Nuntius in Kanada: Franziskus kommt, um Trost zu spenden
Seit 5. Juni 2021 ist der ehemalige Beobachter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in Genf Nuntius im Kanada. Nun bereitet Erzbischof Jurkovič auch die Papstreise in das Land vor, die mit „großen Erwartungen“ besetzt ist, wie der erfahrene Diplomat sagt: „Seit meiner Ernennung zum Nuntius im Jahr 2021 konnte ich in die besondere Atmosphäre eintauchen, die in der kanadischen Gesellschaft entstanden ist, mit einer Haltung, die der Kirche wegen ihrer Vergangenheit sehr kritisch gegenübersteht. Wohlgemerkt, die Kirche hat viel Gutes getan, aber hier geht es um die Beteiligung an der Bewahrung der kulturellen Identität der indigenen Völker.“
Ausgeprägte kulturelle Differenzierung
Zwar hätten die Päpste und Bischöfe mehrfach Versuche von Erklärungen und Entschuldigungsbitten unternommen, dennoch habe sich gezeigt, dass das Problem auf eine andere Art und Weise angegangen werden müsse, erläutert der Nuntius. Aus diesem Grund habe die Bischofskonferenz des Landes in den vergangenen drei Jahren einen „komplexeren Weg“ geplant, dessen erstes Ziel die persönliche Begegnung des Papstes mit vier Delegationen gewesen sei:
„Dies waren sehr wichtige Treffen, die zwischen Ende März und Anfang April stattfanden und die die Tür zu dieser außerordentlich großzügigen Geste des Heiligen Vaters öffneten, persönlich hierher zu kommen und die Haltung der Kirche persönlich darzulegen. Kanada ist ein riesiges Land. Ein riesiges Gebiet mit einer sehr ausgeprägten kulturellen Differenzierung, insbesondere zwischen Frankophonen und Anglophonen. In den letzten 20-30 Jahren hat es ein massives Phänomen der Migration gegeben. Der Papst kommt also in diesem Kontext an, er kommt mit seiner Sensibilität, die universell ist. Die Erwartungen sind wirklich groß.“
Reise bringt viel Verantwortung mit sich
Es handele sich sicherlich um eine „untypische Reise, die viel Verantwortung“ mit sich bringe, betont Erzbischof Jurkovič mit Blick auf die starke Konzentration auf die Belange der Indigenen. Denn zwar gebe es auch einen „feierlichen“ und „freudigen“ Teil, der „jedes Gebet kennzeichnet, besonders wenn es vom Heiligen Vater geleitet wird“:
„Auf der anderen Seite gibt es aber diese große Verantwortung gegenüber der öffentlichen Meinung, die sich manchmal auf Annahmen stützt, die nicht immer in ihrer Komplexität dargestellt werden. Es ist wahr, dass in Bezug auf die Kirche eine sehr belastende Atmosphäre entstanden ist, auch aufgrund bestimmter medialer Vereinfachungen, aber es handelt sich schließlich um eine echte Verantwortung, die sich im Laufe der Geschichte angesammelt hat. Es gibt die große Freude über den Heiligen Vater, der trotz allem eine komplizierte Reise vor sich hat, auch in physischer Hinsicht, aber gleichzeitig gibt es auch Beklemmung, weil man hofft, dass diese Reise den Völkern, die gelitten haben, Trost bringen kann, und auch eine Klärung, eine gelassenere Haltung der Kirche.“
Eine lernfähige Kirche
Eine Kirche, die sich auch weiterhin für die Förderung der indigenen Völker einsetze und die sich nicht von einer enormen, ja sogar „globalen sozialen Verantwortung“ abkoppele, unterstreicht der Nuntius, der in diesem Zusammenhang jedoch auch darauf verweist, dass die Kirche „nur ein kleiner Teil“ dessen sei, was geschehen ist: „Es gibt noch andere Verantwortlichkeiten, und die Kirche kann sich insbesondere nicht von denen des Staates distanzieren.“ Insbesondere werde der Kirche vorgeworfen, sich an einem Regierungsprojekt beteiligt zu haben, das darauf abzielte, die „Identität der Ureinwohner nahezu zu beseitigen“, um damit „eine neue kanadische Gesellschaft zu schaffen“, resümiert der Nuntius, der einräumt, dass dies „sicherlich schreckliche Schäden“ verursacht habe.
Doch er weist auch darauf hin, dass die Kirche sich im Nachgang großzügig gezeigt habe und lernfähig sei. Neben verschiedenen direkten Entschädigungsprojekten in Millionenhöhe haben die Bischöfe mittlerweile auch einen Rücklagenfonds von 30 Millionen kanadischen Dollar (etwa 23 Millionen Euro) gebildet, um damit Projekte zu fördern, die dem gegenseitigen Verständnis und Kennenlernen von Indigenen und Nicht-Indigenen dienen: „Die Kirche und ihre Soziallehre verstehen es, die Vergangenheit kritisch zu betrachten“, meint der Nuntius dazu.
Papstkritik an „kultureller Kolonialisierung“
Allerdings gingen die negativen Auswirkungen dessen, was Papst Franziskus immer wieder als „kulturelle Kolonialisierung“ bezeichnet, weit über die konkrete Situation in Kanada hinaus: „Es hat lange gedauert, bis ich wirklich verstanden habe, worum es dabei geht. Es handelt sich in der Tat um eine ernste Angelegenheit, die nicht nur Kanada betrifft, und das Problem kann nicht über Nacht gelöst werden. Es gibt andere Kontinente, auf denen Schritte unternommen werden müssen, um die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit zu überwinden.“
Mit Blick auf die Situation in Kanada tue Franziskus jedenfalls wohl das „Maximum“ dessen, was man tun könne, meint Jurkovič mit Blick auf die Audienz im Vatikan für die Indigenen Kanadas, die dort formulierte Entschuldigungsbitte des Papstes und die nun angesetzte Reise in das Territorium der Ureinwohner: „Der Papst wird mit seinem persönlichen Zeugnis und mit seinen Worten seine Nähe zu den indigenen Völkern zeigen. Mit konsequenter Überzeugung, tiefem menschlichen Einfühlungsvermögen und einer Haltung der Demut hat er gezeigt, dass er sich der vielen Ungerechtigkeiten bewusst ist, unter denen die indigene Bevölkerung leidet. Wir gehen mit neuem Optimismus und einer neuen Vision in die Zukunft: Wir wollen uns nicht von einem realen Problem distanzieren, wir wollen Teil der Lösung sein. Der einzige, der uns dabei helfen kann, ist der Heilige Vater.“
Ein langer Weg
Selbst die Medien schienen inzwischen jedenfalls das Potenzial zu erkennen, das der Besuch des Heiligen Vaters in sich tragen könnte, zeigt sich der Nuntius zuversichtlich. Mit Blick auf die Situation weltweit müsse man jedenfalls feststellen, dass „500 Jahre Geschichte von tiefgreifenden Ungerechtigkeiten geprägt“ seien, was die Art und Weise der Kolonialisierungen durch Europäer und den mangelnden Respekt vor den angetroffenen Kulturen „mit ihrer eigenen Identität“ betreffe. Dies gelte auch für eine Verkündigung des Evangeliums, die nicht das religiöse Empfinden der einzelnen Kulturen in den Blick nahm und nimmt: „Es ist ein langer Weg, die Gesellschaft verändert sich. Für die Kirche ist das eine große Verpflichtung“, betont der Nuntius.
Zwar unterschwelliger, doch durchaus präsent sei auch das Thema des Ukraine-Krieges bei der Reise ins entfernte Kanada. Denn viele Ukrainer seien in den vergangenen hundert Jahren ins Land gekommen: „Kanada blickt mit besonderer Aufmerksamkeit auf den Heiligen Vater und seine Sensibilität gegenüber dieser Tragödie in Europa. Der Papst kommt also auch als Träger eines universelleren Friedens, nicht nur einer nationalen Versöhnung. Eine Sorge um den Weltfrieden, der so dramatisch gefährdet ist.“
(vatican news - cs)
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