Generalaudienz: Die Katechese im Wortlaut
Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!
Die heutige Katechese ist der dritten Kardinaltugend gewidmet: der Tapferkeit. Beginnen wir mit der Beschreibung, die wir im Katechismus der Katholischen Kirche finden: „Die Tapferkeit ist jene sittliche Tugend, die in Schwierigkeiten standhalten und im Erstreben des Guten durchhalten lässt. Sie festigt die Entschlossenheit, Versuchungen zu widerstehen und im sittlichen Leben Hindernisse zu überwinden. Die Tugend der Tapferkeit befähigt, die Angst, selbst die vor dem Tod, zu besiegen und allen Prüfungen und Verfolgungen die Stirn zu bieten“ (Nr. 1808). Das sagt der Katechismus der Katholischen Kirche über die Tugend der Tapferkeit.
Es handelt sich also um die „kämpferischste“ aller Tugenden. Während die erste Kardinaltugend – die Klugheit – in erster Linie mit der Vernunft des Menschen in Verbindung gebracht wurde und die Gerechtigkeit mit dem Willen, wird diese dritte Tugend, die Tapferkeit, von scholastischen Autoren oft mit dem assoziiert, was die Menschen des Altertums „ungezügeltes Verlangen“ nannten. Das Denken der Antike konnte sich einen Menschen ohne Leidenschaften nicht vorstellen: Er wäre ein Stein. Und Leidenschaften sind ja auch nicht notwendigerweise das, was von einer Sünde übriggeblieben ist. Sie müssen aber „erzogen“, die Leidenschaften müssen gelenkt werden, sie müssen mit dem Wasser der Taufe oder dem Feuer des Heiligen Geistes gereinigt werden. Ein Christ ohne Mut, der seine Kraft nicht für das Gute einsetzt, für niemanden „unbequem“ ist, ist ein nutzloser Christ. Denken wir daran. Jesus ist kein durchsichtiger, aseptischer Gott, der keine menschlichen Gefühle kennt. Im Gegenteil: mit dem Tod seines Freundes Lazarus konfrontiert, bricht er in Tränen aus; und manche seiner Äußerungen zeigen seinen leidenschaftlichen Geist, wenn er beispielsweise sagt: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!“ (Lk 12,49) – oder mit starker Hand einschreitet, als er sieht, wie im Tempel Handel getrieben wird (vgl. Mt 21,12-13). Jesus hatte Leidenschaft.
Doch suchen wir nun nach einer existenziellen Beschreibung dieser so wichtigen Tugend, die uns hilft, im Leben Frucht zu tragen. Die Menschen des Altertums – die griechischen Philosophen ebenso wie die christlichen Theologen – erkannten in der Tugend der Tapferkeit eine zweifache Wirkung: eine passiv und eine andere aktiv.
Die erste findet in uns selbst statt. Es gibt innere Feinde, die wir besiegen müssen und die wir Angst, Sorge, Furcht, Schuldgefühle nennen: Kräfte, die in unserem Inneren wirken und uns manchmal lähmen. Wie viele Kämpfer geben schon auf, bevor sie die Herausforderung überhaupt angenommen haben! (...) Tapferkeit ist also in erster Linie ein Sieg über uns selbst. Die meisten Ängste, die in uns aufsteigen, sind unrealistisch, werden nie wirklich Gestalt annehmen. Da ist es doch viel besser, den Heiligen Geist anzurufen und sich allem mit Geduld zu stellen: einem Problem nach dem anderen, so gut wir eben können, aber nicht allein! Der Herr ist bei uns, wenn wir auf ihn vertrauen und aufrichtig nach dem Guten streben. Dann können wir in jeder Situation auf die Vorsehung Gottes zählen, die uns schützt und wappnet.
Und dann die zweite Wirkung der Tugend der Tapferkeit, diesmal aktiverer Natur. Neben den inneren Prüfungen gibt es auch äußere Feinde: die Prüfungen des Lebens, Verfolgungen, Schwierigkeiten, mit denen wir nicht gerechnet haben und die uns überraschen. Wir können zwar versuchen, einzuschätzen, was uns passieren wird, die Realität aber besteht zu einem großen Teil aus unvorhersehbaren Ereignissen, und in diesem Meer wird unser Boot manchmal von den Wellen hin und her geworfen. Die Tapferkeit macht uns dann zu tüchtigen Seeleuten, die sich von nichts ängstigen oder entmutigen lassen.
Die Tapferkeit ist eine grundlegende Tugend, weil sie die Herausforderung des Bösen in der Welt ernst nimmt. Manche Menschen tun so, als gäbe es das Böse nicht, als sei alles in Ordnung; als sei der menschliche Wille nicht manchmal blind, als wären in der Geschichte keine dunklen, todbringenden Mächte am Werk. Dabei man muss doch nur in einem Geschichtsbuch blättern – ja oft genügt leider auch schon die Zeitung –, um von den vielen schändlichen Taten zu lesen, deren Opfer und Protagonisten wir sind: Krieg, Gewalt, Sklaverei, Unterdrückung der Armen; Wunden, die nie verheilt sind und immer noch bluten. Die Tugend der Tapferkeit bringt uns dazu, auf all dies zu reagieren und „Nein“, ein deutliches „Nein“ dazu zu sagen. In unserer westlichen Welt, die zwar jede Bequemlichkeit bietet, aber alles ein wenig verwässert hat, die den Weg der Vollkommenheit in eine einfache organische Entwicklung verwandelt hat, der keine Kämpfe braucht, weil für ihn ohnehin alles gleich aussieht, verspüren wir manchmal eine gesunde Sehnsucht nach Propheten.
Doch unbequeme, visionäre Menschen sind selten. Es braucht jemanden, der uns aus dem weichen Nest herauswirft, das wir für uns eingerichtet haben, und uns dazu treibt, auch weiter „Nein“ zu sagen zum Bösen und zu allem, was uns gleichgültig werden lässt. „Nein“ zum Bösen und „Nein“ zur Gleichgültigkeit; „Ja“ zu einem Weg, der uns vorwärts bringt - und dafür muss man kämpfen.
Das Vorbild Christi im Evangelium und das Zeugnis der Heiligen seien uns ein Ansporn, die Tugend der Tapferkeit neu für unser Leben zu entdecken!
(vaticannews - skr)
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