Generalaudienz: Die Katechese von Papst Franziskus im Wortlaut
Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!
Bevor wir mit dieser Katechese beginnen, möchte ich, dass wir uns all jenen anschließen, die hier – ganz in unserer Nähe – Benedikt XVI. die letzte Ehre erweisen. Meine Gedanken gehen zu ihm, der ein so großer Lehrmeister der Katechese war. Sein scharfes und feinfühliges Denken war nicht selbstbezogen, sondern kirchlich, weil er uns immer der Begegnung mit Jesus zuführen wollte. Der auferstandene und gekreuzigte Jesus – der lebendige Christus und unser Herr –, war das Ziel, zu dem uns Papst Benedikt geführt hat, indem er uns an die Hand nahm. Er möge uns helfen, in Christus die Freude des Glaubens und die Hoffnung des Lebens wiederzuentdecken!
Mit dieser heutigen Katechese beenden wir den Zyklus zum Thema „Unterscheidung“, und wir tun dies, indem wir unsere Ausführungen über die Hilfsmittel abschließen, die für die Unterscheidung hilfreich sein können und müssen: den Unterscheidungsprozess unterstützen. Eines davon ist die geistliche Begleitung, die vor allem für die Selbsterkenntnis wichtig ist, die wiederum – wie wir gesehen haben – eine unabdingbare Voraussetzung für die Unterscheidung ist. Sich allein im Spiegel zu betrachten hilft nicht immer, denn einer kann fantasieren über das Bild. Hingegen sich im Spiegel mit der Hilfe eines anderen anzusehen hilft sehr, denn der andere sagt dir die Wahrheit - wenn er wahrhaftig ist - und so hilft er dir.
Die Gnade Gottes in uns wirkt sich immer auf unser Wesen aus. Denkt man an ein Gleichnis im Evangelium, so kann man die Gnade mit der „guten Saat“ und unser Wesen mit dem „Boden“ vergleichen (vgl. Mk 4,3-9). Wichtig ist vor allem, dass wir uns selbst zu erkennen geben – ohne Furcht davor, unsere zerbrechliche Seite zu zeigen: unsere Schwächen und unsere Verletzlichkeit; die Angst, beurteilt zu werden. Sich zu erkennen geben, sich selbst einer Person zeigen, die uns auf unserem Lebensweg begleitet. Nicht für uns entscheidet, nein: die uns begleitet. Denn in Wahrheit ist unsere Zerbrechlichkeit unser wahrer Reichtum. Ein Reichtum, den wir respektieren und annehmen müssen. Denn wenn wir ihn Gott anbieten, befähigt er uns zu Zärtlichkeit, Barmherzigkeit und Liebe. Vorsicht vor Menschen, die sich nicht zerbrechlich fühlen: sie sind hart, diktatorisch. Hingegen die Menschen, die mit Demut ihre Zerbrechlichkeiten anerkennen, haben mehr Verständnis für andere. Die Zerbrechlichkeit, das kann ich sagen, macht uns menschlich. Es ist kein Zufall, dass die erste der drei Versuchungen Jesu in der Wüste – die, die mit dem Hunger zu tun hat – versucht, uns unserer Zerbrechlichkeit zu berauben, indem sie sie uns als ein Übel präsentiert, das es loszuwerden gilt; als ein Hindernis dabei, Gott ähnlich zu sein. In Wahrheit aber ist sie unser kostbarster Schatz: Um uns ihm ähnlich machen zu können, hat Gott nämlich unsere Schwäche in allem mit uns teilen wollen. Schauen wir das Kreuz an: Gott ist gerade bis zur Zerbrechlichkeit herabgestiegen. Schauen wir die Krippe an, die in einer großen menschlichen Schwäche kommt. Er hat unsere Zerbrechlichkeit geteilt.
Und wenn sie von der Fügsamkeit gegenüber dem Heiligen Geist getragen ist, hilft die geistliche Begleitung auch schwere Missverständnisse in unserer Selbsteinschätzung und unserer Beziehung zum Herrn aufzudecken. Das Evangelium legt uns verschiedene Beispiele für klärende und befreiende Gespräche vor, die Jesus geführt hat. Denken wir nur an die Samariterin, wir lesen es, und immer ist darin diese Weisheit und Zärtlichkeit Jesu; denken wir an Zachäus, an die Sünderin, an Nikodemus, an die Emmausjünger: Die Art, sich dem Herrn anzunähern. Menschen, die Jesus wirklich begegnen und keine Angst haben, ihm ihr Herz zu öffnen und ihre Schwäche, die eigene Unzulänglichkeit, die eigene Zerbrechlichkeit zu zeigen. Auf diese Weise machen sie die Erfahrung des Heils und der unentgeltlich empfangenen Vergebung.
Einem anderen Menschen zu erzählen, was wir erlebt haben oder wonach wir suchen, hilft uns, in uns selbst Klarheit zu schaffen und die vielen Gedanken ans Tageslicht treten zu lassen, die in uns wohnen und uns beunruhigen, wenn sie immer wieder hartnäckig in uns aufsteigen. Wie oft kommen in dunklen Momenten Gedanken wie: „Ich habe alles falsch gemacht, ich bin wertlos, niemand versteht mich, ich werde nie Erfolg haben, ich bin zum Scheitern verurteilt“. Wie oft sind uns solche Gedanken gekommen. Falsche und giftige Gedanken, die durch die Konfrontation mit den anderen entlarvt werden, so dass wir uns vom Herrn geliebt und geschätzt fühlen können, so wie wir sind: fähig, Gutes zu tun für ihn. Wir entdecken mit Erstaunen andere Sichtweisen, Zeichen des Guten, die schon immer in uns vorhanden waren. Es ist wahr, wir können unsere Zerbrechlichkeit mit dem anderen teilen, mit dem, der uns in unserem Leben begleitet, im spirituellen Leben, der Lehrmeister des spirituellen Lebens, sei es ein Laie oder ein Priester, ihm zu sagen: ,Sieh einmal, was mit mir passiert, ich bin ein Unglücksrabe, mir geschehen diese Dinge', und der und hilft, sie klar zu sehen, ihre Wurzeln zu erkennen und sie so zu überwinden.
Der geistliche Begleiter oder die geistliche Begleiterin tritt nicht an die Stelle des Herrn; er verrichtet nicht die Arbeit der begleiteten Person, sondern geht an ihrer Seite und ermutigt sie, das zu verstehen, was ihr Herz bewegt: der Ort, an dem der Herr zu uns spricht. Der geistliche Begleiter, den wir spirituellen Leiter nennen (das gefällt mir nicht, nennen wir ihn geistlichen Begleiter, das ist besser) ist der, der dir sagt: ,Aber gut, schau doch einmal hierhin, dorthin' - er lenkt deine Aufmerksamkeit auf Dinge, die vielleicht vorübergehen; er hilft uns, besser die Zeichen der Zeit zu erkennen, die Stimme des Herrn, die Stimme des Verführers, die Stimme der Schwierigkeiten, die ich nicht zu überwinden weiß. Es gibt ein afrikanisches Sprichwort (...), das besagt: ,Wenn du schnell ankommen willst, geh allein; wenn du sicher ankommen willst, geh mit den anderen', geh in Begleitung, geh mit deinem Volk. Das ist wichtig. Im spirituellen Leben ist es besser, sich von jemandem begleiten zu lassen, der unsere Dinge kennt und uns hilft. Und das ist die geistliche Begleitung.
Diese Begleitung kann fruchtbar sein, wenn wir die Erfahrung der Kindschaft und der geistigen Geschwisterlichkeit gemacht haben. Wir entdecken, dass wir Kinder Gottes sind, wenn wir entdecken, dass wir Brüder und Schwestern sind, Kinder desselben Vaters. Deshalb ist es unerlässlich, Teil einer Weggemeinschaft zu sein. Wir sind nicht allein, wir sind Menschen eines Volkes, einer Nation, einer Stadt, die unterwegs ist, einer Kirche, einer Pfarrei, dieser Gruppe... eine Gemeinschaft auf dem Weg. Man geht nicht allein zum Herrn. Das geht nicht. Das müssen wr gut verstehen. Wie in der Geschichte des Gelähmten im Evangelium, werden wir oft dank des Glaubens eines anderen unterstützt und geheilt (vgl. Mk 2,1-5), der uns hilft, vorwärts zu gehen, denn wir alle haben manchmal innere Lähmungen und es braucht jemanden, der uns dabei hilft, diesen Konflikt mit der Hilfe zu überwinden. Man geht nicht allein zum Herrn, erinnern wir uns gut daran; ein anderes Mal wieder sind wir es, die sich für einen anderen Bruder oder eine Schwester einsetzen, und wir sind Begleiter, um dem anderen zu helfen. Ohne die Erfahrung der Kindschaft und der Geschwisterlichkeit kann die Begleitung zu unrealistischen Erwartungen, Missverständnissen und Formen der Abhängigkeit führen, die den Menschen in einem infantilen Zustand belassen. Nein, Begleitung, aber als Kinder Gottes und Geschwister untereinander.
Die Jungfrau Maria ist Meisterin der Unterscheidung: Sie spricht wenig, hört zu und bewahrt alles in ihrem Herzen (vgl. Lk 2,19). Die drei Verhaltensweisen der Maria: wenig sprechen, viel zuhören und im Herzen bewahren. Und die wenigen Male, die sie spricht, setzt sie ein Zeichen. Zum Beispiel im Johannesevangelium gibt es einen kurzen Satz von Maria, der für die Christen aller Zeiten ein Auftrag ist: „Was er euch sagt, das tut!“ (vgl. 2,5). Es ist kurios, einmal habe ich eine sehr gute ältere Frau gehört, sehr gut, sehr fromm; sie hatte keine Theologie studiert, sie war sehr einfach. Und sie hat mir gesagt: ,Wissen Sie, welche Geste die Madonna immer macht?' - Ich weiß nicht, sie streichelt, sie ruft dich... ,Nein, die Geste, die die Madonna macht, ist diese (Franziskus zeigt mit dem Finger in eine andere Richtung)'. Ich verstand nicht, was sollte das heißen? ,Sie zeigt immer auf Jesus.' Das ist schön, die Madonna nimmt nichts für sich, sondern sie zeigt auf Jesus. Das tun, was Jesus uns sagt, so ist die Madonna. Maria weiß, dass der Herr zu den Herzen der Menschen spricht, und sie bittet uns, dieses Wort in Taten und Entscheidungen umzusetzen. Sie wusste dies mehr als jeder andere, und tatsächlich ist sie in den entscheidenden Momenten des Lebens Jesu präsent, vor allem in der Stunde seines Todes am Kreuz.
Liebe Brüder und Schwestern, wir beenden diese Katechese zur Unterscheidung: Unterscheidungskraft ist eine Kunst: eine Kunst, die man lernen kann und die ihre eigenen Regeln hat. Wenn sie gut gelernt wird, macht sie eine geistliche Erfahrung möglich, die immer schöner wird. Das Unterscheidungsvermögen ist vor allem ein Geschenk Gottes, um das man immer bitten muss, ohne sich zu „Experten“ aufzuschwingen, die sich selbst genügen. Herr, gib mir die Gnade, in den Momenten des Lebens zu unterscheiden, was ich machen muss, was ich verstehen muss. Gib mir die Gnade, zu unterscheiden, und gib mir die Person, die mir bei der Unterscheidung hilft.
Die Stimme des Herrn gibt sich immer zu erkennen, sie hat einen einzigartigen Stil: es ist eine Stimme, die beruhigt, ermutigt und Trost spendet in der Not. Das Evangelium erinnert uns immer wieder daran: „Fürchte dich nicht, fürchte dich nicht“: wie schön sind diese Worte des Engels zu Maria nachdem Jesus auferstanden ist (Lk 1,30); „Fürchte dich nicht“, „Fürchtet euch nicht", das ist wirklich der Stil des Herrn, „Fürchtet euch nicht". „Fürchtet euch nicht" sagt der Herr auch heute zu uns: „Fürchtet euch nicht". Wenn wir seinem Wort vertrauen, werden wir das Spiel des Lebens gut spielen und anderen helfen können. Wie der Psalm sagt, ist sein Wort unserem Fuß eine Leuchte, ein Licht für unsere Pfade (vgl. 119,105). Danke.
(vatican news - skr/cs)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.