Der Papst und die Unterscheidung: Die Katechese im Wortlaut
Wie immer finden Sie die amtliche Fassung in Kürze auf vatican.va, der offiziellen Internetseite des Vatikans.
Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!
Wir setzen unsere Überlegungen zur Unterscheidung fort - in der nächsten Zeit werden wir am Mittwoch immer über die Unterscheidung sprechen -, und dazu kann es hilfreich sein, wenn wir uns auf ein konkretes Zeugnis beziehen.
Eines der lehrreichsten Beispiele liefert uns eine wichtige Begebenheit aus dem Leben des heiligen Ignatius von Loyola. Ignatius musste sich zu Hause auskurieren, nachdem er im Kampf am Bein verletzt worden war. Um sich die Langeweile zu vertreiben, bat er darum, dass man ihm etwas zu lesen gab. Er liebte Ritterromane, aber die einzige Lektüre, die es zu Hause gab, waren Heiligengeschichten. Etwas widerwillig befasste er sich damit und erlebte dann, wie sich ihm eine ganz neue, faszinierende Welt erschloß; eine Welt, die ihn ebenso in ihren Bann zog wie die der Ritter. Ignatius war fasziniert von den Heiligen Franziskus und Dominikus und verspürte den Wunsch, sie nachzuahmen. Aber auch die Welt der Ritter übte weiterhin Faszination auf ihn aus. Und so spürte er in sich selbst diesen Wechsel von Gedanken, die eine ähnliche Anziehungskraft auf ihn ausübten.
Ignatius begann jedoch auch, Unterschiede zu bemerken. In seiner Autobiographie schreibt er – in der dritten Person – über sich: „Wenn er an weltliche Dinge dachte, empfand er großes Vergnügen; sobald er aber ermüdet davon abließ, fand er sich trocken und unzufrieden. Wenn er jedoch daran dachte, barfuß nach Jerusalem zu gehen und nichts als Kräuter zu essen und all die Entbehrungen zu erdulden, von denen er wusste, dass sie bei den Heiligen üblich waren, war er nicht nur getröstet, solange er sich bei solchen Gedanken aufhielt- denen der Ritter und denen der Heiligen -, sondern blieb auch zufrieden und froh, nachdem er davon abgelassen hatte“ (Nr. 8), empfand eine gewisse Freude.
Die Leere der weltlichen Dinge
Bei dieser Erfahrung können wir vor allem zwei Aspekte beobachten. Der erste ist die Zeit: Die weltlichen Dinge sind anfangs anziehend, verlieren aber schnell an Glanz und lassen eine gewisse Leere und Unzufriedenheit zurück. Das Nachdenken über Gott dagegen weckt zunächst einen gewissen Widerstand - "dieses langweilige Zeug der Heiligen will ich nicht lesen" -, schenkt dann aber einen bisher nie gekannten Frieden, der von Dauer ist.
Und damit kommen wir zum zweiten Aspekt: dem Zielpunkt der Gedanken. Auf den ersten Blick scheint die Situation nicht ganz klar zu sein. Das Unterscheidungsvermögen durchläuft eine Entwicklung: Wir verstehen beispielsweise, was gut für uns ist – und das nicht auf abstrakte, allgemeine Weise, sondern auf unserem Lebensweg. In den Regeln für die Unterscheidung, die Frucht dieser grundlegenden Erfahrung ist, erklärt Ignatius, was die Voraussetzung dafür ist, diesen Prozess verstehen zu können: „Bei den Personen, die von Todsünde zu Todsünde schreiten, pflegt der böse Geist gemeinhin augenscheinliche Lust vor Augen zu führen, indem er Bilder sinnlicher Genüsse und Lüste hervorruft, um sie je mehr in ihren Sünden und Lastern zu erhalten und zunehmen zu lassen. Der gute Geist verfährt bei solchen Personen auf die entgegengesetzte Weise, indem er sie anstachelt und ihnen mit Gewissensbissen zusetzt durch die innere Stimme der Vernunft“ (Geistliche Übungen, 314).
Dem, der unterscheidet, geht eine Geschichte voraus, eine Geschichte, die man kennen muss. Die Unterscheidung ist nämlich nicht eine Art Orakel oder Fatalismus, als könne das Los auf zwei Entscheidungen fallen. Die großen Fragen tauchen auf, wenn wir bereits ein Stück unseres Lebensweges zurückgelegt haben, und genau zu diesem Punkt müssen wir zurückkehren, wenn wir verstehen wollen, was wir suchen. Wenn wir im Leben ein Stück Weges zurückgelegt haben, können wir uns fragen: "Warum gehe ich in diese Richtung, was suche ich?"; und da trifft man eine Unterscheidung. Als Ignatius im Haus seines Vaters seine Verletzung auskurierte, dachte er nicht im Geringsten an Gott oder daran, wie er sein Leben verbessern könnte. So machte Ignatius seine erste Gotteserfahrung, indem er auf die Regungen seines Herzens hörte, das ihm eine merkwürdige Umkehrung der Dinge aufzeigte: Dinge, die auf den ersten Blick anziehend waren, waren nun enttäuschend, während ihm andere, weniger glanzvolle Dinge einen dauerhaften Frieden schenkten. Auch wir machen diese Erfahrung, wieviele Male beginnen wir, an eine Sache zu denken, die sich dann als Enttäuschung erweist. Und dann tun wir vielleicht ein gutes Werk und empfinden Freude; wir haben einen guten Gedanken und das macht uns glücklich, schenkt uns Freude, eine ganz eigene Erfahrung. Ignatius macht seine erste Gotteserfahrung, indem er auf sein Herz hört, das ihm eine merkwürdige Umkehrung zeigt. Und genau das müssen wir lernen: auf unser Herz zu hören: um zu verstehen, was passiert, welche Entscheidungen wir treffen müssen, wie wir uns in einer Situation verhalten sollen. Wir müssen auf unser Herz hören. Wir hören auf den Fernseher, auf das Radio, das Handy - wir sind Meister im Hören -, aber ich frage dich: verstehst du dich darauf, auf dein Herz zu hören? Hältst du inne, um dich zu fragen: "Wie steht es um mein Herz? Ist es zufrieden, ist es traurig, ist es auf der Suche nach etwas?" Wenn man schöne Entscheidungen treffen will, muss man auf sein Herz hören.
Wie sich der Stil Gottes im Leben der Menschen zeigt...
Ignatius schlägt uns vor, die Heiligengeschichten zu lesen, weil sie auf eine verständliche Weise erzählen, wie sich der Stil Gottes im Leben von Menschen zeigt, die nicht viel anders sind als wir selbst - auch sie waren Menschen aus Fleisch und Blut. Ihre Handlungen sprechen zu den unseren und helfen uns, ihre Bedeutung zu verstehen.
In dieser berühmten Begebenheit über das Hin- und Hergerissensein des Ignatius zwischen zwei Gefühlen - denen, die er beim Lesen der Ritterromane und der Heiligenlegenden empfand -, können wir einen weiteren wichtigen Aspekt der Unterscheidung erkennen, den wir schon beim letzten Mal erwähnt haben. Die Ereignisse des Lebens scheinen zufällig zu sein. Alles war einem scheinbar banalen, ärgerlichen Zufall zu verdanken: es gab keine Bücher über Ritter, sondern nur solche über das Leben der Heiligen. Ein Ärgernis, das aber auch die Chance einer Umkehr barg. Das erkannte Ignatius zwar erst später, widmete dem dann aber seine ganze Aufmerksamkeit. Hört gut zu: Gott gibt sich durch unerwartete Ereignisse zu erkennen - diesen Zufall: dies und das ist mir zufällig passiert; diesen oder jenen Film habe ich zufällig gesehen - und er wirkt auch durch Missgeschicke: "Ich muss einen Spaziergang machen, aber ich habe ein Problem mit meinem Bein, ich kann nicht...". Ein unglücklicher Zufall: und was sagt dir Gott? Was sagt dir das Leben? Und das haben wir auch in einem Passus aus dem Matthäus-Evangelium gesehen: Ein Mann, der einen Acker pflügt, stößt zufällig auf einen dort vergrabenen Schatz. Eine völlig unerwartete Situation. Wichtig ist aber, dass er es als Glücksfall seines Lebens erkennt und sich entsprechend entscheidet: Er verkauft sein ganzes Hab und Gut und kauft diesen Acker (vgl. 13,44). Einen Rat möchte ich euch noch geben: passt auf die unerwarteten Dinge auf! Wenn man sagt: "Das habe ich ich mir nicht erwartet."... spricht dort das Leben zu dir, spricht Gott zu dir - oder der Teufel? Hier muss man unterscheiden - und wie reagiere ich angesichts dieser unerwarteten Dinge? Alles war gut, und da klopft es auf einmal -und die Schwiegermutter steht vor der Tür. Und wie reagierst du? Mit Liebe - oder empfindest du etwas anderes? Und du unterscheidest. ... Ich war im Büro und die Arbeit ging gut voran - und da kommt auf einmal ein Kollege, der Geld braucht - wie reagierst du? Wir müssen sehen, wie wir uns in unerwarteten Situationen verhalten und lernen, die Regungen unseres Herzens zu verstehen.
Unterscheidungsvermögen ist die Hilfe, die Zeichen zu erkennen, durch die sich der Herr in unerwarteten, ja manchmal sogar unangenehmen Situationen zu erkennen gibt – wie es die Beinverletzung für Ignatius war. Daraus kann eine Begegnung entstehen, die unser Leben für immer verändert, wie es bei Ignatius war. Es kann bewirken, dass du auf deinem Weg ein besserer Mensch wirst - oder auch ein schlechterer, ich weiß nicht. Aber wir müssen aufmerksam sein - und der schönste rote Faden steckt in den unerwarteten Dingen: "wie verhalte ich mich da?". Der Herr helfe uns, auf unser Herz zu hören und zu erkennen, wenn er es ist, der wirkt - oder etwas anderes.
(vaticannews - übersetzung: silvia kritzenberger)
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