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Wortlaut: Papst Franziskus bei seiner Generalaudienz

Hier finden Sie die Ansprache, die Papst Franziskus an diesem Mittwoch bei seiner Generalaudienz gehalten hat, in vollem Wortlaut in einer Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan.

Die amtliche deutsche Fassung dieser Ansprache finden Sie bald auf der offiziellen Internetseite des Vatikan.

Liebe Brüder und Schwestern, guten Morgen!

Auf unserer katechetischen Reise zum Thema Alter meditieren wir heute über den Dialog zwischen dem auferstandenen Jesus und Petrus am Ende des Johannesevangeliums (21,15-23). Es ist ein bewegender Dialog, aus dem die ganze Liebe Jesu zu seinen Jüngern hervorgeht, aber auch die Menschlichkeit seiner Beziehung zu ihnen, insbesondere zu Petrus: eine zärtliche, aber nicht melancholische Beziehung, direkt, stark, frei und offen. Eine Beziehung in Wahrheit. So schließt das Johannes-Evangelium, das so spirituell und erhaben ist, mit einer ergreifenden Bitte und einem Angebot der Liebe zwischen Jesus und Petrus, das ganz natürlich in ein Gespräch der beiden eingebettet ist. Der Evangelist weist uns eigens darauf hin: Er legt Zeugnis für die Wahrheit der Tatsachen ab (vgl. Joh 21,24). Und in ihnen sollen wir die Wahrheit suchen.

Wir können uns fragen: Sind wir in der Lage, den Tenor dieser Beziehung Jesu zu den Jüngern beizubehalten – seinem Stil zu entsprechen, der so offen, so freimütig, so direkt, so menschlich real ist? Wie ist unsere Beziehung mit Jesus? Ist sie so, wie die der Apostel mit ihm? Sind wir nicht stattdessen sehr oft versucht, das Zeugnis des Evangeliums in den Kokon einer ‚verzuckerten‘ Offenbarung einzuschließen, der wir unter Bedingungen unsere Verehrung zollen? Diese Haltung, die wie Respekt aussieht, entfernt uns in Wirklichkeit von dem wirklichen Jesus und wird sogar zum Anlass für einen sehr abstrakten, sehr selbstbezogenen, sehr weltlichen Glaubensweg, der nicht der Weg Jesu ist. Jesus ist das menschgewordene Wort Gottes, und er benimmt sich wie ein Mensch, er spricht zu uns als Mensch, als Gott-Mensch. Mit dieser Zärtlichkeit, mit dieser Freundschaft, mit dieser Nähe. Jesus ist nicht wie dieses zuckersüße Abbild auf Jesusbildchen, nein: Jesus ist uns zur Hand, er ist uns nahe.

„Wir lernen aus unserer Gebrechlichkeit“

Im Verlauf des Gesprächs Jesu mit Petrus finden wir zwei Passagen, die sich mit dem Alter und der Dauer der Zeit befassen: der Zeit des Zeugnisses, der Zeit des Lebens. Der erste Abschnitt ist die Mahnung Jesu an Petrus: Als du jung warst, warst du selbstgenügsam, wenn du alt bist, wirst du dich und dein Leben nicht mehr so gut im Griff haben. Sag das mir, der ich im Rollstuhl sitzen muss! Aber so ist das Leben: mit dem Alter kommen alle diese Krankheiten und wir müssen akzeptieren, wie sie kommen, nicht wahr? Wir haben nicht die Kraft der Jungen! Und auch dein Zeugnis  - so sagt Jesus - wird mit dieser Schwäche einhergehen. Du musst Zeuge Jesu auch in der Schwäche, in der Krankheit und im Tod sein. Es gibt eine schöne Stelle beim Heiligen Ignatius von Loyola, der sagt, ,so wie im Leben, so müssen wir auch im Tod Zeugnis als Jünger Jesu ablegen.' Das Lebensende muss ein Lebensende als Jünger sein: als Jünger Jesu, denn der Herr spricht uns immer unserem Alter gemäß an.

„Der Herr spricht uns immer unserem Alter gemäß an“

Der Evangelist fügt als Kommentar hinzu, dass Jesus hier auf ein extremes Zeugnis anspielt, nämlich das des Martyriums und des Todes. Aber wir können den Sinn dieser Ermahnung auch allgemeiner verstehen: Auch bei deiner Nachfolge wirst du lernen müssen, dich von deiner Gebrechlichkeit, deiner Hilflosigkeit, deiner Abhängigkeit von anderen leiten und formen zu lassen, selbst beim Anziehen, beim Gehen. Du aber ‚folge mir nach‘ (V. 19). Die Nachfolge Jesu geht weiter, in guter Gesundheit, bei schlechterer Gesundheit, selbstständig, physisch gesehen unselbstständig, aber die Nachfolge Jesu ist wichtig. Jesus immer folgen, zu Fuß, rennend, langsam, im Rollstuhl, immer.

Die Weisheit der Nachfolge muss einen Weg finden, um im Glaubensbekenntnis – so antwortet Petrus: ‚Herr, du weißt, dass ich dich liebe‘ (V. 15.16.17) - zu bleiben, auch unter den eingeschränkten Bedingungen von Schwäche und Alter. Mir gefällt es, mit den älteren Menschen zu sprechen und ihnen dabei in die Augen zu blicken. Sie haben diese leuchtenden Augen, diese Augen, die dir mehr sagen als Worte, das Zeugnis eines Lebens. und das ist schön, wir müssen es bis zum Ende bewahren. Jesus so folgen, voller Leben.

Dieses Gespräch zwischen Jesus und Petrus enthält wertvolle Lehren für alle Jünger, für alle Gläubigen. Und auch für alle älteren Menschen. Wir lernen aus unserer Gebrechlichkeit, die Beständigkeit unseres Lebenszeugnisses unter den Bedingungen eines Lebens auszudrücken, das weitgehend auf andere angewiesen ist, das weitgehend von der Initiative anderer abhängt. Mit der Krankheit und dem Alter steigt die Abhängigkeit und wir sind nicht mehr selbständig wie früher; das nimmt zu und auch dort reift der Glaube, auch dort ist Jesus mit uns, auch dort sprudelt dieser Reichtum des auf dem Lebensweg gut gelebten Glaubens.

„Haben wir eine Spiritualität, die wirklich in der Lage ist, die … Zeit unserer Schwäche zu deuten?“

Aber auch hier müssen wir uns fragen: Haben wir eine Spiritualität, die wirklich in der Lage ist, die … Zeit unserer Schwäche zu deuten, die wir anderen anvertraut haben, anstatt sie der Kraft unserer Autonomie überlassen zu können? Wie bleiben wir der gelebten Nachfolge, der versprochenen Liebe, der angestrebten Gerechtigkeit treu in der Zeit, in der wir noch Kraft zur Initiative haben, in der Zeit der Zerbrechlichkeit, der Abhängigkeit, der Zeit des Abschieds vom Protagonismus unseres Lebens? Das ist nicht einfach, nicht wahr? Davon ablassen, Protagonist zu sein: es ist nicht einfach.

„Die Antwort Jesu ist offen und sogar grob...“

Diese neue Zeit ist sicherlich auch eine Zeit der Prüfung. Angefangen bei der - zweifellos sehr menschlichen, aber auch sehr heimtückischen - Versuchung, unseren Protagonismus beizubehalten. Und manchmal muss sich der Protagonist klein machen, sich beugen, annehmen, dass das Alter dich als Protagonisten beugt.  Aber du wirst einen anderen Weg haben, dich auszudrücken, eine andere Art, an der Familie teilzuhaben, an der Gesellschaft, an den Gruppen der Freunde. Und das ist die Neugierde, die auch Petrus überkommt: ‚Was ist mit ihm?‘, fragt Petrus, als er den geliebten Jünger sieht, der ihnen folgt (vgl. V. 20-21). Die Nase ins Leben der anderen stecken. Aber nein: Jesus sagt: Schweige! Muss der wirklich in ‚meiner‘ Nachfolge mitmachen? Muss er ‚meinen‘ Platz besetzen? Wird das mein Nachfolger sein? Das sind Fragen, die nicht helfen. Muss er mich überleben und meinen Platz einnehmen? Die Antwort Jesu ist offen und sogar grob: ‚Was kümmert dich das? Du kümmere dich um dein eigenes Leben, um deine aktuelle Situation und steck nicht die Nase in die Angelegenheiten anderer. Was kümmert es dich? Du folge mir nach‘ (vgl. V. 22).

Das ist wirklich wichtig: Die Nachfolge Jesu, Jesus im Leben und im Tod folgen, in der Gesundheit und in Krankheit, im Leben, wenn es blüht mit vielen Erfolgen, und auch im schwierigen Leben, so vielen hässlichen Momenten des Fallens. Und wenn wir uns ins Leben der anderen einmischen wollen, sagt Jesus: ,Was kümmert es dich? Folge mir.' Wunderschön. Wir alten Menschen sollten nicht neidisch sein auf junge Menschen, die ihren Weg gehen, die unseren Platz einnehmen, die uns überdauern. Die Ehre unserer Treue zur einstmals geschworenen Liebe, die Treue zur Befolgung des Glaubens, auf den wir uns eingelassen haben, ist auch in dem Moment, wo unser Abschied vom Leben näher rückt, unser Titel der Bewunderung durch die kommenden Generationen und die dankbare Anerkennung durch den Herrn. Lernen, Abschied zu nehmen. Das ist die Weisheit der älteren Menschen. Aber auf gute Weise Abschied nehmen, Achtung, mit einem Lächeln, von der Gesellschaft, von den anderen. Das Leben der älteren Menschen ist ein Abschied, langsam, langsam, aber ein freudiger Abschied: ich habe das Leben gelebt, ich habe meinen Glauben bewahrt. Es ist schön, wenn ein älterer Mensch das sagen kann: ,Ich habe das Leben gelebt, ich war ein Sünder, aber ich habe auch Gutes getan'. Und dieser Friede, der kommt, das ist der Abschied der älteren Menschen.

Selbst die zwangsweise untätige Nachfolge, die aus tiefgefühlter Kontemplation und genauem Hören auf das Wort des Herrn besteht - wie bei Maria, der Schwester des Lazarus -, kann zum besten Teil ihres Lebens werden, des Lebens von uns alten Menschen. Diesen Teil wird uns keiner mehr wegnehmen… (vgl. Lk 10,42). Schauen wir auf die älteren Menschen, schauen wir sie an, und helfen wir ihnen, auf dass sie ihre Lebensweisheit leben und ausdrücken können, dass sie uns geben können, was sie an Schönem und Gutem haben. Schauen wir sie an, hören wir auf sie: Und wir älteren Menschen, schauen wir auf die jungen Menschen und (schenken wir ihnen, Einf.) immer ein Lächeln, den jungen Leuten: Sie werden ihren Weg gehen, sie werden das voranbringen, was wir gesät haben, auch das, was wir nicht gesät haben, weil wir nicht den Mut oder die Gelegenheit dazu hatten: sie werden es voranbringen. Aber immer diese Beziehung. Ein alter Mensch kann nicht glücklich sein, ohne die jungen Menschen anzusehen, und die jungen Menschen können im Leben nicht vorwärts gehen, ohne auf die Älteren zu schauen. Danke.

(vatican news - sk)
 

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22. Juni 2022, 09:39