L’Aquila erwartet den Papst
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Coelestin war Eremit und stand im Ruf der Heiligkeit, als er überraschend bei dem Konklave von 1294 in Perugia zum Papst gewählt wurde. Seine Inthronisierung beging er in L’Aquila in einer Basilika, deren Bau er selbst angeregt hatte: Santa Maria di Collemaggio. Bei dieser Gelegenheit gewährte der Papst mit der Bulle „Inter sanctorum solemnia" einen Ablass, der bis heute am Jahrestag dieses Ereignisses in Santa Maria di Collemaggio gespendet wird. Die „Cölestinische Vergebungsfeier” findet in diesem Jahr in ihrer 728. Ausgabe statt, L’Aquila rechnet mit 12.000 Pilgernden.
Vergebung habe nicht nur eine religiöse, sondern immer auch eine politische und gesellschaftliche Tragweite, betonte im Gespräch mit uns der Erzbischof von L’Aquila, Kardinal Giuseppe Petrocchi. „Fehlt die Barmherzigkeit, dann entstehen auch im zivilen Bereich Prozesse des Streits und der Feindschaft, die dann zu immer verheerenderen Spaltungen führen. Noch nie war das Thema der Vergebung so aktuell wie in diesem Jahr“, erklärte der Kardinal unter Verweis auf den Krieg in der Ukraine.
Das Kommen von Papst Franziskus versehe die 728. Ausgabe der Perdonanza Celestiniana „mit einem Stempel der Universalität“. Wie Petrocchi in der Programmbroschüre für das Fest schrieb, werde die Heilige Pforte der Vergebung in diesem Jahr nicht nur für Pilgernde geöffnet sein, sondern für die ganze Welt. „Wir hoffen, dass alle Völker, besonders jene, die von Konflikten und inneren Spaltungen zerrissen sind, ideell durch sie hindurchgehen und den Weg der Solidarität und des Friedens wiederentdecken können.“
Das verheerende Erdbeben in l'Aquila
2009 hatte ein schweres Erdbeben die Abruzzen-Stadt verwüstet, fast 300 Menschen starben, und auch 13 Jahre nach der Katastrophe sind überall noch Schäden zu sehen. Seit Wochen bringen Arbeiter die Stadt auf Hochglanz. L'Aquila freue sich auch deshalb auf Papst Franziskus, weil es durch die wiederholten Erdbeben und die Pandemie so viel Leid erfahren habe, sagte Petrocchi. Er sprach von einer „Explosion der Freude“ in der Stadt.
Der Kardinal würdigte die besondere Nähe seiner Gläubigen in L'Aquila zu Franziskus. „Er wird hier nicht nur als Nachfolger Petri anerkannt, eine Figur, die an der Spitze des Weltgeschehens steht, sondern auch als Vater wahrgenommen, ein Vater, der es versteht, nahe zu sein, ein Vater, der es versteht, sich zu kümmern. Ein Vater, der es versteht, Sicherheit zu geben. Ein Vater, der weiß, wie man begleitet.“
Die Bedeutung der Vergebung
Papst Franziskus hatte Petrocchi im Juni 2013 zum Erzbischof von L'Aquila bestimmt, zuvor war er seit 1998 Bischof einer Diözese im Latium gewesen. Als Verantwortlicher für das jährliche Vergebungsfest Ende August hat er sich eingehend mit dessen geistlicher Dimension auseinandergesetzt. „Die Vergebung ist ein prophetisches Ereignis“, erläuterte der Kardinal. Sie setze aber bei denjenigen, die sie empfangen möchten, „eine aktive Haltung voraus. Vergebung bedeutet nicht, die Dinge loszulassen, ein Rückzug aus Situationen, die als negativ empfunden werden. Die Vergebung bringt die Kraft des Guten ins Spiel, die Gewissheit, dass die Liebe siegt. Vergebung bedeutet also auch, auf das Böse mit dem Guten zu antworten, damit sich das Böse nicht vervielfacht und nicht chronisch wird.“
Man müsse aber auch sich selbst vergeben könnte, hob der Kardinal hervor. „Nur wer weiß, wie man Vergebung von Gott empfängt, lernt die äußerst anspruchsvolle Kunst des Vergebens. Denn ja, man muss auch lernen, sich selbst zu verzeihen, anderen zu verzeihen und um Vergebung zu bitten.“ Vergebung als Haltung sei der rechte Weg, mit Problemen umzugehen und nach gerechten Lösungen zu suchen. Barmherzigkeit sei daher „die Mutter der Gerechtigkeit, der echten Gerechtigkeit. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Justiz zu einem Instrument wird, das noch tiefere Gräben aufreißt.“
Papst Franziskus am Sonntag in L'Aquila
Franziskus besucht L'Aquila am Sonntag, den 28. August, einen Tag nach dem Konsistorium im Petersdom, bei dem er 20 Bischöfe der Weltkirche in den Kardinalstand aufnehmen wird, und einen Tag vor dem Beginn einer allgemeinen großen Kardinalversammlung, an der der Papst teilnehmen wird. Die letzte Kardinalversammlung dieses Zuschnitts hatte 2014 stattgefunden.
In der Abruzzen-Hauptstadt hat Franziskus zwei Programmpunkte: Kathedrale und Vergebungsfest. Nach seiner Ankunft im Hubschrauber gegen 8:30 Uhr geht es zur Kathedrale, die der Papst gemeinsam mit dem Hausherrn Kardinal Petrocchi für einen Privatbesuch betritt. Der Dom ist nach dem Erdbeben von 2009 noch immer geschlossen. Um 9.15 Uhr richtet Franziskus auf dem Vorplatz der Kathedrale ein Grußwort an die Angehörigen der Erdbebenopfer, die Behörden und die Bevölkerung der Stadt. Danach fährt er mit dem Auto zur nahe gelegenen Basilika Santa Maria in Collemaggio, wo er um 10 Uhr auf dem Platz vor der Basilika die Heilige Messe mit dem Ritus der Öffnung der Heiligen Pforte feiert.
Coelestins Amtsverzicht
In einem Mausoleum vorne im rechten Kirchenschiff liegen die sterblichen Überreste von Papst Coelestin V., der das nach ihm benannte Vergebungsfest im 1294 initiierte. Coelestin war nur wenige Monate Kirchenoberhaupt, Rom hat er nie betreten. Am 13. Dezember 1294 verzichtete der ehemalige Eremit auf das Papstamt und trat zurück.
Beim Erdbeben von 2009 blieb der Glassarg mit dem als Papst gekleideten Leichnam Coelestins unversehrt, während die Basilika selbst schwere Schäden davontrug. Wenige Wochen nach der Katastrophe, im April 2009, kam Papst Benedikt XVI. zu einem Pastoralbesuch nach L'Aquila, um die Bevölkerung zu trösten. Er machte dabei auch in Santa Maria di Collemaggio halt. Benedikt hielt zu einem kurzen Gebet an dem Glassarg inne, der zu diesem Zweck unmittelbar hinter der Heiligen Pforte der schwer beschädigten Basilika aufgestellt war. Danach legte er sein Pallium auf den Glassarg Coelestins. Als Benedikt vier Jahre später seinerseits abdankte, wurde diese Geste im Nachhinein als Hinweis auf seine Rücktrittsabsicht interpretiert. Benedikt war der erste Papst seit Coelestin, der freiwillig auf sein Amt verzichtete. Das Pallium, das Benedikt 2009 auf dem Glassarg deponierte, liegt heute um die Schultern Papst Coelestins.
(vatican news - gs)
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