Papst in L’Aquila: „Frieden wird durch Vergebung aufgebaut“
Anne Preckel - Vatikanstadt
Die Öffnung der Heiligen Pforte durch Franziskus markiert den Auftakt der diesjährigen Vergebungs-Wallfahrt „Perdonanza Celestiniana“ in L’Aquila, in deren Rahmen Gläubige einen vollständigen Ablass erlangen können. Für den Ritus fuhr Papst Franziskus im Rollstuhl bis zur Pforte an der Seite der Basilika vor und verharrte zunächst in stiller Andacht, während die Heiligenlitanei erklang. Kardinal Petrocchi sprach das Gebot aus, den Bußritus mit beigefügten Ablass zu beginnen und zu erneuern, und Franziskus begann zu beten. Diesmal hörbar bat er „um eine innere Erneuerung der Kirche durch das Wirken des Heiligen Geistes", damit sie in der Welt „Zeichen des Heils und der Erlösung" bleibe. „Öffne uns die Tür deiner Barmherzigkeit", betete er zu Gott. Und weiter: „Wir beten für alle, die mit neuem Engagement und festem Glauben diese Schwelle überschreiten, um das Heil zu erlangen, das von dir ausgeht und zu dir führt."
Öffnung der Heiligen Pforte und Besuch des Coelestin-Grabes
Nun stehend und mit Mitra, liturgischem Mantelgewand und Kreuzstab ausgestattet, schlug der Papst dann drei Mal an die altehrwürdige Holztür. Er nutzte dafür einen Olivenstab, den ihm der Bürgermeister von L'Aquila Pierluigi Biondi reichte. Danach stieß er als erster Papst seit Gründung des Vergebungsfestes die Heilige Pforte auf. Danach trat Franziskus unter Jubel der Gläubigen und dem Gesang „Tollite portas" in die Basilika ein, ihm nach folgte eine Prozession aus weiteren Kirchenvertretern, darunter der Erzbischof der Stadt, Kardinal Giuseppe Petrocchi.
In der Kirche ließ sich der Papst im Rollstuhl zum Mausoleum Coelestin V. fahren, wo er vor dessen Glassarg im stillen Gebet innehielt. Franziskus blieb dabei im Rollstuhl sitzen und betrachtete die Papst-Reliquien im Glassarg, der in päpstliche Gewänder und das von Benedikt XVI. gestiftete Pallium gekleidet war. Franziskus' Vorgänger hatte die Stola bei seinem L'Aquila-Besuch 2009 in der Kirche auf dem Glassarg gelassen, als er jenen Papst besuchte, der als erster Papst der Geschichte 1294 freiwillig zurücktrat. Benedikt XVI. folgte ihm mit dieser Geste vier Jahre später nach und legte das Papstamt nieder.
Papst Franziskus hinterließ bei Coelestin am Sonntag kein Pallium; er ließ sich stattdessen von Kardinal Petrocchi noch einige Details des Mausoleums von Coelestin V. zeigen, wo anlässlich der Cölestinischen Vergebungsfeier dessen Bulle „Inter sanctorum solemnia“ (1294) ausgestellt war, mit der Coelestin die Möglichkeit eines Ablasses durch Beichte und Besuch der Messe zum Fest der Enthauptung Johannes des Täufers am 28./29. August erteilt hatte.
Die Stärke der Demütigen
Die „Cölestinische Vergebungsfeier” findet in diesem Jahr in ihrer 728. Ausgabe statt, tausende von Pilger strömten dafür nach L’Aquila. Auf dem Vorplatz der Kirche waren am Sonntag allein 7.000 Menschen versammelt. Das Vergebungsfest gilt als Ursprung der Vergebungswallfahren. Papst Franziskus bekräftigt mit seinem Besuch in L'Aquila und der Öffnung der Heiligen Pforte die Bedeutung der Barmherzigkeit im christlichen Leben und Wirken und verweist vor Hintergrund aktueller Kriege und Konflikte zugleich auf den Weg der Versöhnung und des Friedens, den die Menschheit einschlagen soll.
Vor der Öffnung der Heiligen Pforte feierte Papst Franziskus am Sonntag vor der Basilika Santa Maria in Collemaggio mit Gläubigen eine große Freiluftmesse. In seiner Predigt würdigte er Papst Coelestin V. als Zeugen einer Kirche, die im besten Sinne des Evangeliums „frei“ ist. Coelestins demütiger Amtsverzicht sei kein Zeichen der Schwäche, sondern des Vertrauens in Gott, betonte der Papst.
„Die Stärke der Demütigen ist der Herr – nicht Strategien, menschliche Mittel, die Logik dieser Welt. In diesem Sinne war Coelestin V. ein mutiger Zeuge des Evangeliums, denn keine Logik der Macht hat ihn einsperren, ihn kontrollieren können. In ihm bewundern wir eine Kirche, die frei ist von der Logik dieser Welt und Zeugnis ablegt für den Namen Gottes, der Barmherzigkeit ist. Das ist das Herzstück des Evangeliums, denn Barmherzigkeit bedeutet, dass wir uns auch in unserem Elend geliebt wissen.“
Barmherzigkeit und Vergebung als Auferstehung
Franziskus ging dann auf den spirituellen Anlass seines L’Aquila-Besuches ein, die auf Coelestin V. zurückgehende Ablass-Wallfahrt „Perdonanza Celestiniana“. Anlässlich seiner Krönung am 29. August 1294 in Santa Maria di Collemaggio hatte der Eremiten-Papst verfügt, dass künftig jeder katholische Gläubige zu diesem Datum den vollständigen Nachlass seiner Sündenstrafen erhalten könne. In Franziskus‘ Pontifikat ist Barmherzigkeit ein Schlüsselbegriff. 2016 ließ er ein „Heiliges Jahr der Barmherzigkeit“ (Dezember 2015 – November 2016) in der Weltkirche durchführen, das Franziskus mit seiner Bulle Misericordiae vultur (April 2015) aus Anlass des 50. Jahrestages der Beendigung des Zweiten Vatikanischen Konzils ausgerufen hatte.
In seiner Predigt in L'Aquila bezeichnete der amtierende Papst die Ablass-Wallfahrt als „Geschenk“. Barmherzigkeit sei Quelle der Freude und bedeute die „Erfahrung, sich angenommen, gestärkt, aufgerichtet, geheilt und ermutigt zu fühlen“, führte Franziskus aus. Sie sei auch wesentlicher Baustein des Friedens, erinnerte er.
„Vergebung zu erlangen bedeutet, hier und jetzt das zu erleben, was der Auferstehung am nächsten kommt. Vergebung bedeutet, vom Tod zum Leben überzugehen, von der Erfahrung der Angst und der Schuld zur Erfahrung der Freiheit und der Freude. Möge dieses Gotteshaus immer ein Ort sein, an dem wir Versöhnung erlangen und die Gnade erfahren, die uns wieder aufstehen lässt und uns eine neue Chance gibt. Es soll ein Gotteshaus der Vergebung sein, nicht nur einmal im Jahr, sondern immer. Denn so wird der Friede aufgebaut: durch die Vergebung, die empfangen und gewährt wird.“
Erdbeben im Außen und Innen
Der Papst ging auf die Folgen des Erdbebens in L’Aquila von 2009 ein. Vor Hintergrund des erfahrenen Leids hätten die Betroffenen eine besondere Sensibilität für das „Geschenk der Barmherzigkeit“, so Franziskus. Sie wüssten, was es bedeutet, alles zu verlieren und die Leere des Verlustes zu spüren, so Franziskus mit Verweis auf die Zerstörungen und Toten, die die Katastrophe von 2009 hinterließ. „Man muss aber nicht unbedingt ein Erdbeben erlebt haben, um zu wissen, wie sich ein ,Erdbeben der Seele‘ anfühlt, das uns mit unserer eigenen Zerbrechlichkeit, unserer Begrenztheit, unserem Elend konfrontiert“, weitete der Papst den Blick. Solche Erschütterungen böten Gelegenheit, „wahre Demut“ und „Sanftmut“ zu lernen, betonte er. Diese beiden Eigenschaften seien Merkmale der Barmherzigen.
Weltliches Streben nach Ansehen und Vorteilsnahme hätten mit der „Freiheit des Evangeliums“ wenig zu tun, ging er dann auf das Tagesevangelium ein, dem Gleichnis Jesu beim Mittagessen im Haus des Pharisäers und seiner Weisung an Hochzeitsgäste, den Ehrenplatz frei zu lassen (vgl. Lk 14,1.7.-14). Dazu Franziskus: „Zu oft denken die Menschen, dass ihr Wert von dem Platz abhängt, den sie in dieser Welt einnehmen. Was den Menschen ausmacht, ist nicht der Platz, den er innehat, sondern die Freiheit, zu der er fähig ist und die er zum Ausdruck bringt, wenn er den letzten Platz einnimmt oder wenn für ihn ein Platz am Kreuz reserviert ist.“
Gebet für Frieden in Ukraine und Welt
Eine „Karriere“ nach dem Vorbild Christi bedeute Dienst und Demut, schärfte der Papst ein. Hier liege auch der Schlüssel zum Frieden, erinnerte er einmal mehr. „Solange wir nicht verstehen, dass die Revolution des Evangeliums in dieser Art von Freiheit liegt, werden wir weiterhin Zeugen von Kriegen, Gewalt und Ungerechtigkeit sein, die nichts anderes sind als das äußere Symptom eines Mangels an innerer Freiheit. Wo es keine innere Freiheit gibt, werden Egoismus, Individualismus, Eigennutz und Unterdrückung Tor und Tür geöffnet.“
„Möge L’Aquila wirklich eine Hauptstadt der Vergebung, des Friedens und der Versöhnung sein“, so Franziskus abschließend, der um die Fürsprache der Gottesmutter für Vergebung und Frieden in der ganzen Welt bat. An diesen Wunsch knüpfte der Papst auch beim Angelus-Gebet in L’Aquila an: „Lass uns die Gottesmutter anrufen, damit sie, wie ich am Ende der Predigt sagte, Vergebung und Frieden für die ganze Welt erlangt. Beten wir für das ukrainische Volk und für alle Völker, die unter den Kriegen leiden. Möge der Gott des Friedens in den Herzen der Führer der Nationen den menschlichen und christlichen Sinn für Barmherzigkeit wiederbeleben. Maria, Mutter der Barmherzigkeit und Königin des Friedens, bete für uns!“
Rückkehr in den Vatikan
Nach der Messe und dem Angelusgebet fuhr Papst Franziskus im Auto zum Leichtathletikplatz der Abruzzen-Hauptstadt, von wo aus er gegen 12.30 Uhr startete und mit dem Hubschrauber in den Vatikan zurückkehrte.
(vatican news - pr)
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