Franziskus zu Ukraine-Krieg: „Schämt euch nicht, zu verhandeln“
Christine Seuss - Vatikanstadt
Die Folge des Magazins „Cliché“, in der der Papst zu Wort kommen wird, dreht sich um die Farbe Weiß, die Farbe des Guten und des Lichts, aber auch eine Farbe, auf der Schmutz und Makel besonders deutlich aufscheinen.
Auf die einführende Frage des Journalisten, wie er denn den Krieg zwischen Israel und Palästina einordnen würde, erzählt Franziskus, dass er täglich um 19 Uhr die Pfarrei in Gaza anruft, in der 600 Menschen ausharren und ihm ihre Erlebnisse berichten: „Es ist ein Krieg“, so Franziskus, „und einen Krieg führt man zu zweit, nicht allein. Die Verantwortlichen sind die beiden, die ihn führen. Und dann ist da nicht nur der militärische Krieg, es gibt auch den ,Guerilla-Krieg‘, nennen wir das mal so, von Hamas beispielsweise, einer Bewegung, die keine Armee ist. Das ist eine hässliche Sache“.
Mut zu Verhandlungen
Früher oder später, das lehre auch die Geschichte, müsse es letztlich zu einer Einigung kommen, zeigt der Papst sich überzeugt. Dies gelte auch für den Krieg in der Ukraine, wo Stimmen lauter werden, den Mut für ein Hissen der Weißen Fahne aufzubringen, während andere darin eine Legitimierung des Stärkeren sehen: „Das ist eine Interpretationsweise“, räumt Franziskus ein. „Aber ich denke, dass der stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt und den Mut hat, die weiße Flagge zu schwenken und zu verhandeln. Und heute kann man mit Hilfe der internationalen Mächte verhandeln. Das Wort ,verhandeln‘ ist ein mutiges Wort. Wenn du siehst, dass du besiegt wirst, dass die Dinge nicht gut laufen, habt den Mut, zu verhandeln. Du schämst dich, aber wenn du so weitermachst, wie viele Tote wird es dann geben? Verhandele rechtzeitig, suche ein Land, das vermittelt. Heute, zum Beispiel im Krieg in der Ukraine, gibt es viele, die vermitteln wollen. Die Türkei zum Beispiel... Schämt euch nicht, zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird“, so der Appell des Kirchenoberhauptes in dem Interview für RSI, den öffentlich-rechtlichen Sender, der die italienischsprachige Schweiz bedient.
Franziskus wird seit Kriegsbeginn nicht müde, für Frieden sowohl in der Ukraine als auch im israelisch-palästinensischen Konflikt zu werben. Für Verhandlungen vor dem Hintergrund einer drohenden militärischen Niederlage der Ukraine hatte er sich bislang allerdings nicht ausdrücklich ausgesprochen. Auch er selbst stehe als Vermittler immer zur Verfügung, bekräftigte er erneut: „Ich bin hier, Punkt. Ich habe einen Brief an die Juden Israels geschrieben, um über diese Situation nachzudenken. Verhandlungen sind nie eine Kapitulation. Es ist der Mut, das Land nicht in den Selbstmord zu treiben“, so Franziskus, der in diesem Zusammenhang auch an das Leid erinnerte, das die Ukrainer bereits unter Stalin erlitten hatten.
Warum trägt ein Papst weiß?
Doch noch weitere Themen wurden in dem Interview gestreift, so ging es unter anderem darum, warum ein Papst Weiß trägt („Er war ein dominikanischer Papst. Er trug den dominikanischen Habit, der weiß ist. Und von da an haben alle Päpste weiß getragen. Wenn ich mich nicht täusche, war es Papst Pius V., der in Santa Maria Maggiore begraben ist“), welche Bedeutung die Farbe Weiß generell für die Kirche hat („es ist die Farbe der Freude und des Friedens“), und was Franziskus bei seiner Wahl gedacht habe, als er das weiße Papstgewand anlegen sollte („Ich denke nur an die Flecken, denn das ist schrecklich: Weiß zieht Flecken an“). Das weiße Gewand, in übertragenem Sinn, stelle auch die Herausforderung dar, sich nicht zu beflecken, was insgesamt für Menschen gelte, die im Dienst „großer Dinge“ stünden, so der Papst weiter.
Ein weißer Fleck auf dem dunklen Petersplatz
Breiten Raum in dem Gespräch nahm auch die Statio Orbis ein, mit der Papst Franziskus am 27. März 2020 bei strömenden Regen auf dem Petersplatz für ein Ende der damals wütenden Covid-Pandemie gebetet hatte. „Ein weißer Fleck mitten unter den Schatten“, wie es der Journalist in Bezug auf das Leitthema der Sendung nannte: „In dem Moment konnte man den weißen Fleck sehen, denn es war Nacht, alles war dunkel“, erinnert sich Franziskus an den Abend. Es sei „eine spontane Sache“ gewesen, ohne das Bewusstsein dafür, welche Bedeutung sie erlangen würde, „sowohl Einsamkeit als auch Gebet“.
Er sei in diesem Moment auf das Gebet konzentriert gewesen, habe nicht daran gedacht, dass seine Gesten über Mondovision weltweit ausgestrahlt und mit Bedeutung aufgeladen sein würden: „In diesem Moment war mir das nicht bewusst. Ich betete vor der Salus Populi Romani und vor dem Holzkruzifix, das von der Via del Corso gebracht worden war.“ Beides war eigens für das Gebet auf den Petersplatz gebracht worden, als Franziskus allein auf dem Vorplatz des Petersdoms stand. Auch er selbst habe in diesem Moment an der Corona-Situation gelitten:
„Ich litt und ich hatte die Pflicht des Vermittlers, des Priesters, für die leidenden Menschen zu beten. Ich dachte an eine Bibelstelle (vgl. 2 Sam 24), in der David bei der Volkszählung von Israel und Juda sündigt und der Herr 70.000 Menschen durch eine Plage vernichtet. Am Ende, als der Engel der Plage im Begriff ist, Jerusalem zu treffen, ist der Herr gerührt und hält den Engel auf, weil er Erbarmen mit seinem Volk hat. Ja, ich habe bei dieser Plage gedacht und gebetet: ,Herr, sei gerührt und erbarme dich des Volkes, das diese Plage erleidet‘. Das ist meine Erfahrung an diesem Tag.“ Er habe die Einsamkeit gespürt, während er im Regen auf dem Platz stand, räumt Franziskus weiter ein.
Einsamkeit und Verantwortung
Für ihn wiege die Verantwortung des Zeugnisses, die er als Papst habe, jedoch schwerer als die der Entscheidungen: „Denn mit den Entscheidungen helfen mir viele hier drinnen, sie bereiten vor, prüfen, und legen mir Lösungen vor. Doch im täglichen Leben hast du nicht so viel Hilfe.“
Wenn es Entscheidungen zu treffen gelte, käme es oft zu Situationen der Einsamkeit, doch dies sei allen gemein, wenn es um wichtige Lebensentscheidungen gehe, so Franziskus weiter. Allerdings sei dies eine „weiße“ Einsamkeit, während die Einsamkeit des Egoismus schwarz und hässlich sei, unterschied das Kirchenoberhaupt mit Blick auf den „weißen“ Faden der Sendung.
Krieg ein kollektiver Fleck
Es gebe individuelle Flecken, wie auch kollektive Flecken wie die Kriege, die alle beschmutzen, so der Journalist weiter. Kaum ein Investment sei ertragreicher als die Investition in Waffenproduzenten, pflichtet Franziskus ihm bedauernd bei. Dabei mache ihm nicht nur das größtenteils junge Alter der Opfer zu schaffen, sondern auch die Lücken, die sie in den kommenden Generationen hinterließen: „Der Krieg ist ein Wahnsinn, ein Wahnsinn“, so der Papst. Ein Bild verfolge ihn besonders: „Bei einer Gedenkfeier musste ich über den Frieden sprechen und zwei Tauben freilassen. Als ich das das erste Mal tat, flog sofort eine Krähe auf dem Petersplatz auf, schnappte sich die Taube und trug sie weg. Das ist brutal. Und das ist ein bisschen wie das, was im Krieg passiert. So viele unschuldige Menschen können nicht erwachsen werden, so viele Kinder haben keine Zukunft.“
Oft kämen ukrainische Kinder in seine Audienzen, direkt aus dem Krieg, so Franziskus weiter: „Keines von ihnen lächelt, sie wissen nicht, wie man lächelt. Ein Kind, das nicht weiß, wie man lächelt, scheint keine Zukunft zu haben. Lasst uns über diese Dinge nachdenken, bitte. Krieg ist immer eine Niederlage, eine menschliche Niederlage, keine geografische.“
Letztlich gebe es immer diejenigen, die am Krieg verdienten, so Franziskus auch mit Blick auf Staatsoberhäupter, die nur dem Schein nach Frieden wollten, von Verteidigung sprächen: „Es mag ein Krieg sein, der aus praktischen Gründen gerecht erscheint. Aber hinter einem Krieg steht die Rüstungsindustrie, und das bedeutet Geld…“
Macht birgt Gefahr der Allmachtsfantasie
Wir alle seien Sünder und ein wenig scheinheilig, ging Franziskus im weiteren Verlauf des Gesprächs auf Menschen ein, die ihre Fehler nicht zeigten und „mit weiß“ übertünchten. Auch ihm selbst gelinge es nicht immer, sich von Sünden fernzuhalten: „Ich versuche, kein Lügner zu sein, meine Hände nicht in Unschuld zu waschen, was die Probleme anderer betrifft. Ich versuche es, aber ich bin ein Sünder, und manchmal schaffe ich das nicht. Wenn ich dann versage, gehe ich zur Beichte.“
Je mehr Macht ein Mensch habe, desto größer sei jedoch die Gefahr, dass er seine eigenen Fehler nicht richtig einschätze, so Franziskus weiter: „Es ist wichtig, ein selbstkritisches Verhältnis zu den eigenen Fehlern, zu den eigenen Ausrutschern zu haben. Wenn ein Mensch sich sicher fühlt, weil er Macht hat, weil er sich in der Welt der Arbeit, der Finanzen auskennt, ist er in der Versuchung zu vergessen, dass er eines Tages betteln wird, betteln um die Jugend, betteln um die Gesundheit, betteln um das Leben... das ist ein bisschen wie die Versuchung der Allmacht. Und diese Allmacht ist nicht weiß. Wir alle müssen reif sein im Umgang mit den Fehlern, die wir machen, denn wir sind alle Sünder.“
Anmerkung: Einige Zitate wurden nach einer Präzisierung der Mitschrift durch den Sender RSI leicht angepasst.
(vatican news)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.