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Franziskus 2013 mit Migranten in Lampedusa Franziskus 2013 mit Migranten in Lampedusa

Marseille: Der Papst und die „Theologie des Mittelmeers“

Ja, es gibt so etwas wie ein Mittelmeer-Lehramt von Papst Franziskus: Seit seiner Wahl 2013 hat der Argentinier, der aus einer der großen Hafenstädte Lateinamerikas stammt, 17 Länder des „Mare Nostrum“ bereist.

Damit wirft er Licht auf einen schwindelerregenden geografischen, zivilisatorischen und theologischen Raum, in dem etwa die drei abrahamitischen Religionen entstanden sind. Franziskus ist davon überzeugt, dass es eine „Theologie des Mittelmeers“ gibt; bei einer Konferenz in Neapel hat er sie 2019 durchbuchstabiert.

Interview

Welche theologische Bedeutung haben die Mittelmeertreffen wie jenes, an dem jetzt Papst Franziskus in Marseille teilnimmt?

Pater Patrice Chocholski, Direktor des „Katholischen Instituts für das Mittelmeer“ in Marseille: „Die Geschichte des Mittelmeerraums erzählt von einem kontinuierlichen Hin und Her von glücklichen und dramatischen Beziehungen, von Konfrontation und Dialog. Sie führt uns vor Augen, dass es sich um einen Ort der Offenbarung handelt, der uns sagt, dass Gott Dialog ist und dass der Dialog der Ort Gottes ist. Das Mittelmeer bildet sozusagen ein relationales Zwischenreich; an seinen Ufern entstand das Nachdenken der Philosophen über das Wort, den Logos. Wir denken da natürlich an die Genesis und an den Prolog des Johannesevangeliums: Im Anfang war das Wort…“

Die Kathedrale von Marseille
Die Kathedrale von Marseille

Ist das, was Papst Franziskus die „Theologie des Mittelmeers“ nennt, eigentlich neu, oder hat es das schon immer gegeben?

„Dass es ein theologisches Netzwerk gibt, vom Institut Catholique de la Méditerranée hin zu Theologen der verschiedenen Ufer, das ist ziemlich neu. Es holt das Denken zum Thema Dialog noch mal auf ganz neue Weise in die Theologie hinein.“

Welche theologische Verantwortung trägt die katholische Kirche im Mittelmeerraum?

„Die Einzigartigkeit des mediterranen Kontextes, der auch die Wiege der drei großen monotheistischen Religionen und großer Philosophien ist - ich denke dabei insbesondere an das griechische Erbe -, drängt uns vor allem dazu, unsere Beziehungen zum Volk Israel neu zu überdenken. Hier geht es vor allem darum, dass sich die katholische Theologie von den letzten Spuren der sogenannten Substitutionstheorie befreit. Die Theologie wird zu tiefer Demut und Sensibilität gegenüber dem anderen aufgefordert. Es ist das ‚Du‘, das das ‚Ich‘ entstehen lässt, das ‚Du‘ des anderen, das unser ‚Wir‘ entstehen lässt. Das ist theologisch noch nicht zu Ende gedacht.

In Marseille sind wir sehr von Christian de Chergé (einem in Algerien ums Leben gekommenen Trappisten, Anm.d.Übs.) inspiriert, der sich die Frage nach den Völkern des Mittelmeerraums stellte, insbesondere nach den Völkern des Islam. Das inspiriert uns so sehr, dass wir an einer katholischen Schule des Dialogs arbeiten – mit Partnern im Mittelmeerraum, im Libanon, bis hin zum Irak, in Neapel, Bari, Rabat in Marokko, Pisa, auch mit Forschern in Haifa, Kairo, Barcelona. Außerdem stehen wir in Verbindung mit jüdischen Theologen, muslimischen Forschern, Persönlichkeiten aus der agnostischen oder atheistischen Welt. Der Dialog als Ort Gottes stört sie nicht, ganz im Gegenteil, er fordert sie heraus. Diese mediterrane Pluralität kann dem Rest der Welt viel sagen, Möglichkeiten für den Frieden.“

Im Hafen von Marseille
Im Hafen von Marseille

Warum gibt es im Mittelmeerraum so viele Städte mit speziellen Botschaften?

„Es gibt hier eine kulturelle und religiöse Pluralität von Menschen, die aus mehreren Kontinenten kommen, aus Asien, Nordafrika und Europa, ganz zu schweigen von den Migranten aus anderen Kontinenten, die von der mediterranen Familie sehr freundschaftlich aufgenommen werden. Ich sehe es hier in Marseille: Die kulturelle Pluralität, die religiöse Pluralität ist kein Hindernis für unsere Beziehungen. Die Beziehung steht an erster Stelle. Vielleicht spielen auch das Klima und die Gastronomie eine Rolle.

Wir haben auch Unternehmen, die uns sagen: ‚Kommt und helft uns, bietet uns Schulungen zum interkulturellen und interreligiösen Dialog an‘. Fußballvereine bitten uns darum; die sagen uns: ‚Wenn es Euch gelingt, religiöse Fragen nicht auf die Ebene der Probleme und Blockaden, sondern auf die Ebene der Lösungen zu stellen, dann werden wir erfolgreiche Fußballmannschaften haben, denn unter den Spielern gibt es Muslime, Christen, Juden, Buddhisten‘.“

(vatican news – sk)
 

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22. September 2023, 15:43