Wortlaut: Papstrede an die Künstler
Sämtliche Wortmeldungen des Papstes in ihrer amtlichen Fassung werden auf der Internetseite des Heiligen Stuhls publiziert.
Herr Kardinal, Exzellenz,
Herr Minister,
Herr Präsident,
sehr geehrte Kuratoren,
liebe Künstler!
Es war mein großer Wunsch, zur Kunstbiennale von Venedig zu kommen, um Ihnen einen Gegenbesuch abzustatten, wie es unter Freunden guter Brauch ist. Im Juni letzten Jahres hatte ich die Freude, eine große Gruppe von Künstlern in der Sixtinischen Kapelle zu empfangen. Und jetzt komme ich „zu Ihnen nach Hause“, um Sie persönlich kennenzulernen, mich Ihnen noch näher zu fühlen und Ihnen auf diese Weise für das zu danken, was Sie sind und was Sie tun. Und dabei möchte ich von hier aus allen die folgende Botschaft übermitteln: Die Welt braucht Künstler. Das zeigen die vielen Menschen jeden Alters, die Orte und Veranstaltungen der Kunst besuchen: Dabei denke ich gerne an die Vatican Chapels: den ersten Pavillon des Heiligen Stuhls, der vor sechs Jahren, im Rahmen der Architektur-Biennale, in Zusammenarbeit mit der Cini-Stiftung auf der Insel San Giorgio errichtet wurde.
Ich gestehe Ihnen, dass ich mich neben Ihnen nicht wie ein Fremder fühle: Ich fühle mich zu Hause. Und ich denke, das gilt eigentlich für jeden Menschen: die Kunst hat schließlich in jeder Hinsicht den Status einer „Stadt der Zuflucht“, einer Stadt, die sich dem Regime der Gewalt und der Diskriminierung widersetzt, um Formen menschlicher Zugehörigkeit zu schaffen, die in der Lage sind, alle anzuerkennen, einzubeziehen, zu schützen und alle zu umarmen. Alle, angefangen bei den Letzten.
Die Zufluchtsstädte sind eine biblische „Institution“, die bereits im deuteronomischen Gesetz erwähnt wird (vgl. Dtn 4,41), um das Vergießen von unschuldigem Blut zu verhindern und blinde Rachegelüste zu zügeln, den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten und Formen der Versöhnung zu suchen. Es wäre wichtig, dass sich die verschiedenen künstlerischen Ausdruckformen überall als eine Art Netz von Zufluchtsstädten etablieren, die gemeinsam daran arbeiten, die Welt von sinnlosen und leeren Antinomien zu befreien, die im Rassismus, in der Fremdenfeindlichkeit, in Ungleichheit, ökologischem Ungleichgewicht und Aporophobie – diesem schrecklichen Neologismus, der „Feindseligkeit gegenüber den Armen“ bedeutet –, die Oberhand gewinnen wollen. Hinter diesen Antinomien verbirgt sich immer die Ablehnung des Anderen; der Egoismus, der uns als einsame Inseln statt kollaborative Archipele funktionieren lässt. Euch liebe Freunde Künstlerinnen und Künstler, bitte ich mit Nachdruck: stellt euch Städte vor, die es auf der Landkarte noch nicht gibt; Städte, in denen kein Mensch als Fremder betrachtet wird. Statt also zu sagen „Fremde überall“, heißt unser Vorschlag: „Geschwister überall“.
Das Motto des Pavillons, in dem wir uns befinden, lautet „Mit meinen Augen“. Wir alle haben das Bedürfnis, angesehen zu werden und es zu wagen, uns selbst anzusehen. Darin ist Jesus der ewige Lehrmeister: Er sieht jeden mit der Intensität einer Liebe an, die nicht urteilt, sondern Nähe und Ermutigung zu schenken weiß. Und ich würde sagen, dass uns die Kunst zu dieser Art des Blicks erzieht: nicht besitzergreifend, nicht objektivierend, aber auch nicht gleichgültig und oberflächlich. Sie erzieht uns zu einem kontemplativen Blick. Die Künstler sind in die Welt hineingestellt, aber gerufen, über sie hinauszugehen. So ist es zum Beispiel heute dringlicher denn je, dass sie zwischen Kunst und Markt zu unterscheiden wissen. Gewiss, der Markt fördert und „hebt auf den Altar“, aber es besteht immer auch die Gefahr, dass er die Kreativität „vampirisiert“: sie aussaugt, ihr die Unschuld raubt und schließlich kalt vorschreibt, was zu tun ist.
Heute haben wir beschlossen, hier in diesem Giudecca-Frauengefängnis zusammenzukommen. Es stimmt, dass niemand ein Monopol auf den menschlichen Schmerz hat. Aber es gibt eine Freude und ein Leid, die in der Weiblichkeit in einzigartiger Form zusammenfließen und denen wir Gehör schenken müssen, weil sie uns etwas Wichtiges zu sagen haben. Ich denke an Künstlerinnen wie Frida Khalo, Corita Kent oder Louise Bourgeois, und viele andere. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass die zeitgenössische Kunst uns die Augen öffnen und helfen kann, den Beitrag, den Frauen als Co-Protagonisten zum menschlichen Abenteuer leisten, entsprechend zu würdigen.
Liebe Künstlerinnen und Künstler, ich muss an die Frage denken, die Jesus an die Menge richtete und die Johannes den Täufer betraf: „Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt? Oder was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid?“ (Mt 11,7-8). Bewahren wir diese Frage in unserem Herzen. Sie ist zukunftsweisend.
Ich danke Ihnen! Ich schließe Sie in mein Gebet ein. Und bitte: beten Sie auch für mich.
(vaticannews - übersetzung: silvia kritzenberger)
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