, undenkbarer Horizont. Mit Beleidigungen überschüttet, bereit, unerbittliche Worte und harte Strafen zu empfangen, sieht sie sich erstaunt von Gott freigesprochen, der ihr eine unerwartete Zukunft eröffnet: »Hat dich keiner verurteilt?« […] sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr« (VV. 10.11). Welch ein Unterschied zwischen dem Meister und den Anklägern! Diese hatten die Heilige Schrift zitiert, um sie zu verurteilen; Jesus, das Wort Gottes selbst, rehabilitiert die Frau vollständig und gibt ihr die Hoffnung zurück. Aus dieser Geschichte lernen wir, dass jede Bemerkung, die nicht von Nächstenliebe motiviert ist und keine Nächstenliebe enthält, denjenigen, der sie erhält, noch mehr niederschmettert. Gott hingegen lässt immer eine Möglichkeit offen. Gott hingegen lässt immer eine Möglichkeit offen und versteht es, jedes Mal Wege der Befreiung und Erlösung zu finden.
Das Leben der Frau verändert sich durch Vergebung. Barmherzigkeit und Elend sind aufeinandergetroffen und die Frau wurde verwandelt. Man könnte sogar meinen, dass sie, nachdem ihr Jesus vergeben hat, ihrerseits gelernt hat, zu vergeben. Vielleicht hat sie ihre Ankläger nicht mehr als starre und böse Menschen gesehen, sondern als diejenigen, die ihr die Begegnung mit Jesus ermöglicht haben. Der Herr will, dass wir, seine Jünger, dass wir als Kirche, der er vergeben hat, unermüdliche Zeugen der Versöhnung werden: von einem Gott, für den es das Wort „unwiederbringlich“ nicht gibt; von einem Gott, der immer vergibt, immer. Gott vergibt immer - wir sind es, die müde werden, Vergebung zu erbitten. Gott glaubt weiter an uns und gibt uns jedes Mal die Chance, wieder neu anzufangen. Es gibt keine Sünde und kein Versagen, das, wenn es zu ihm gebracht wird, nicht zu einer Gelegenheit werden könnte, ein neues, anderes Leben im Zeichen der Barmherzigkeit zu beginnen. Es gibt keine Sünde, die nicht den Weg der Vergebung gehen kann. Gott vergibt alles. Alles.
Das ist Jesus, der Herr. Diejenigen, die seine Vergebung erfahren, kennen ihn wirklich. Diejenigen, die, wie die Frau im Evangelium, entdecken, dass Gott uns durch unsere inneren Wunden besucht. Gerade dort wird der Herr gegenwärtig, denn er ist nicht für die Gesunden gekommen, sondern für die Kranken (vgl. Mt 9,12). Und heute schlägt diese Frau, die in ihrem Elend Barmherzigkeit erfahren hat und die durch die Vergebung Jesu geheilt in die Welt hinausgeht, uns als Kirche vor, wieder in die Schule des Evangeliums zurückzukehren, in die Schule des Gottes der Hoffnung, der immer wieder überrascht. Wenn wir ihn nachahmen, werden wir uns nicht auf das Anprangern von Sünden konzentrieren, sondern in Liebe nach den Sündern suchen. Wir werden nicht die Anwesenden zählen, sondern die Abwesenden aufsuchen. Wir werden nicht wieder mit dem Finger auf andere zeigen, sondern beginnen zuzuhören. Wir werden die Verachteten nicht ausgrenzen, sondern wir werden uns zuerst um die kümmern, die als Letzte angesehen werden. Das ist es, was Jesus uns heute durch sein Beispiel lehrt. Lassen wir uns von ihm in Erstaunen versetzen. Lasst uns seine Neuheit mit Freude annehmen.
Papst Franziskus vor dem Angelus
Liebe Brüder und Schwestern!
Ich bin dankbar für die Worte, die Mons. Scicluna in eurem Namen an mich gerichtet hat. Aber ich bin es, der euch sagen möchte: Danke!
Ich möchte meine Dankbarkeit dem Herrn Präsidenten der Republik und allen Autoritäten, meinen Mitbrüdern, den Bischöfen und euch, liebe Priestern, Ordensmänner und Ordensfrauen und allen Bürgern und Gläubigen Maltas und von Gozo bekunden für den Empfang und die Zuneigung, die ich erfahren habe.
An diesem Abend, nach dem Treffen mit verschiedenen Brüdern und Schwestern, die Migranten sind, wird es schon Zeit, nach Rom zurückzukehren, aber ich werde viele Momente und Worte dieser Tage mitnehmen, viele Gesten. Vor allem werde ich die vielen Gesichter und das strahlende Gesicht Maltas im Herzen bewahren. Ich danke auch all jenen, die für diesen Besuch gearbeitet haben und ich möchte herzlich die anwesenden Brüder und Schwestern der verschiedenen christlichen Konfessionen und Religionen grüßen, denen ich in diesen Tagen begegnet bin. Ich bitte alle für mich zu beten; ich werde für euch beten. Beten wir für einander!
Auf diesen Inseln atmet man die Bedeutung des Volkes Gottes. Geht so weiter voran und bedenkt dabei, dass der Glaube in der Freude wächst und im Geben gestärkt wird. Setzt die Kette der Heiligkeit fort, die so viele Malteser dazu gebracht hat, sich mit Enthusiasmus Gott und den Nächsten hinzugeben. Ich denke an Don Ġorġ Preca, der vor fünfzehn Jahren heiliggesprochen wurde. Und schließlich möchte ich ein Wort an die jungen Menschen richten, die eure Zukunft sind. Liebe Freunde, ich teile mit euch die schönste Sache des Lebens. Wisst ihr, was das ist? Es ist die Freude, sich in der Liebe zu verausgaben, die uns freimacht. Aber diese Freude hat einen Namen: Jesus. Ich wünsche euch die Schönheit, in Jesus verliebt zu sein, den Gott der Barmherzigkeit - das haben wir im Evangelium heute auch gehört - der an euch glaubt, der mit euch träumt, der euer Leben liebt und euch nie verlässt. Um immer mit Jesus, dem Volk Gottes und als Familie weiterzugehen, vergesst eure Wurzeln nicht. Redet mit den Senioren, den Großeltern, alten Menschen.
Der Herr begleite euch und die selige Jungfrau Maria behüte euch. Lasst uns jetzt zu ihr um Frieden beten. Denken wir dabei an die menschliche Tragödie in der gepeinigten Ukraine, die noch bombardiert wird in diesem gotteslästerlichen Krieg. Lasst uns nicht müde werden zu beten und denen zu helfen, die leiden. Der Friede sei mit euch!
(vatican news)
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