Papst zu Jesuiten: Die Herzen der Menschen von Hass befreien
Momentan scheine es ihm nicht der richtige Zeitpunkt zu sein, in die Ukraine zu reisen, so der Papst bei dieser Gelegenheit. Unabhängig davon wies er darauf hin, dass es „ein Fehler“ sei, zu glauben, es ginge bei dem Krieg „um Russland und die Ukraine“ oder „um Gut und Böse“.
Das Gespräch, das Franziskus am vergangenen 15. September mit 19 Jesuiten der „russischen Region“ in der Apostolischen Nuntiatur in Nur-Sultan geführt hatte, wurde an diesem Donnerstag vollständig auf der Internetseite der Jesuitenzeitschrift „La Civiltà Cattolica“ veröffentlicht. Darin unterstreicht der Papst die Bemühungen des Heiligen Stuhls, den Ukrainern auf vielfältige Weise seine Nähe zu zeigen – er verweist unter anderem auf die Besuche von Kardinälen und diplomatischen Vertretern – und betont, dass er auch selbst gerne in die Ukraine reisen würde. Allerdings habe er „den Eindruck, dass es nicht Gottes Wille ist, gerade jetzt zu gehen, aber das werden wir später sehen“, räumte er ein.
Einsatz für Gefangenenaustausch
In dem Gespräch verrät Franziskus auch, dass er selbst für die Ermöglichung eines Austauschs von Gefangenen zwischen Russland und der Ukraine um Hilfe gebeten worden sei: „Es kam auch ein Militärchef, der für den Gefangenenaustausch zuständig ist, wieder (wie bei einer anderen Gelegenheit mit einem anderen Besucher, Anm.) zusammen mit dem religiösen Berater von Präsident Zelensky“, berichtet er: „Diesmal brachten sie mir eine Liste mit über 300 Gefangenen. Sie baten mich, etwas zu tun, um einen Austausch vorzunehmen. Ich habe sofort den russischen Botschafter angerufen, um zu fragen, ob man etwas tun kann, ob ein Gefangenenaustausch beschleunigt werden kann“. Er sei selbst am Tag nach dem Ausbruch des Konfliktes zur russischen Botschaft gefahren, „eine ungewöhnliche Geste“, um den russischen Botschafter um die Gelegenheit eines Gesprächs mit Putin zu bitten.
Keine guten und bösen Jungs
In Bezug auf den andauernden Konflikt warnte Franziskus allerdings auch vor Schwarz-Weiß-Malerei: „Es herrscht Krieg, und ich denke, es ist ein Fehler zu glauben, dass es sich um einen Cowboy-Film handelt, in dem es gute und böse Jungs gibt. Und es ist auch ein Irrtum zu glauben, dass es sich um einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine handelt und das war's. Nein: Dies ist ein Weltkrieg. Wir erleben bereits den Dritten Weltkrieg.“ Und all diese in einem Jahrhundert, erinnerte der Papst weiter. Zwar sei das Opfer des Konfliktes die Ukraine, aber man dürfe dessen Ursachen nicht vereinfachend betrachten, unterstrich Franziskus mit Blick auf die „internationalen Faktoren“ wie die Erweiterungspläne für die NATO und die damit zusammenhängenden russischen Ängste, die zum Kriegsausbruch beigetragen hätten: „Ich sehe Imperialismen im Konflikt. Und wenn sie sich bedroht und im Niedergang begriffen fühlen, reagieren die Imperialismen, indem sie denken, dass die Lösung darin besteht, einen Krieg zu beginnen, um dies wieder gutzumachen, und auch Waffen zu verkaufen und zu testen“.
Die Herzen der Menschen vom Hass befreien
Im Krieg seien es jedoch immer „die Menschen, die leiden. Das erzeugt Hass“, betonte der Papst. Die wahren Opfer, die für die Torheiten des Krieges mit ihrer Haut bezahlten, seien die einfachen Menschen, erinnerte Franziskus. Und weiter: „Wer Krieg führt, vergisst die Menschlichkeit; er schaut nicht auf das konkrete Leben der Menschen, sondern stellt allem voran Machtbestrebungen und Parteiinteressen.“ Es gelte, „die Herzen der Menschen vom Hass“ zu befreien.
Deutliche Worte
Er selbst habe den Einmarsch in die Ukraine als „unannehmbare, abscheuliche, sinnlose, barbarische und frevelhafte Aggression bezeichnet“, betont er. Teils war Kritik an seinen Äußerungen laut geworden, die manchen nicht scharf genug gegen Russland erschienen. Für Aufsehen hatte auch die Bemerkung des Papstes in einer Audienz gesorgt, mit der er sich auf das „arme Mädchen“ bezogen hatte, das in Moskau unter bislang ungeklärten Umständen bei einem Autobombenanschlag ums Leben gekommen war. Er meinte damit die Tochter des Putin-nahen Ideologen Alexander Dugin, Darja Dugina, die selbst eine glühende Verfechterin des russischen Angriffskriegs in der Ukraine war, hatte aber vor allem darauf hinweisen wollen, dass es im Krieg auf beiden Seiten Opfer gebe.
„An diesem Punkt vergaßen die Leute alles, was ich bis dahin gesagt hatte, und achteten nur noch auf diesen Hinweis. Aber ich verstehe die Reaktionen der Menschen, denn sie leiden sehr“, zeigte Franziskus sich verständnisvoll: „Der Papst wird nicht wütend, wenn er missverstanden wird, denn ich weiß sehr wohl, welches Leid dahintersteckt“.
Den Mitgliedern der Gesellschaft Jesu empfahl Franziskus: „Es geht mir nicht darum, dass ihr den Papst verteidigt, sondern dass sich die Menschen von euch, die ihr Mitbrüder des Papstes seid, umsorgt fühlen.“
Die Kirche müsse den Menschen nahe sein, der der Stil Gottes sei Nähe, betonte der Papst weiter: „Die Menschen müssen spüren, dass die Kirche nahe ist“. Mit Blick auf die Seminaristen, die sich für ein Leben im Dienst der Kirche entscheiden, gab Franziskus noch folgenden Rat: „Sie müssen normal sein, normale Jungs. Eines der Probleme in einigen Seminaren ist, dass keine normalen Menschen aufgenommen werden. Gebt acht, keine merkwürdigen religiösen oder menschlichen Strömungen zu befolgen.“ Dies gelte auch für das Gebet, das „normal“ sein müsse, wie das eines Kindes zum Vater, riet Franziskus, der seinerseits auch danach fragte, was die Kirchenmänner so weit weg von Rom eigentlich vom Vatikan hielten. Wenn sie sich von der Zentrale nicht beachtet fühlten, müssten sie laut werden, forderte sie Franziskus auf.
Das vollständige Interview des Papstes mit den Jesuiten in Kasachstan wurde am Donnerstag auf der Seite der „La Civiltà Cattolica“ in einem Artikel des Direktors der Zeitschrift, Pater Antonio Spadaro, veröffentlicht.
(vatican news - cs)
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