Wortlaut: Papst Franziskus bei der Generalaudienz
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Liebe Brüder und Schwestern, guten Morgen!
Eine der wichtigsten älteren Figuren in den Evangelien ist Nikodemus - einer der Führer der Juden -, der Jesus kennenlernen wollte, aber heimlich bei Nacht zu ihm ging (vgl. Joh 3,1-21). Im Gespräch von Jesus mit Nikodemus kommt der Kern der Offenbarung Jesu und seiner Erlösungsmission zum Vorschein, wenn er sagt: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat"(V. 16).
Jesus sagt Nikodemus, dass man, „von oben geboren werden" muss, um „das Reich Gottes zu sehen" (vgl. V. 3). Es geht nicht darum, wiedergeboren zu werden, unser Kommen in die Welt zu wiederholen, in der Hoffnung, dass eine neue Reinkarnation uns wieder die Möglichkeit eines besseren Lebens eröffnet. Diese Wiederholung ist sinnlos. Im Gegenteil, es würde dem Leben, das wir gelebt haben, jeden Sinn nehmen und es auslöschen, als wäre es ein gescheitertes Experiment, ein verfallener Wert, eine Leerstelle, die weg kann. Nein, darum geht es nicht, Jesus spricht nicht von einer solchen Wiedergeburt. Es geht um etwas anderes. Dieses Leben ist in Gottes Augen kostbar: Es kennzeichnet uns als von ihm zärtlich geliebte Geschöpfe. Die „Geburt von oben", die uns befähigt, in Gottes Reich „einzugehen", ist eine Zeugung im Geist, ein Durchschreiten des Wassers zum verheißenen Land einer mit Gottes Liebe versöhnten Schöpfung. Es ist eine Wiedergeburt von oben, mit Gottes Gnade. Es handelt sich nicht um eine erneute, physische Wiedergeburt.
Ein Missverständnis
Nikodemus missversteht diese Geburt und führt das Alter als Beweis für ihre Unmöglichkeit an: Der Mensch wird unweigerlich alt, der Traum von der ewigen Jugend geht endgültig verloren, die Vollendung ist der zeitliche Landeplatz jeder Geburt. Wie kann man sich ein Schicksal vorstellen, das die Form einer Geburt hat? Nikodemus denkt so und findet keinen Weg, die Worte Jesu zu verstehen. Diese Wiedergeburt, was ist sie?
Der Einwand von Nikodemus ist für uns sehr lehrreich. Im Lichte des Wortes Jesu können wir ihn sogar in die Entdeckung einer dem Alter eigenen Mission umwandeln. In der Tat ist das Alter nicht nur kein Hindernis für die Geburt von oben, von der Jesus spricht, sondern wird zum geeigneten Zeitpunkt, um diese zu erhellen und sie vom Missverständnis einer verlorenen Hoffnung zu befreien. Unser Zeitalter und unsere Kultur, die eine besorgniserregende Tendenz aufweisen, nämlich die Geburt eines Kindes als eine einfache Angelegenheit der "Produktion" und der biologischen Fortpflanzung des Menschen zu betrachten, kultivieren den Mythos der ewigen Jugend als die - verzweifelte - Obsession des unbestechlichen Fleisches. Warum wird das Alter - in vielerlei Hinsicht - verachtet? Das Alter ist der unwiderlegbare Beweis für die Ablehnung dieses Mythos, der uns in den Mutterleib zurückkehren lässt, um ewig jung zu sein.
Ewige Jugend - ein Mythos
Die Technik ist von diesem Mythos in jeder Hinsicht angezogen: Während wir darauf warten, den Tod zu besiegen, können wir den Körper mit Medikamenten und Kosmetika am Leben erhalten, die das Alter verlangsamen, verbergen oder es bei Seite schieben. Natürlich ist Wellness eine Sache und Mythenbildung eine andere. Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass die Verwechslung der beiden Aspekte uns in eine gewisse geistige Verwirrung bringt. Die Verwechslung von Wohlbefinden mit dem Füttern des Mythos der ewigen Jugend. Es wird so viel getan, um diese Jugendlichkeit wiederzuerlangen: so viele Tricks, so viele Operationen, um jung auszusehen. Ich erinnere mich an die Worte einer weisen italienischen Schauspielerin, Magnani, als man ihr sagte, man müsse ihre Falten entfernen, und sie sagte: "Nein, fassen Sie sie nicht an! So viele Jahre hat es gedauert, sie zu bekommen: Rühren Sie sie nicht an!" Es ist so: Falten sind ein Symbol für Erfahrung, ein Symbol für das Leben, ein Symbol für Reife, ein Symbol dafür, dass man eine Reise gemacht hat. Rührt sie nicht an, um jung zu werden, jung im Gesicht: was zählt, ist die ganze Persönlichkeit, was zählt, ist das Herz, und das Herz bleibt mit jener Jugendlichkeit eines guten Weines, der umso besser ist, je älter er wird.
Das Leben als Sterblicher ist eine schöne „unvollendete" Sache: wie bestimmte Kunstwerke, die gerade in ihrer Unvollkommenheit einen einzigartigen Reiz haben. Denn das Leben hier unten ist eine „Initiation", keine Vollendung: Wir kommen einfach so auf die Welt, als echte Menschen, als Menschen, die älter werden, aber immer real sind. Aber das Leben im sterblichen Körper hat einen zu kleinen Raum und eine zu kurze Zeit, um den wertvollsten Teil unserer Existenz in der Zeit der Welt zu bewahren und zu vollenden. Der Glaube, der die Verkündigung des Evangeliums über das Reich Gottes, zu dem wir bestimmt sind, aufnimmt, hat eine außergewöhnliche erste Wirkung, sagt Jesus. Er ermöglicht es uns, das Reich Gottes zu „sehen". Wir werden fähig, die vielen Zeichen unserer Hoffnung auf Erfüllung dessen, was in unserem Leben das Zeichen von Gottes Bestimmung für die Ewigkeit trägt, wirklich zu sehen.
Die einzigartige Schönheit des Alters
Die Zeichen sind die der evangelischen Liebe, die in vielerlei Hinsicht von Jesus erleuchtet wird. Und wenn wir sie „sehen" können, können wir auch in das Reich Gottes „eintreten", wenn der Geist durch das erneuernde Wasser fließt.
Das Alter ist der Zustand, der vielen von uns vergönnt ist, in dem das Wunder dieser Geburt von oben für die menschliche Gemeinschaft zutiefst angenommen und glaubwürdig gemacht werden kann: Es vermittelt nicht die Sehnsucht nach der Geburt in der Zeit, sondern Liebe für das endgültige Ziel. Aus dieser Perspektive hat das Alter eine einzigartige Schönheit: Wir gehen auf das Ewige zu. Niemand kann in den Mutterleib zurückkehren, aich nicht sein technologischer und konsumorientierter Ersatz kann da helfen. Das zu tun, gibt keine Weisheit, gibt keinen vollendeten Weg, ist künstlich. Es wäre traurig, selbst wenn es möglich wäre. Der Alte geht vorwärts, seinem Ziel entgegen, dem Himmelreich Gottes. Er geht mit seiner Lebenserfahrung voran. Das Alter ist also eine besondere Zeit, um die Zukunft von der technokratischen Illusion des biologischen und roboterhaften Überlebens zu befreien, aber vor allem, weil es sich der Zärtlichkeit des schöpferischen und erzeugenden Schoßes Gottes öffnet.
Hier möchte ich ein Wort hervorheben: die Zärtlichkeit der alten Menschen. Beobachtet einen Großvater oder eine Großmutter, wie sie ihre Enkel anschauen, wie sie ihre Enkel streicheln: diese Zärtlichkeit, die frei von allen menschlichen Prüfungen ist, die die menschlichen Prüfungen überwunden hat und fähig ist, frei Liebe zu geben, die liebende Nähe des einen zum anderen. Diese Zärtlichkeit öffnet die Tür zum Verständnis der Zärtlichkeit Gottes. Vergessen wir nicht, dass der Geist Gottes Nähe, Mitgefühl und Zärtlichkeit bedeutet. Gott ist so, er weiß, wie man streichelt. Und das Alter hilft uns, diese Dimension Gottes, die Zärtlichkeit, zu verstehen. Das Alter ist die besondere Zeit, um die Zukunft von der technokratischen Illusion zu befreien, es ist die Zeit der Zärtlichkeit Gottes, die einen Weg für uns alle schafft.
Ein Auftrag
Möge der Geist uns die Wiedereröffnung dieser geistlichen - und kulturellen - Mission des Alters schenken, die uns mit der Geburt von oben versöhnt. Wenn wir so über das Alter nachdenken, dann fragen wir uns: Wie kommt es, dass diese Kultur des Wegwerfens beschließt, die Alten wegzuwerfen, weil sie sie für unbrauchbar hält? Die Alten sind die Boten der Zukunft, die Alten sind die Boten der Zärtlichkeit, die Alten sind die Boten der Weisheit eines gelebten Lebens. Schauen wir uns diese alten Menschen an.
(vatican news-sst/pr)
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