Suche

Papst Franziskus im Interview mit Bernarda Llorente, Leiterin der argentinischen Agentur Télam Papst Franziskus im Interview mit Bernarda Llorente, Leiterin der argentinischen Agentur Télam 

Papstinterview: Im Krieg wird getötet, nicht Menuett getanzt

Papst Franziskus hat sich in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Télam enttäuscht darüber gezeigt, dass es der UNO nicht glückt, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Im Rückblick auf sein Pontifikat und sein Leben bekennt der Papst, er habe viele Fehler gemacht und sei gereift, das Leben lehre, „universell zu sein, barmherzig zu sein, weniger böse zu sein".

„Wir können nicht zu der falschen Sicherheit der politischen und wirtschaftlichen Strukturen zurückkehren, die wir früher hatten“: Dies ist ein Kernsatz aus dem langen Interview, das Papst Franziskus der Journalistin Bernarda Llorente, Leiterin der argentinischen Agentur Télam, gegeben hat und das an diesem Freitag erschienen ist. Die Themen sind die Pandemie, der Krieg, die Pflege des gemeinsamen Hauses, Jugend, Politik, Kirche in Lateinamerika und die Krise der Institutionen, bis hin zu einer Art Bilanz des Pontifikats nach bald zehn Jahren und ein persönlicher Rückblick auf 85 Jahre Jorge Mario Bergoglio.

Die Frage, wie man mit Krisen umgeht, steht am Anfang des Interviews. Franziskus erinnert daran, dass Krisen zu Konflikten werden, wenn man sie nicht angeht. „Und der Konflikt ist etwas Geschlossenes, er sucht die Lösung in sich selbst und zerstört sich selbst".

Afrika ohne Impfstoffe: ein Beispiel für Pandemie-Missmanagement

Beispiel Afrika und Pandemie: Der Kontinent steht ohne ausreichende Impfstoffe da, und das zeigt laut Franziskus, dass „etwas nicht funktioniert hat". Der Vorwurf geht an die wohlhabende Welt. „Die Krise zum eigenen Vorteil zu nutzen, bedeutet, schlecht und vor allem allein dazustehen", bekräftigt der Papst. Es sei eine Illusion zu meinen, dass einzelne Gruppen allein aus der Krise herauskommen können. Das Kirchenoberhaupt spricht von einer „partiellen Rettung, wirtschaftlich, politisch oder von bestimmten Sektoren der Macht".

Hier zum Hören:

Krieg ist ein Mangel an Dialog

Zu den dramatischsten Krisen gehört der Krieg, so Franziskus weiter. Neben der Ukraine verweist er auf die Tragödien von Ruanda, Syrien, Libanon, Myanmar „Im Krieg wird nicht Menuett getanzt, sondern getötet“, verdeutlich der Papst und klagt erneut Waffenhandel an, der den Krieg begünstige. Auch zum heute schwierigen Begriff des sogenannten „gerechten Krieges" äußert er sich. Natürlich gebe es das Recht zur Verteidigung, stellt der Papst klar, „aber die Art und Weise, wie der Begriff {„gerechter Krieg“} heute verwendet wird, muss überdacht werden". Einen Konflikt zu bereinigen, gehe nur mit gegenseitigem Zuhören, auch einfach im Alltag, und im Dialog. Franziskus erinnert an seinen Besuch auf dem Friedhof von Redipuglia anlässlich des hundertsten Jahrestages des Krieges von 1914 auf dem Friedhof von Anzio und lud dazu ein, Soldatenfriedhöfe in Europa zu besuchen, weil dort die Grausamkeit des Krieges greifbar wird.

Gute UNO, machtlose UNO

Mit der ihm eigenen Offenheit bekennt Franziskus seine Enttäuschung über bestimmte Punkte in der Arbeit der Vereinten Nationen. Die UNO helfe zwar, manche Kriege zu vermeiden – der Papst benennt Zypern -, könne sie aber nicht immer verhindern, und zwar deshalb, weil die Vereinten Nationen „keine Macht haben". Auf Nachfrage der Journalistin unterscheidet der Papst zwischen einigen „verdienten Institutionen", die sich in einer Krise befinden, für die er aber eine gewisse Hoffnung hegt, und andere, die stattdessen ausschließlich an inneren Problemen lavieren. Franziskus appelliert an die multilateralen Organisationen, ihren Mut und ihre Kreativität einzusetzen, um die „tödlichen" Situationen zu überwinden.

Umweltkrise und Laudato Si

Nicht zu übersehen ist auch die andere große Krise unserer Zeit, die Umweltkrise. Franziskus spricht von der verzerrten Nutzung der Natur durch den Menschen, der dafür freilich einen hohen Preis bezahlt. Die Natur wir ausgebeutet, aber sie schlägt zurück. „Wir missbrauchen unsere Kräfte", sagt der Papst. Die Sorge um die globale Erwärmung veranlasst ihn, die Entstehung der Enzyklika Laudato Si' zu schildern und darauf hinzuweisen, dass die Natur „nicht verzeiht", wenn der Mensch degenerative Prozesse in Gang setzt.

Jugend und Tradition

Die Welt der jungen Menschen nimmt einen großen Teil des Interviews ein. Der Papst spricht eine politische Entfremdung an: „Sie sind entmutigt", sagt Franziskus unter Verweis auf Mafia- und Korruptionspraktiken. Er ruft dazu auf, stattdessen „die Wissenschaft der Politik, des Zusammenlebens, aber auch des politischen Kampfes zu erlernen, der uns vom Egoismus reinigt und uns voranbringt". Franziskus bekennt aber auch, dass er sogar dann an die Jugendlichen glaubt, wenn sie nicht zur Messe gehen. Es sei wichtig, ihnen zu helfen, zu wachsen und sie zu begleiten. Und Franziskus bringt ein Zitat, das er dem deutschen Komponisten Gustav Mahler zuschreibt: „Tradition ist die Garantie für die Zukunft“. Also kein Museumsstück, sondern im Gegenteil „das, was dir Leben gibt, solange es dich wachsen lässt. Etwas Anderes ist es, einfach zurückzugehen – das ist ein ungesunder Konservatismus".

Der Papst im Interview in der Casa Santa Marta
Der Papst im Interview in der Casa Santa Marta

Bald zehn Jahre Pontifikat: „Umgesetzt, was von uns allen gewünscht war“

Am 13. März 2023 wird Papst Franziskus auf zehn Jahre Pontifikat zurückblicken. „Was ich getan habe, habe ich nicht erfunden oder mir in einer Nacht mit Verdauungsstörungen ausgedacht“, so das Kirchenoberhaupt mit einer launigen Wendung über sein Wirken als Papst. Entscheidend für seinen Kurs seien die Treffen der Kardinäle vor dem Konklave von 2013 gewesen. „Was ich in Gang gesetzt habe, war das, worum man mich gebeten hat. Ich glaube nicht, dass etwas Eigenständiges von mir darunter ist“, so der Papst unter Verweis auf die Apostolische Konstitution Praedicate Evangelium. Diese neue Grundordnung der Kurie habe „nach achteinhalb Jahren Arbeit und Konsultation die von den Kardinälen geforderten und bereits in die Praxis umgesetzten Änderungen“ festgeschrieben, zentral sei der Auftrag der Verkündigung. „Das sind nicht meine Ideen. Damit das klar ist“, so Franziskus. „Es sind die Ideen des gesamten Kardinalskollegiums, das dies gefordert hat.“

„Es ist nicht so tragisch, Papst zu sein. Man kann ein guter Hirte sein“

Im letzten Teil des Interviews erinnert sich Bergoglio an sein Leben, bevor er Papst wurde: „Es ist die Geschichte eines Lebens, das mit vielen Gaben von Gott verlaufen ist, mit vielen Fehlern meinerseits und vielen nicht so universellen Positionen", blickt er zurück. Das Leben lehre aber, „universell zu sein, barmherzig zu sein, weniger böse zu sein". Er spricht von Höhen und Tiefen auf seinem Weg und ist dankbar für viele Freunde, die ihm geholfen und ihn begleitet haben; allein habe er sich nie gefühlt.

Die Interviewerin will wissen, wie denn Jorge Mario Bergoglio auf Papst Franziskus schauen würde. „Ich glaube, letztlich würde er sagen: Du Armer! Was ist dir nur zugestoßen! Aber“, witzelt der Papst, „es ist nicht so tragisch, Papst zu sein. Man kann ein guter Hirte sein.“ Franziskus räumt zum wiederholten Mal ein, er habe in seinem Leben nicht immer so viel Barmherzigkeit an den Tag gelegt wie jetzt, als Jesuit sei er „sehr streng“ gewesen. Da habe er zu viel verlangt. „Dann wurde mir klar, dass man diesem Weg nicht folgen kann, dass man wissen muss, wie man führt. Das ist die Art der Vaterschaft, die Gott hat". Das Leben sei schön mit diesem „Stil Gottes“, der es verstehe zu warten. „Wissen, aber so tun, als ob man es nicht wüsste und es reifen lassen. Das ist eine der schönsten Weisheiten, die uns das Leben schenkt“, so der Papst.

(vatican news – gs)

 

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

01. Juli 2022, 14:55