Papst an Inuit: „Ihr seid ein Licht, das niemand zu ersticken vermocht hat!“
Papst Franziskus wurde am Freitagnachmittag auf dem Vorplatz der Nakasuk-Grundschule mit traditionellen Tänzen und Musik empfangen. Vor der großen öffentlichen Begegnung hatte Papst Franziskus bereits in privater Form Überlebende der ehemaligen Residential Schools getroffen, in denen im Zug der damals herrschenden Kolonialisierungsmentalität die Kinder Indigener schweren Misshandlungen und kultureller Assimilierung ausgesetzt waren. Tausende Kinder überlebten aus den verschiedensten Gründen den Aufenthalt in diesen Heimen nicht.
In seiner Ansprache gingen die Gedanken des Papstes denn auch gleich zu Beginn an die Erfahrungen, die die Überlebenden mit ihm geteilt hatten: „Ich danke euch für den Mut für das, was ihr gesagt habt, und das Mitteilen des großen Leides, das ich mir nie vorgestellt hätte“, wandte sich der Papst an die Überlebenden unter den Anwesenden. Die gehörten Berichte hätten in ihm „die Empörung und die Beschämung wiedererweckt“, die ihn nun schon seit Monaten begleiteten: „Auch heute, auch hier, möchte ich euch sagen, dass ich sehr traurig bin und um Vergebung bitten möchte für das Böse, das von nicht wenigen Katholiken in diesen Schulen begangen wurde, die zu der Politik der kulturellen Assimilation und der Entrechtung beigetragen haben.“
Familien seien auseinandergerissen worden, in schmerzhafter Missachtung der göttlichen Anweisung, Vater und Mutter zu ehren, unterstrich Franziskus, der auch an dieser Stelle nicht an deutlichen Worten sparte, für die er während seiner Reise schon viel Anerkennung durch indigene Vertreter bekommen hatte: „Wie viel Bosheit liegt darin, die Bande zwischen Eltern und Kindern zu zerreißen, die liebsten emotionalen Bindungen zu verwunden, die Kleinen zu schädigen und ihnen Ärgernis zu geben!“
Licht und Dunkel
Es sei ein gemeinsamer Wunsch, den Weg der Heilung und Versöhnung zu beschreiten, „Licht in die Geschehnisse zu bringen“ und „diese dunkle Vergangenheit zu überwinden“, betonte der Papst, der das traditionelle Inuit-Licht, das auch bei dieser Gelegenheit entgezündet wurde, als „wunderschönes Symbol für das Leben“ würdigte, das sich nicht der „Dunkelheit der Nacht“ unterwerfe. Es steht für Wärme und Licht, zwei Faktoren, die in der Kälte und Dunkelheit des Polarmeerraumes umso lebenswichtiger sind: „So seid ihr ein immerwährendes Zeugnis für das Leben, das nicht verlöscht, für ein Licht, das strahlt und das niemand zu ersticken vermocht hat.“
Sie hätten über Generationen weitläufige Gegenden bewohnt, die für andere unwirtlich erscheinen mögen, auch dank der engen Beziehungen zwischen Jung und Alt, würdigte Franziskus: „Aber auch diese Erde ist, so wie jeder Mensch und jede Bevölkerung, empfindlich und muss gepflegt werden. Fürsorge übernehmen, Fürsorge weitergeben: Dazu sind vor allem die jungen Menschen aufgerufen, unterstützt durch das Beispiel der älteren Menschen! Sorge für die Erde, Sorge für die Menschen, Sorge für die Geschichte.“
Drei Ratschläge an die Jugend
Die jungen Menschen hätten die Zukunft des Bodens und des Volkes in der Hand, so der Papst, der in diesem Zusammenhang auch ein Zitat des deutschen Dichtergenies Goethe verwendete: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“ (J.W. von Goethe, Faust, I, Nacht). Es reiche nicht aus, „von einer Rendite zu leben“, vielmehr müsse man sich das Erbe, das man empfangen habe, auch selbst aneignen und es fruchtbar machen, betonte Franziskus. In diesem Zusammenhang sei der Rat der älteren Menschen wertvoll, so Franziskus, der als „Älterer“ selbst drei Ratschläge für die Jungen in petto hatte, die auch von Verweisen auf traditionelle Prinzipien der Inuit durchwoben waren:
„Der erste: Wandle nach oben. Bewohne diese weiten nördlichen Regionen. Mögen sie dich an deine Berufung erinnern, nach oben zu streben und dich nicht von denen herunterziehen zu lassen, die dich glauben machen wollen, dass es besser ist, nur an dich selbst zu denken und deine Zeit nur für deine Freizeit und deine Interessen zu nutzen.“
Es sei nicht leicht, angesichts von desillusionierenden Nachrichten und gut gemeinten Ratschlägen, sich doch auf den eigenen Vorteil zu konzentrieren, den eigenen Sehnsüchten und Inspirationen zu folgen und dabei das Gemeinwohl im Blick zu behalten, gestand Franziskus ein. „Wie kann ich in einer Welt zum Flug abheben, die inmitten von Skandalen, Kriegen, Betrug, mangelnder Gerechtigkeit, Umweltzerstörung, Gleichgültigkeit gegenüber den Schwächsten und Enttäuschungen von denen, die ein Vorbild sein sollten, immer tiefer zu fallen scheint? Was ist die Antwort auf diese Fragen?“, so der Papst, der auch gleich die Antwort mitlieferte: „Ich möchte dir sagen, junger Mensch, dir, Bruder, junger Schwester: Du bist die Antwort. Du, mein Bruder, du, meine Schwester: nicht nur, weil man, wenn man aufgibt, schon am Start verloren hat, sondern weil die Zukunft in deinen Händen liegt.“
Der zweite Ratschlag des Papstes, „Komm ans Licht“, nahm wieder Bezug auf das traditionelle Licht der Inuit, das Qulliq.
Das traditionelle Licht der Inuit enthalte die Botschaft, dass „du existierst, um jeden Tag an das Licht zu kommen“, betonte Franziskus vor den Anwesenden: „Aber um ins Licht zu kommen, muss man täglich mit der Dunkelheit kämpfen. Ja, es gibt ein tägliches Aufeinandertreffen von Licht und Finsternis, das nicht irgendwo da draußen stattfindet, sondern in jedem von uns. Der Weg des Lichts verlangt mutige Herzensentscheidungen gegen die Dunkelheit der Falschheit, verlangt, »gute Gewohnheiten zu entwickeln, um gut zu leben« (vgl. Inunnguiniq IQ Principle 1), nicht Lichtschweifen nachzujagen, die rasch verschwinden, Feuerwerken, die nur Rauch hinterlassen.“
Dies seien „Illusionen und […] Formen vermeintlichen Glücks“, zitierte Franziskus aus einer Predigt, die sein heiliger Vorgänger Johannes Paul II. beim Weltjugendtag 2002 in Toronto gehalten hatte. Dabei gelte es, zu lernen, das Licht vom Dunkel zu unterscheiden und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Grundlegend in diesem Zusammenhang sei jedoch die Freiheit - neben dem Leben selbst „Gottes größtes Geschenk“ an uns - eine Freiheit jedoch, die auch die Belange der anderen im Blick habe:
„Gottes Freude ist es, nicht, wenn wir uns ihm unterwerfen, sondern wenn wir als Kinder leben, die sich dafür entscheiden, ihn zu lieben, und dabei unsere eigene Freiheit einbringen. Wenn du Gott eine Freude bereite willst, ist das der richtige Weg: Wähle das Gute! Nur Mut, lieber Bruder, nur Mut, lieber Schwester, nimm deine Freiheit in die eigene Hand, hab keine Angst, wichtige Entscheidungen zu treffen, komm jeden Tag ans Licht!“
Schließlich der dritte Ratschlag des Papstes an die jungen Menschen: „Bilde ein Team. Junge Menschen leisten gemeinsam Großes, nicht allein.“ Doch junge Menschen müssten in die Lage versetzt werden, einander zu treffen, sich in Gruppen zusammenzufinden und in Bewegung zu bleiben, so der Papst, der in diesem Zusammenhang auch die sportlichen Erfolge Kanadas im besonders weit verbreiteten „Nationalsport“ Eishockey würdigte:
„Eishockey vereint Disziplin und Kreativität, Taktik und Körpereinsatz; was jedoch immer das Entscheidende ist, ist der Teamgeist: Er stellt die unabdingbare Voraussetzung dar, um mit dem unvorhersehbaren Verlauf des Spiels zurechtzukommen“, so das Kirchenoberhaupt.
Dem Inuk-Antlitz von Christus begegnen
Teambildung heiße auch, daran zu glauben, dass man „große Ziele nicht allein erreichen kann“, sich gemeinsam zu bewegen und sich die Pässe schnell und dicht zuzuspielen, ebenso gehöre dazu, die Mannschagft anzufeuern, wenn man selbst nicht auf dem Spielfeld stehe, so der Papst, der jedoch abschließend die jungen Leute erneut aufforderte, auf die älteren Menschen zu hören und aus dem „Reichtum“ der eigenen Traditionen zu schöpfen, „um das von euren Vorfahren gehütete und überlieferte Evangelium anzunehmen und dem Inuk-Antlitz von Jesus Christus zu begegnen.“
(vatican news - cs)
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