Alte Wunden: Papst spricht mit Jesuiten über Argentinien
Christine Seuss - Vatikanstadt
Franziskus hatte die ungarischen Jesuiten am zweiten Tag seines Budapest-Aufenthaltes in der Nuntiatur in Budapest empfangen. Wie mittlerweile üblich, hat P. Antonio Spadaro, Chefredakteur der Jesuitenzeitschrift „La Civilta Cattolica“, eine Abschrift der Unterhaltung angefertigt, die an diesem Dienstag veröffentlicht wurde. Besonders ausführlich ging der Papst bei der Unterhaltung auf seine Rolle während der Militärdiktatur in Argentinien und die Vorwürfe ein, die im Nachhinein mit Bezug auf sein Verhalten erhoben wurden.
Inhaftierte Jesuiten waren Seelsorger, keine Politiker
Die beiden Patres Franz Jálics und Orlando Yorio hätten seinerzeit in einem Arbeiterviertel gute Arbeit geleistet, so der Papst, der damals Provinzial der argentinischen Jesuiten war. Mit dem Ungarn Jálics hatte er eine besondere Beziehung: so war dieser während des ersten und zweiten Jahres im Theologiestudium Bergoglios spiritueller Betreuer und Beichtvater. „In dem Viertel, in dem er arbeitete, gab es eine Guerillazelle. Aber die beiden Jesuiten hatten nichts mit ihnen zu tun: Sie waren Seelsorger, keine Politiker“, unterstrich Franziskus gegenüber den ungarischen Mitbrüdern. Dennoch wurden sie verhaftet und verbrachten unschuldig neun Monate in Haft, während derer sie gefoltert und bedroht wurden. Dies habe auch nach ihrer Freilassung „tiefe Wunden“ hinterlassen, räumte Franziskus ein.
Er habe Jálics bei einem persönlichen Gespräch kurz nach seiner Entlassung geraten, zu seiner Mutter in die Vereinigten Staaten zu gehen. „Die Situation war zu verwirrend und ungewiss. Dann entstand die Legende, dass ich derjenige gewesen sei, der sie verhaften ließ.“ Die argentinische Bischofskonferenz habe jedoch erst vor einem Monat zwei von drei geplanten Bänden veröffentlicht, in denen alle Dokumente wiedergegeben würden, die es zu diesen Vorgängen zwischen der Kirche und dem Militär gegeben habe: „Sie können dort alles nachlesen“, so Franziskus.
Bei mehreren Gelegenheiten habe er Jálics in späteren Jahren wiedergetroffen, doch beim letzten Treffen im Vatikan sei deutlich geworden, dass das Jálics schwergefallen sei, „weil er nicht wusste, wie er mit mir sprechen sollte“: „Da war eine Distanz. Die Wunden der vergangenen Jahre blieben sowohl in mir als auch in ihm, weil wir beide diese Verfolgung erlebt hatten.“
Eine spätere, demokratische Regierung habe ihm, wie Franziskus pointiert formulierte, sozusagen „den Kopf abschlagen“ wollen und ihn im Rahmen eines Prozesses lange über sein Verhalten während des Regimes ausfragen lassen. Insbesondere einer der Richter sei sehr hartnäckig gewesen, auch wenn aus seiner Sicht „die einzige ernsthafte und begründete Frage“ von einem kommunistischen Anwalt gekommen sei: „Und dank dieser Frage konnten die Dinge geklärt werden. Am Ende wurde meine Unschuld festgestellt“.
In diesem Prozess sei allerdings Jàlics fast nicht erwähnt worden; stattdessen sei es um andere Fälle gegangen. Zwei der Richter habe er auch später als Papst wiedergesehen. Dabei habe ihm einer der beiden anvertraut, dass es „klare Anweisungen“ der Regierung gegeben habe, ihn zu verurteilen: „Aber ich möchte hinzufügen, dass die Situation in Argentinien, als Jálics und Yorio von den Militärs entführt wurden, verwirrend war und es überhaupt nicht klar war, was zu tun war. Ich habe getan, was ich für nötig hielt, um sie zu verteidigen. Es war eine sehr schmerzhafte Angelegenheit.“
Christliche Liebe gegenüber Missbrauchstätern?
Doch auch andere Themen berührte das Gespräch, in dem Franziskus seinen Mitbrüdern wie üblich freie Hand gegeben hatte, zu fragen, was ihnen in den Sinn komme. Wie man denn christliche Liebe für diejenigen empfinden könne, die Missbrauch begangen hätten, so die Frage eines Jesuiten. „Das ist wirklich nicht einfach“, räumte Franziskus ein. Auch sie seien Kinder Gottes, selbst wenn wir vor ihnen zurückwichen: „Deine Frage ist sehr stark. Der Missbrauchstäter muss verurteilt werden, in der Tat, aber als Bruder. Ihn zu verurteilen muss als Akt der Nächstenliebe verstanden werden.“ Denn die Logik der Feindesliebe drücke sich auch auf diese Weise aus: „Und das ist nicht einfach zu verstehen oder zu leben. Der Missbrauchstäter ist ein Feind (…) Aber auch er ist ein Kind Gottes (…) Er verdient eine Strafe, aber gleichzeitig auch pastorale Fürsorge“, auch wenn dies nicht einfach sei, so die abwägende Antwort des Kirchenoberhauptes.
Versprochene Rückkehr nach Ungarn
Mit Blick auf den Grund für seine erneute Ungarnreise wiederholte Franziskus, dass er eine Rückkehr versprochen habe, als er auf der Durchreise in die Slowakei für den Eucharistischen Kongress 2021 nur einige Stunden in der Hauptstadt war. Damals war nur am Rande des Programms ein kurzes, nicht offizielles Gespräch mit Regierungsvertretern zustandegekommen.
Klare Kommunikation und Kohärenz
Mit Blick darauf, wie man jungen Leuten gegenübertreten solle, zeigte sich der Papst überzeugt davon, dass nur „klare Worte“ und Kohärenz die richtige Weise seien, um mit der Jugend in Kontakt zu treten: „Jemand sagte einmal, um ein guter Jesuit zu sein, muss man klar denken und dunkel sprechen. Aber mit den jungen Leuten darf das nicht so sein: Man muss klar mit ihnen kommunizieren und ihnen Kohärenz zeigen.“ Doch klar zu sprechen bedeute nicht, aggressiv aufzutreten, so der Papst, für den in diesem Zusammenhang auch das Stickwort Authentizität bedeutsam war: „Die Prophezeiung eines jungen Menschen entspringt einer zärtlichen Beziehung zu einem älteren Menschen. ,Zärtlichkeit‘ ist eines der Schlüsselwörter Gottes: Nähe, Mitgefühl und Zärtlichkeit. Auf diesem Weg werden wir nie falsch liegen. Das ist der Stil Gottes.“
Erneut warnte der Papst in dem Gespräch mit den Jesuiten vor der Gefahr der „Rückwärtsgewandtheit“. Das II. Vatikanische Konzil, das von der Beziehung zwischen Kirche und moderner Welt spreche, sei heute immer noch in der Phase der Umsetzung. Doch dies sei ein Wandel, der von unten nach oben erfolge, so Franziskus: „Die Gefahr heute ist die Rückwärtsgewandtheit, die Reaktion gegen die Moderne. Das ist eine nostalgische Krankheit. Deshalb habe ich beschlossen, dass alle neu geweihten Priester eine Erlaubnis dafür einholen müssen, nach dem Römischen Messbuch von 1962 zu zelebrieren.“ Denn die Feier der alten Messe sei „auf ideologische Weise benutzt“ worden, um zurückzugehen: „Es war notwendig, diese Rückwärtsgewandtheit zu beenden, die nicht in der pastoralen Vision meiner Vorgänger lag“, so der Papst mit Blick auf Johannes Paul II und Benedikt XVI., die die Feier der Messe nach dem Missale von 1962 wieder erlaubt hatten.
Rückwärtsgewandtheit eine nostaligische Krankheit
Wie er selbst denn seine Priesterweihe erlebt habe und welchen Ratschlag er ihm geben könne, so die letzte Frage eines Kandidaten, der in drei Wochen zum Priester geweiht werden sollte, an den Papst.
Zwei der fünf Kameraden, die mit ihm geweiht wurden, seien noch am Leben, so Franziskus, der am 13. Dezember 1969 zum Priester geweiht worden ist. Er habe eine schöne Erinnerung an die schlichte Weihe, die im Garten der theologischen Fakultät von Córdoba durch Erzbischof Ramón José Castellano erfolgte. „Und es war auch schön für mich zu sehen, dass eine Gruppe meiner Kameraden aus dem chemischen Labor, in dem ich gearbeitet habe, allesamt Atheisten und Kommunisten, anwesend waren. Sie waren anwesend…“
(vatican news)
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