Papst zu jungen Leuten: Wo sind die kühnen Visionen für Frieden?
Christine Seuss - Vatikanstadt
Ihre Zusammenarbeit mit verschiedenen diplomatischen Vertretungen des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen sei wertvoll und tue den Organisationen aufgrund der Frische ihres Blicks, ihrer Fähigkeit, zu träumen, und ihres Wunsches, die Zukunft zu gestalten, gut, würdigte Franziskus bei der Audienz in der vatikanischen Sala Clementina die jungen Leute, die an einem Stipendienprogramm der italienischen katholischen Universität Sacro Cuore teilnehmen und dabei die Arbeit der päpstlichen Diplomatie hautnah miterleben können.
„Heute scheint sich jedoch vielmehr das auszubreiten, was manche als ,kurzfristiges Denken‘ bezeichnen“, so Franziskus zu den jungen Leuten, der anschließend auch genauer erläuterte, was er meinte: „Ein Denken, das nicht auf die Geschichte zurückblickt, das kein historisches Erbe in sich trägt, ein Denken, das sich instinktiv bewegt und an Augenblicken gemessen wird; das, aus Emotionen bestehend und in wenige Worte gepresst, das bereits ,schwächliche‘ Denken des Postmodernismus zu ersetzen scheint.“
Ein schnelllebiges Denken ohne Erinnerung und Zukunft
Angesichts der „Komplexität des Lebens und der Welt“ führt diese Art von kurzfristigem Denken dazu, „zu verallgemeinern und zu kritisieren, die Realität zu vereinfachen und zu manipulieren, um die eigenen unmittelbaren Interessen zu verfolgen“, mahnte Franziskus, der sich besorgt darüber zeigte, dass junge Menschen sich zunehmend hinter Bildschirmen verschanzten, anstatt ihre Kreativität zum Zug kommen zu lassen: „Ja, denn jung zu sein bedeutet nicht, die Welt in den Händen zu halten, sondern sich die Hände für die Welt schmutzig zu machen; es bedeutet, ein Leben zu haben, das man lebt, und nicht, es zu konservieren oder archivieren.“
Leben muss gelebt werden, nicht archiviert
Junge Menschen dürften sich nicht mit einem Leben in der Mittelmäßigkeit zufriedengeben, so die Aufforderung und Hoffnung des Kirchenoberhauptes, der in diesem Zusammenhang bedauerte, dass viele heute wie „ausgepresst“ wirkten und sich immer größeren Anforderungen gegenübersähen, ebenso wie diejenigen, die wie „betäubt“ ihre Zeit verlebten, anstatt sich mit einem „Buch oder einem hilfsbedürftigen Bruder“ zu beschäftigen:
„Wir alle brauchen die Kreativität und den Schwung, den nur ihr jungen Menschen uns geben könnt: in euren Händen liegt Kreativität und Schwung, euer Durst nach Wahrheit, euer Schrei nach Frieden, eure Einsicht in die Zukunft - wir brauchen diese Dinge! -, eures hoffnungsvollen Lächelns. Ich möchte Ihnen sagen: Gehen Sie dorthin, wo Sie tätig sind, und stellen Sie sich ohne Angst zur Verfügung. Setzen Sie sich ein. Denn junge Menschen sind die Hebel, die Systeme erneuern, nicht die Rädchen, die sie am Leben erhalten müssen.“
Sie sollten nicht vor dem Risiko zurückscheuen („wenn ihr nicht riskiert, wer wird es dann tun?“), und sich auch in der in Überfluss lebenden westlichen Welt ihr Staunen bewahren, spornte Franziskus seine jungen Besucher an. Die Schöpfung lade uns ein, selbst zu „Schöpfern von Harmonie und Schönheit“ zu werden und uns aus der hypnotisierenden Welt der Socials zu befreien, die die „Seele betäubt“. Dabei zählte er auch konkrete Gegenmittel auf:
„Eine Forschung, die dich fasziniert, ein Gebet, das von Herzen kommt, eine Untersuchung, die dich erschüttert, eine Seite, die du anderen gibst, ein Traum, der verwirklicht werden soll, eine Geste der Liebe für diejenigen, die sie nicht erwidern können... Das ist Schaffen, das ist die Aneignung des Stils, mit dem Gott die Welt geschaffen hat, des Stils der Unentgeltlichkeit, der dich aus der Logik des ,Ich tue, um zu haben‘ und ,Ich arbeite, um zu verdienen‘ herausführt. Seid schöpferisch, um in einer Welt, die sich mit dem Profit zufriedengibt, einen Blick auf das Neue zu werfen. Auf diese Weise werdet ihr Revolutionäre sein.“
Aus der Logik des Profits ausbrechen
Das Leben verlange danach, geschenkt zu werden, so der Papst weiter, der in diesem Zusammenhang an den Namensgeber des Stipendienprogramms, den seligen Giuseppe Toniolo, erinnerte, der sich aufgrund seines Glaubens dafür eingesetzt hatte, „der Wirtschaft ein menschliches Gesicht“ zu geben.
Die Schwäche der internationalen Diplomatie
Ein heute besonders wichtiges Thema sei jedoch der Frieden, während die hehren Ziele diplomatischen Wirkens um des Guten und des friedlichen Zusammenlebens willen in weiter Ferne schienen, so die resignierte Feststellung des Kirchenoberhauptes. Die Diplomatie scheine geradezu „vergessen“ zu haben, dass sie ein Mittel darstellen müsse, „um die immer tiefer werdende Kluft in den Beziehungen zwischen den Nationen zu überbrücken“:
„Man sieht, wie sie den Tatsachen hinterherjagt, ohne jene präventive Kraft, jenes Träumen-Reden-Risikieren für den Frieden, das den Einsatz von Waffen einschränkt. Und so sind Kriege das Ergebnis langwieriger Machtverhältnisse, ohne einen eindeutigen Anfang und ohne ein eindeutiges Ende. Aber wo sind die gewagten Unternehmungen, die kühnen Visionen? Wo sind sie? (…) Und von wem können sie kommen, wenn nicht von jungen und furchtlosen Herzen, die das Gute in sich aufnehmen und das Evangelium so aufgreifen, wie es ist, um neue Seiten der Geschwisterlichkeit und der Hoffnung zu schreiben?“
Dies sei ihre Aufgabe und Berufung, legte Franziskus den jungen Menschen ans Herz, ebenso wie es viele andere Aspekte gebe, die ihren Einsatz zur Erneuerung und Kreativität erforderten. Darunter zählte der Papst die Wirtschaft, den Kampf gegen den Hunger und die Produktion sowie den Handel von Waffen, das Klimaproblem, die Kommunikation, die Arbeitswelt und andere Einsatzbereiche: „Ich vertraue euch diese Träume an - als alter Mann, der sich freut, eure jungen Gesichter zu sehen“. Umso mehr werde sich Jesus bei ihrem Anblick freuen, „er, der immer ein junges Herz hat und der junge Menschen berufen hat, ihm zu folgen“, entließ Franziskus seine Gäste mit der Bitte um Gebet für sich und seinen Dienst.
(vatican news)
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