Papst bei Mittelmeer-Treffen: Mit Waffen macht man Krieg
Stefanie Stahlhofen - Vatikanstadt
Der Palais du Pharo, der sich auf einer Landzunge über Marseille erhebt, bietet Blick auf das Mittelmeer und auf den Hafen. Ein geeigneter Ort zum Abschluss des Mittelmeertreffens, das inzwischen bereits zum 3. Mal stattfand. Diesmal unter dem Motto „Mosaik der Hoffnung" - erstmals in Frankreich statt Italien und unter Federführung des Kardinals und Erzbischofs von Marseille, Jean-Marc Aveline, und der französischen Bischofskonferenz.
Papst Franziskus, der 2022 bei der vorigen Mittelmeerkonferenz in Florenz aus gesundheitlichen Gründen absagen musste, war dieses Mal wieder dabei. Ein paar Schritte auf dem roten Teppich zum Eingang des Palais du Pharo ging das 86-jährige katholische Kirchenoberhaupt diesen Samstagvormittag auch selbst - ohne Rollstuhl; Geleit gab Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Der französische Politiker und Ehefrau Brigitte waren auch dabei, als Papst Franziskus vor insgesamt rund 900 Zuhörern im Auditorium des Palais du Pharo sprach:
„Brüder und Schwestern, im heutigen Meer der Konflikte sind wir hier, um den Beitrag des Mittelmeerraums zur Geltung zu bringen, damit er wieder zu einer Werkstatt des Friedens werden kann. Denn das ist seine Berufung: ein Ort zu sein, an dem sich verschiedene Länder und Wirklichkeiten auf der Grundlage unseres gemeinsamen Menschseins und nicht aufgrund widerstreitender Ideologien begegnen. Ja, der Mittelmeerraum ist Ausdruck eines nicht uniformen und ideologischen, sondern eines vielgestaltigen und realitätsgerechten Denkens; eines lebendigen, offenen und versöhnlichen Denkens: eines Gemeinschaftsdenkens.
Wie sehr brauchen wir dies in der gegenwärtigen Situation, in der antiquierte und kriegstreibende Nationalismen den Traum von der Gemeinschaft der Nationen zunichtemachen wollen! Aber – lasst uns das nicht vergessen – mit Waffen macht man Krieg, nicht Frieden, und mit Machtgier kehrt man in die Vergangenheit zurück, statt die Zukunft zu gestalten", redete Papst Franziskus den Anwesenden ins Gewissen.
Erfahrungsberichte und konkrete Forderungen
Das Treffen, das erstmals 2020 von der italienischen Bischofskonferenz in der italienischen Hafenstadt Bari organisiert wurde, will Bischöfe aus Mittelmeerländern mit weiteren Akteuren des Mittelmeerraums vernetzen, um gemeinsam Lösungen für Frieden und Antworten auf die Herausforderungen der Migration zu finden. (Kommunal-)Politiker, Bischöfe aus Frankreich und dem Mittelmeeraum, Religionsführer und Vertreter verschiedener Organisationen nahmen an den Beratungen des Mittelmeertreffens teil. Im Publikum saßen am Samstag unter anderem auch Diplomaten, der Vizepräsident der EU-Kommission, Margaritis Schinas, und die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde.
Dieses Mal waren außerdem besonders junge Menschen zu den Beratungen eingeladen. Während der Schluss-Sitzung berichteten stellvertretend auch zwei Teilnehmer des Treffens von ihren Erfahrungen: Mariaserena, eine junge Italienerin, die in Griechenland Migranten hilft, und der Erzbischof von Tirana-Durres, Arjan Dodaj, der selbst als Bootsflüchtling aus Albanien nach Italien kam. Papst Franziskus ging in seiner Rede, die darauf folgte, auch auf den „erstickten Schrei unserer Brüder und Schwestern Migranten" ein, inklusive Anspielungen auf die europäische Flüchtlingspolitik:
„Marseille hat einen großen Hafen und ist ein großes Tor, das nicht geschlossen werden kann. Verschiedene Mittelmeerhäfen hingegen haben geschlossen. Und zwei Worte waren immer wieder zu hören und schürten die Ängste der Menschen: ,Invasion' und ,Notsituation'. Aber diejenigen, die ihr Leben auf dem Meer riskieren, sind keine Invasoren, sie suchen Aufnahme. Was die Notsituation angeht, so ist das Migrationsphänomen nicht so sehr eine momentane Notlage, die immer gerne für panikmachende Propaganda herhalten muss, sondern eine Gegebenheit unserer Zeit, ein Prozess, der drei Kontinente rund um das Mittelmeer betrifft und der mit kluger Weitsicht gestaltet werden muss: mit einer europäischen Verantwortung, die in der Lage ist, die objektiven Schwierigkeiten anzugehen."
Konkret forderte das katholische Kirchenoberhaupt in seiner Rede - für die es stellenweise auch immer wieder Zwischen-Applaus gab - „den jeweiligen Möglichkeiten entsprechend – eine Vielzahl von legalen und regulären Einreisemöglichkeiten, die dank einer ausgewogenen Aufnahme in Europa in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern möglich sind". Sich abzuschotten bedeute, die Augen zu verschließen -„der Versuch, sich heute ,selbst zu retten', wird sich morgen in eine Tragödie verwandeln", warnte Papst Franziskus.
Langer Schrei nach Gerechtigkeit
Das mare nostrum schreie nach Gerechtigkeit, und zwar schon lange. Für die katholische Kirche und auch frühere Päpste sei das Thema Migration schon lange „dringlich und besorgniserregend". Seit mehr als 50 Jahren fordere man Solidarität, Gastfreundschaft, Gerechtigkeit und eine menschlichere Welt für alle. Dass dies nicht einfach zu erreichen ist, ist auch dem Papst klar:
„Natürlich sind die Schwierigkeiten bei der Aufnahme, dem Schutz, der Förderung und der Integration von unerwarteten Menschen nicht zu übersehen, aber das Hauptkriterium kann nicht der Erhalt des eigenen Wohlstandes sein, sondern vielmehr die Wahrung der Menschenwürde. Diejenigen, die bei uns Zuflucht suchen, sollten nicht als eine Last angesehen werden, die wir zu tragen haben: Wenn wir sie als Brüder und Schwestern ansehen, werden sie uns vor allem als Geschenk erscheinen", erklärte Papst Franziskus in der Hafenstadt Marseille. Dort hat die Mehrheit der rund 870.000 Einwohner ausländische Wurzeln. Muslime, Juden, Christen oder auch Buddhisten wohnen auf engstem Raum zusammen. Der Papst brach hier eine Lanze für die Integration. Christen sollten stets die Nächstenliebe bezeugen und die Kirche nicht den Fokus auf Vorschriften richten, sondern „ein Hafen der Hoffnung für die Herausgeforderten sein", so der Appell des Papstes.
Papst für neue Mittelmeer-Bischofskonferenz
Der Kardinal von Marseille, Jean-Marc Aveline, hatte in seiner Rede zum Beginn der Schluss-Sitzung des Mittelmeertreffens von Marseille den Gedanken einer eigenen, neuen Mittelmeer-Bischofskonferenz , geäußert. Papst Franziskus nahm dies auf:
„Wenn wir an das Meer denken, das so viele verschiedene Glaubensgemeinschaften vereint, glaube ich, dass wir über mehr synergetische Wege nachdenken könnten und vielleicht sogar die Möglichkeit einer Bischofskonferenz für den Mittelmeerraum in Betracht ziehen könnten, die weitere Möglichkeiten des Austauschs bieten und der Region eine größere kirchliche Präsenz bescheren würde. Auch mit Blick auf den Hafen und die Migrationsfrage könnte es fruchtbar sein, sich für eine spezifische Pastoral einzusetzen, die noch stärker vernetzt ist, damit die besonders betroffenen Diözesen ihren ankommenden Schwestern und Brüdern in Not besser geistlich und menschlich beistehen können."
Ebenso warb der Papst für Bildung und eine „mediterrane Theologie". Einer Instrumentalisierung der Religionen und des Glaubens erteilte er eine Absage. Zum Schluss ermutigte er noch einmal alle:
„Liebe Brüder und Schwestern, ich danke euch für euer geduldiges Zuhören und euer Engagement. Macht weiter! Seid ein Meer des Guten, um der gegenwärtigen Armut mit einer solidarischen Synergie zu begegnen; seid ein einladender Hafen, um diejenigen aufzunehmen, die eine bessere Zukunft suchen; seid ein Leuchtturm des Friedens, um durch die Kultur der Begegnung die dunklen Abgründe von Gewalt und Krieg zu durchbrechen. Danke."
Mittelmeer-Besuch, kein Frankreichbesuch
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