Kollegengespräch: „Papst ist im Dialog mit Indigenen“
Nach den ersten großen Begegnungen des Papstes mit Indigenen in Kanada wagen wir ein Zwischenfazit. Franziskus hat am Montag in Maswacis Indigenen-Vertreter aus ganz Kanada getroffen und ist in Edmonton in der ältesten Indigenen-Pfarrei des Landes eingekehrt. Welchen Ton hat er bei diesen Begegnungen getroffen?
Anne Preckel (Radio Vatikan): Der Papst hat seine Reise als Buß-Reise deklariert und er tritt in Kanada auch so auf, mit Demut, dialogisch, empathisch. In Maswacis hat er zuallererst den Friedhof der ehemaligen Residential School besucht und dort gebetet. Dann hat er lange traditionellen Indigenen-Tänzen und Gesängen beigewohnt, eine weiße Gestalt am Rande dieser vielfältigen, stolzen Präsentation indigener Kultur – das waren schon besondere Bilder für eine Papstreise.
In seiner ersten Ansprache hat er die Vergebungsbitte vom April vor Indigenen-Vertretern aus dem ganzen Land wiederholt und weiter ausformuliert - was wichtig ist: er ist dafür zu den Indigenen gekommen, bringt dies am Lebens- und Leidensort der Indigenen vor. Dabei hat er die Verbrechen gegen Indigene an den staatlichen, überwiegend von katholischen Ordensgemeinschaften geführten Residential Schools klar benannt. Durch diese ehemaligen „Umerziehungslager“ waren ja Generationen von Indigenen-Kindern gegangen, bis in die 1970er Jahre hinein, die allerletzte dieser Schulen schloss erst 1996. Franziskus hat dafür um Vergebung gebeten, wie Mitglieder der Kirche und der Ordensgemeinschaften die Assimilationspolitik der Kolonialmächte, deren Teil sie waren, unterstützt und umgesetzt haben. Wie sie Indigene systematisch unterdrückt, ihre Kultur zerstört und sie körperlich, verbal, psychologisch und spirituell misshandelt haben. Er hat zugleich betont, dass die Vergebungsbitte nur ein erster Schritt sein könne und dass der Prozess der Aufarbeitung weitergehen muss.
Dialogisches und empathisches Auftreten
Aufgrund der traumatischen Erfahrungen an den Residential Schools sind viele kanadische Indigene traumatisiert und bis heute gezeichnet. Wie ist der Papst diesen Betroffenen gegenüber aufgetreten?
Preckel: Franziskus hat ja einige Überlebende bereits im April im Vatikan getroffen. Während der Kanadareise gibt es mehrere Gelegenheiten für einen Austausch, etwa am Freitag in Iqaluit in Form einer privaten Begegnung. In seiner ersten Rede auf indigenem Territorium in Maskwacis hat Franziskus ohne Umschweife Verbrechen gegenüber diesen Völkern skizziert und damit auch Berichte Indigener ihm gegenüber aufgriffen. Er hat das Trauma angesprochen, das in den Opfern wirkt und das die familiären Beziehungen bis heute überschattet und teilweise verunmöglicht. Er hat Empathie bewiesen, als er sagte, ihm sei bewusst, dass seine Worte in Kanada für viele Indigene schmerzhaft sein müssen. Das ist de facto so, und man hat es in Maswacis in den Gesichtern der Überlebenden, ihrer Kinder und Enkel auch gesehen. Da war Schmerz, Trauer, auch Wut, vielen ist es nicht leichtgefallen, herzukommen, einige sind auch weggeblieben.
Bedeutsam für den Prozess der Aufarbeitung ist, dass der Papst den Indigenen für ihr Zeugnis des Schmerzes gedankt hat. „Ich danke euch, dass ihr dieses blutende Gedächtnis mit mir geteilt habt“, hat er gesagt. Und er hat auch die Bedeutung des Landes hervorgehoben, das für die Indigenen so wichtig ist – als ihre Heimat, aber auch als Ort des erfahrenen Leids: „Es ist ein Gebiet, das zu uns spricht, das uns gestattet, zu gedenken“.
Und: Jenseits der Worte hat Papst Franziskus auch einen Dialog mit den Indigenen aufgenommen, in dem Zuhören und Gesten der Wertschätzung eine Rolle spielen. Bedeutsam war etwa, dass er in Maswacis Mokassins zurückgegeben hat, die ihm von der Indigenen-Delegation im April im Vatikan überreicht wurden. Die Schuhe stehen für die Indigenenkinder, die an katholischen Internatsschulen starben, wo bis heute immer neue Massengräber gefunden werden. Indem Franziskus die Mokassins in Kanada wieder zurückgegeben hat, hat er die Würde der Opfer, ihr Leid und das ihrer Familien symbolisch anerkannt.
Gemischte Reaktionen
Welche Reaktionen gab es denn bisher insgesamt zu den Papstworten an die Indigenen in Kanada?
Preckel: Kanadische Indigene hatten auf eine päpstliche Vergebungsbitte auf indigenem Territorium schon länger gewartet, auch die kanadische Wahrheits- und Versöhnungskommission hatte dies neben anderen Forderungen im Jahr 2015 verlangt. Dass Franziskus sein Versprechen nur eingelöst hat, haben viele Indigene mit Genugtuung und auch Anerkennung aufgenommen. Der First Nations-Älteste Phil Fontaine sagte, der Papst habe „Mut und Demut“ bewiesen, es sei eine bemerkenswerte Geste gewesen. Der kanadische Cree-Häuptling J. Wilton Littlechild, Rechtsanwalt und selbst Überlebender einer Internatsschule, nannte den Papstbesuch einen „Segen“ und seine Worte „heilsam“, in diese Richtung äußerte sich auch die kanadische Inuit-Generalgouverneurin Mary Simon.
Viele Indigene nehmen die Gesten und Worte des Papstes als aufrichtig wahr; ein Häuptling hat dem Papst in Mascwacis sogar einen Federschmuck auf den Kopf gesetzt, das kann sicher als Würdigung interpretiert werden. Aber die Indigenen wünschen sich auch weitere konkrete Schritte der Wiedergutmachung, zu denen weitere Aufklärung über die begangenen Verbrechen und weitere Entschädigungen gehören. Nicht alle Indigenen können die Vergebungsbitte des Papstes akzeptieren, einige wollten auch nicht kommen. Die Reaktionen sind also gemischt.
Langer Prozess der Aufarbeitung und Heilung
In der ältesten Indigenen-Pfarrei, der Herz-Jesu-Kirche in Edmonton, ist Papst Franziskus dann auch einen Schritt weitergegangen und hat von „Versöhnung“ gesprochen. Ist das überhaupt möglich?
Preckel: Der Aufarbeitungsprozess zu den Verbrechen der Assimilierungspolitik läuft in Kanada bereits, er wird von den Indigenen, der Regierung und der Ortskirche geführt. Der Papst ist in das Land gekommen, um diesen Prozess zu unterstützen. Wenn er jetzt in der ältesten Indigenen-Pfarrei Kanadas in Edmonton über Versöhnung spricht, wie er das am Montag getan hat, bedeutet das kein Schönmalen der Vergangenheit oder ein Einfordern von Vergebung ohne Gerechtigkeit. Der Papst hat vielmehr auf die Chance von Heilung in Christus verwiesen. Viele Indigene in Kanada sind - trotz ihrer leidvollen Erfahrungen mit der Kirche - katholisch, das ist auch Teil ihrer Identität. Und im christlichen Verständnis von Vergebung liegt eine Chance auf echte Heilung und Erlösung.
Franziskus hat in Kanada von Anfang an klargestellt, dass seine Abbitte kein Zielpunkt ist, sondern nur ein erster Schritt auf einem gemeinsamen Weg. Und er hat betont: Es braucht eine ernsthafte Wahrheitssuche und Aufklärung über die Verbrechen, es braucht auch Unterstützung und Begleitung der Überlebenden der Internatsschulen, deren Trauma sich bis heute fortsetzen. In diesem Prozess muss auch die Kirche weiter ihren Teil beitragen. Der Papst ist in Kanada in diesen Prozess mit den Indigenen physisch hineingetreten, er hat die Zeugnisse der Menschen und Orte gehört, ist im Dialog. Das ist ein wesentlicher Schritt.
(vatican news )
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