Großes Afrika-Interview des Papstes: Wider die Ausbeutungslogik
Die Zeitschrift „Mundo Negro“
veröffentlichte das bereits Mitte Dezember 2022 aufgezeichnete Gespräch am Freitag und mit Audio-Interviewausschnitten online, wenige Tage vor Franziskus‘ Afrikareise in die Demokratische Republik Kongo und den Südsudan. Der Papst hatte mehrfach den Wunsch geäußert, die beiden Länder zu besuchen. Am 31. Januar tritt er die - ursprünglich für Juli geplante - Reise an, die wegen seiner Knieprobleme verschoben worden war.
Nächste Afrikareise ein lang gehegter Traum
Die Frage, ob er sich auf diese Reise „am meisten“ freue, beantwortet der Papst in dem Interview mit „Ja“. Die Kirche der Demokratische Republik Kongo sei für ihn wie ein „Bollwerk der Inspiration“, formuliert Franziskus, es sei „eine Kirche mit Wurzeln“ und einer „eigenen Kultur“, was „beeindruckend“ sei, lobt der Papst. Die kongolesische Gemeinschaft in Rom stehe ihm „sehr nahe“, ergänzt er. Sie werde von einer charismatischen Ordensfrau geleitet, die er sehr schätze.
Dass er im Kongo doch nicht Goma wie ursprünglich geplant besuchen werde, habe nichts mit Angst um die eigene Sicherheit, sondern mit Sorge um die Menschen vor Ort zu tun, erläutert Franziskus mit Verweis auf lokale Terrorgefahr: „Ich lasse die Station nicht aus, weil ich Angst habe, mir wird nichts passieren, aber bei einer solchen Atmosphäre und wenn ich sehe, was sie (die Guerilla, Anm.) tun… sie werfen eine Bombe ins Stadion und töten viele Menschen. Wir müssen uns um die Menschen kümmern.“
Der Südsudan sei eine „leidende Gemeinschaft“, geht Franziskus auf die zweite Reisestation ein. Dass er die Reise dorthin nun unternehmen kann, sei ein „Traum“. Der Papst erinnert an den Friedenseinsatz für das Land, den er gemeinsam mit dem Anglikaner-Primas Justin Welby und dem Delegierten der Kirche von Schottland Jim Wallace seit Jahren vorantreibt. Bei einem Besuch der verfeindeten politischen Führer des Südsudan 2019 im Vatikan hatte Franziskus die Machthaber buchstäblich um Frieden „bekniet“ und ihnen die Füße geküsst.
Unvergessliche Erfahrung in Bangui 2015
Seinen „ersten intensiven Kontakt mit Afrika“ habe er in Bangui im Rahmen seiner Reise in die Zentralafrikanische Republik (November 2015) gehabt, bekennt der Papst. Sein Besuch sei in „eine Zeit des Übergangs“ gefallen, „in der die islamische und die katholische Gemeinschaft sehr gespalten waren“, erinnert sich Franziskus und lobt die wegweisenden Dialogbemühungen von Kardinal Dieudonné Nzapalainga, dem evangelischen Pfarrer Nicolas Nguerekoyame und dem Imam Kobine Layama: „Diese Erfahrung kann ich nicht vergessen“, so der Papst.
2015 ließ Franziskus in Bangui - an einem Ort der äußersten Peripherie aus europäische Sicht - mit dem Öffnen der Heiligen Pforte das vom ihm ausgerufene Heilige Jahr der Barmherzigkeit starten. Damals hatte der Papst gesagt: „Möge Bangui die spirituelle Hauptstadt der Welt werden!" „Ich glaube, ich habe mich schon immer für die Peripherie interessiert", so Franziskus jetzt gegenüber „Mundo Negro“: „Ich schaue mir die Peripherie von innen an, nicht nur, weil sie mich intellektuell interessiert.“
Mit deutlichen Worten verurteilt der Papst in dem Interview die seit der Sklavenzeit kolportierte Vorstellung, dass Afrika vor allem ein Ressourcen-Reservoir sei, das es auszubeuten gelte. „Die Vorstellung, dass Afrika existiert, um ausgebeutet zu werden, ist das größte Unrecht, das es gibt, aber sie ist im kollektiven Unterbewusstsein vieler Menschen verankert und muss geändert werden.“
Logik der Ausbeutung ablegen
Afrika sei „ursprünglich“, zeigt sich Franziskus über den Kontinent und seine Menschen beeindruckt. Jenseits der begehrten Bodenschätze bestehe Afrikas Schatz in einem „geistigen Reichtum“, lenkt der Papst die Aufmerksamkeit auf die Menschen und deren kulturelle und geistige Produktion. Und er verweist beispielhaft auf die „beeindruckende Klarheit“ und „intuitive Intelligenz“, die ihm bei jungen afrikanischen Studentinnen und Studenten aufgefallen sei. Bildung und der „intellektuelle Fortschritt der Afrikaner“ seien „eine ernste Angelegenheit“, betont er weiter die Bedeutung dieses Bereiches für den Fortschritt der afrikanischen Gesellschaften.
Arbeitsmigranten aus dem Süden seien oftmals eine Bereicherung für westliche Aufnahmeländer, in denen es einen Mangel bestimmter Berufe gebe, wirft er einen Blick in die Zielländer, in die Afrikaner:innen emigrieren. „Diese Menschen bieten ein frisches Zeugnis für neue Kulturen, im Gegensatz zu älteren Kulturen oder Kulturen, die im ,geschäftlichen‘ Sinne organisiert sind.“ Es sei eine Art „Re-branding“, allerdings gebe es auch die Gefahr, dass diese Menschen „das Gute, das sie bringen“ im neuen Lebensumfeld verlieren.
Kritik übt der Papst an dem Zustand der „halben Unabhängigkeit“, in dem sich viele afrikanische Staaten heute de facto befänden: „Ihnen wird wirtschaftliche Unabhängigkeit von Grund auf gegeben, aber die anderen behalten den Untergrund, um diesen auszubeuten. Wir sehen eine Ausbeutung durch andere Länder, die diese Ressourcen nehmen“, kritisiert Franziskus.
Kritik an Abschottungspolitik
Mit Blick auf die Zurückdrängung von hilfsbedürftigen Migranten aus Afrika spricht der Papst von „Verbrechen“ und kritisiert einmal mehr eine Politik, die in Abschottung abdriftet. In Nordafrika gebe es „Konzentrationslager“, „eine ganze Industrie, in der man Menschenfleisch vermarktet“, so Franziskus, was „schwerwiegend“ sei. Er dürfte dabei an die verzweifelte Lage von Flüchtlingen in Libyen gedacht haben, die eingesperrt, gefoltert und gehandelt werden.
Afrika zu helfen sei ohne einen Stopp der Ausbeutung des Kontinentes (bzw. dessen Ressourcen und Menschen) nicht glaubwürdig, macht er weiter deutlich: „Ein Regierungschef sagte einmal, dass das Problem der Migration in Afrika gelöst werden muss, um Afrika zu helfen, immer unabhängiger zu werden. Und das ist wahr. Tatsache ist jedoch, dass Afrika (in der allgemeinen Wahrnehmung, Anm.) dazu da ist, geplündert zu werden“, so Franziskus‘ bittere Bestandsaufnahme.
Franziskus bekräftigt in dem Interview seine mehrfach vorgebrachte Forderung, dass Flüchtlinge und Migranten „aufgenommen, begleitet und integriert" werden müssten. Er plädiert für eine Kultur der Aufnahme und eine geteilte Verantwortung der Staaten. In Europa herrsche „eine sehr große Ungerechtigkeit“, kritisiert der Papst: „Griechenland, Zypern, Italien, Spanien und auch Malta sind die Länder, die am meisten Migranten aufnehmen.“ Diese Länder müssten „mit allem fertig werden“ und stünden vor dem Dilemma, Flüchtlinge in riskante Gegenden zurückzuschicken: „Das ist ein ernstes Problem.“ Die Europäische Union sie hier „nicht hilfreich“, urteilt der Papst.
Harmonie der Unterschiede statt Proselytismus
Klar wendet sich der Papst in dem Gespräch mit „Mundo Negro“ gegen eine ideologische oder kolonialistisch geprägte Verkündigung des christlichen Glaubens. Die Missionstätigkeit der Kirche habe sich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil „Gott sei Dank“ weiterentwickelt, betont der Papst. Evangelisierung dürfe keinen kulturellen Reduktionismus oder eine Ideologisierung der Kulturen beinhalten, erinnert er, sie bedeute Verkündigung „mit großem Respekt“ und eine „Inkulturation des Glaubens“.
„Die schwerste Sünde, die ein Missionar begehen kann, ist daher der Proselytismus. Der Katholizismus ist kein Proselytismus.“ Ein Missionar respektiere „das, was an jedem Ort vorhanden ist, und hilft, Harmonie zu schaffen, aber er missioniert nicht ideologisch oder religiös, geschweige denn kolonialistisch“, so der Papst, es gehe vielmehr um eine „Harmonie der Unterschiede“. Dialog sei dabei „der Schlüssel“, so Franziskus über das Verhältnis zum Islam und zu den traditionellen Religionen.
Ausbeutung afrikanischer Ordensfrauen
Mit Blick auf den Einsatz junger Missionare und von Ordensfrauen aus dem Süden in westlichen Ländern rät der Papst zur Umsicht. „Diejenigen, die kommen, sollen auch hier als Missionare tätig sein. Wir müssen sehr vorsichtig sein, wenn es um die Freiheit der Evangelisierung und nicht um andere Interessen geht.“ Es gebe etwa Fälle insbesondere von jungen Ordensschwestern, „die hierherkommen, nicht vorbereitet sind, keine missionarische Berufung haben und auf der Straße enden“, so Franziskus.
Dass in Europa und in der westlichen Welt die Zahl der Berufungen rapide sinkt, löst beim Papst keine Panik aus, lässt er durchblicken und unterscheidet: „Es beunruhigt mich nicht in dem Sinne, dass wir dahinschmelzen, es ist ein Zeichen der Zeit, das Weltlichkeit signalisiert, das ein Entwicklungsniveau signalisiert, das Werte anderswo ansiedelt. Es signalisiert Krisen, es gibt Krisen, und Krisen müssen durchlebt und überwunden werden.“
(vatican news – pr)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.