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Katholische Universität in Santiago, Chile: Dort war der Papst kürzlich zu Gast Katholische Universität in Santiago, Chile: Dort war der Papst kürzlich zu Gast 

„Veritatis gaudium“: Was will der Papst von katholischen Unis? Ein Interview

Dialogfähig sein und den Mut haben, für das Gemeinwohl neue Wege zu suchen: das soll man in Zukunft an katholischen Universitäten und Fakultäten lernen können, wie Papst Franziskus in „Veritatis gaudium“ festschrieb. Wir sprachen darüber mit Pater Friedrich Bechina, Untersekretär der vatikanischen Bildungskongregation.

Vatican News: Der Papst spricht im Vorwort zur neuen Apostolischen Konstitution „Veritatis gaudium“ von einer umfassenden anthropologischen und sozio-ökologischen Krise, er nennt globale Probleme wie Umweltverwüstungen, aber auch Finanzkrisen. Kirchliche Unis und Fakultäten hätten vor diesem Hintergrund die Aufgabe, eine neue Führungsgeneration auszubilden, die solche Probleme lösen kann. Welche Schlüsselqualifikationen braucht es hier – oder andersherum gefragt: was fehlt den heutigen Entscheidern, die globale Probleme bisher nicht lösen konnten?

Bechina: Zunächst müssen wir hier unterscheiden: Wenn eine Apostolische Konstitution den kirchlichen Fakultäten – also theologischen und philosophischen, kirchenrechtlichen und anderen spezialisierten Fakultäten – einen Auftrag gibt, dann ist das auch ein Auftrag an die Kirche ad intra. Es trifft hier sicher auch die innerkirchliche Leadership-Frage, aber es ist eine Entwicklung der vergangenen 50 Jahre, durch das Engagement des Heiligen Stuhls auch in einer breiteren Öffentlichkeit und in der Gesellschaft das Spektrum zu erweitern. Man darf hier durchaus beides sehen: die Frage nach kirchlicher Leadership und die Frage nach Leaderships für die Gesellschaft insgesamt. Da spielen die kirchlichen Fakultäten eine wichtige Rolle.

Vatican News: Und die gefragten Schlüsselqualifikationen?

Bechina: Bei den Qualifikationen, die hier vermittelt werden sollen, so denke ich, geht es um die Fähigkeit, aus dem Evangelium heraus eine Vision zu verbreiten und für das Reich Gottes einzustehen. Dieses Fürs-Gute-Einsetzen gilt auch für die politische Seite. Um das umsetzen zu können, braucht es konkrete Fähigkeiten. Eine, die in dem Dokument genannt wird, ist die Dialogfähigkeit. Und zwar 360 Grad, im ganzen Spektrum! Das ist nicht nur der ökumenische Dialog, der bereits in „Sapientia christiana“ genannt wurde. Es geht auch um den innerkirchlichen Dialog, den Dialog in einer polarisierten Gesellschaft, den Dialog in einer manchmal polarisierten Kirche. Diese Dialogfähigkeit steht an erster Stelle unter den Kompetenzen. Das zweite, das genannt wird, ist die Inter- und Transdisziplinarität. Das ist auch eine Aufforderung gegen jegliche Selbstbezogenheit, also fähig zu sein, über den eigenen Tellerrand zu blicken und so ein fruchtbares Gespräch mit anderen Disziplinen zu suchen. Der dritte Punkt ist die Frage der Zusammenarbeit. Netzwerk ist hier der Schlüsselbegriff. Das ist auch eine Frage der Qualifikation und breiten Zusammenarbeit, also das Zusammenführen der Ressourcen und Kräfte um des guten Willens.

Vatican News: Eine Neuigkeit, die dem Papst vorschwebt, ist die Einrichtung von Forschungseinrichtungen, die sich den epochalen heutigen Problemen widmen. Welche Themenbereiche wären hier denkbar?

Bechina: Durch das päpstliche Lehramt ist das meiner Meinung nach sehr klar wieder neu positioniert worden. Da möchte ich zunächst an Papst Benedikt XVI. erinnern, der mit „Caritas in veritate“ eigentlich die katholische Soziallehre wieder in den öffentlichen Diskurs gebracht hat. Er zitiert dort Papst Paul VI. und sagt, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der es an Gedanken fehlt. Damit spricht er eine gewisse Oberflächlichkeit an. Da wäre sicher ein Gegengewicht auch von den kirchlichen Fakultäten zu wünschen, dass über eine Oberflächlichkeit der Kommunikation, eine Oberflächlichkeit leider manchmal auch im Universitätsbetrieb, hinausgeht und wieder zu einer ,Tiefgründigkeit eines echten Studiums einer seriösen Forschung gelangt, die dann die Lehre durchformt.

Der zweite Punkt stammt auch von „Caritas in veritate“ und ist die Frage des Gemeinwohls, die Frage der individuellen Gewinn- und Nutzungsmaximierung gegenüber einem altruistischen und sorgsamen Umgang in der Gesellschaft, also die Bereitschaft zu dienen. Das ist das Thema der Liebe, die über die Gerechtigkeit hinausgeht. Es gibt aber keine Gerechtigkeit ohne Liebe, und Liebe heißt immer, über sich selbst hinaus zu blicken, für den anderen etwas zu tun. Es ist jener Dienstcharakter, der ihn ausprägt. Ein Schlüsselbegriff diesbezüglich wäre etwa das Service-Learning.

Vatican News: Wie knüpft Papst Franziskus daran an?

Bechina: Papst Franziskus greift die Thematik auf. Er bezieht sich explizit auf seinen Vorgänger Benedikt XVI. und zitiert eben, dass es an tiefgründigen Gedanken fehlt. Franziskus weitet das in weiteren Bereiche aus. Wieder ausgehend von der Frage: Eigennutz oder gemeinsamer Nutzen? Die Erweiterung des Horizontes beschränkt sich nicht nur auf die unmittelbar soziale Frage, sondern auch die globalen anderen Fragen, die das Bewahren der Schöpfung und das ganze Thema der Nachhaltigkeit betrifft. Und das nicht nur in einem materiellen Sinn, sondern durchaus in einem politischen Sinn. Das ist auch eine Botschaft im Blick auf das politische Szenario heute, in dem sehr viel auch zu Polarisierung und Oberflächlichkeit hinführt und zu all dem, was wir heute Populismus nennen.

Vatican News: Franziskus spricht von Kontemplation und Verinnerlichung der Frohbotschaft des Evangeliums Jesu – warum braucht es hier Anpassungen?

Bechina: Der Mensch ist ein Lebewesen, das in einer lebendigen Gesellschaft lebt. Die Menschen verändern sich immer wieder von ihrer ganzen Kommunikationsfähigkeit. Wir sprechen von einer digitalen Revolution und von anderen kulturellen Revolutionen in unseren Tagen. Und da braucht es auch eine neue Fähigkeit, vor diesen Voraussetzungen sich einfach wieder neu vom Evangelium inspirieren zu lassen. Das heißt, neu in das Evangelium hineinzuhören und davon ausgehend, auch mit den Mitteln einer digitalen Kommunikation und anderen Formen des menschlichen Kontakts, brauchen wir immer wieder neue Ausdrucksformen, aber immer wieder des gleichen Evangeliums. Kardinal Versaldi hat bei der Pressekonferenz im Vatikan an diesem Montag gesagt, dass die stärkste Tradition in der Kirche in ihrer Fähigkeit liegt, sich immer wieder zu erneuern.

Vatican News: Franziskus spricht von einer neuen Etappe der Evangelisierung, von einer „missionarischen Neuausrichtung der Kirche“ – wie soll sich das fortan in die kirchlichen Lehreinrichtungen übersetzen?

Bechina: Die „Kirche im Aufbruch“, das „Hinausgehen“, wie es der Papst sagt, stehen im Gegensatz zu der Autoreferenzialität, also des In-Sich-Verschlossen-Bleibens, wie es den kirchlichen Fakultäten in der Vergangenheit oft vorgeworfen wurde. Es ist die Kritik, nicht zu versuchen, mit anderen Fakultäten einen Dialog aufzubauen und nicht zu versuchen, in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Das ist dann auch die Frage des Sprachstils - also in welcher Weise kommunizieren wir Theologie? Kann sich unter den Formulierungen, die im theologischen Jargon verwendet werden, ein Mensch etwas vorstellen, der selbst nicht Theologie studiert hat? Sind wir kommunikationsfähig?

Auf der anderen Seite: Können wir uns auf die Sprachfrage auch in andere Bereichen einlassen, ohne in Banalitäten zu fallen? Das ist eine große Herausforderung. Dafür sind die Fakultäten auch geschaffen. Theologische Fakultäten sind nicht Trittbrettfahrer, wir erwarten von den katholischen Fakultäten, dass sie Ideen entwickeln und in der Forschung neue Ansätze suchen und weiterentwickeln! Das ist ja auch der Grund, warum dieses Schreiben jetzt nicht die großen Neuerungen unter den Normen bringt, sondern vielmehr die Verantwortung zurückspielt an die Fakultäten, mit ein paar großen Richtungsweisungen sie aufzufordern, hier mutig neue Wege zu suchen.

Vatican News: Und welche Neuerungen gibt es?

Bechina: Abgesehen von ein paar kleinen Modifikationen, die einfach notwendig sind, wie es auch in staatlichen Gesetzen der Fall ist, könnten wir sagen, dass es fünf bis sechs wichtige Neuerungen gibt. Das erste ist der Verweis auf die päpstliche Agentur zur Qualitätssicherung „Avepro“, die ihr zehnjähriges Jubiläum gefeiert hat und die noch keine Rechtsgrundlage in der früheren Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana“ hatte. Das ist jetzt im ersten Artikel aufgenommen worden, damit ein klares Zeichen gesetzt wird und gesagt wird, dass wir Fakultäten wollen, die eine erwiesene Qualität bringen und die ständig auch damit befasst sind, sich selber zu verbessern und sich immer wieder weiter zu entfalten.

Der zweite Punkt ist auch sehr wichtig. Der Heilige Stuhl hat eine ganze Anzahl von bilateralen Verträgen über Hochschulzusammenarbeit. Das geht von Serbien bis Rumänien, Slowakei bis hin nach Taiwan. Es sind Staaten, mit den wir bilaterale Verträge haben und dann gibt es eine ganze Reihe von internationalen Konventionen, meistens unter der Unesco, in der der Heilige Stuhl eine führende Rolle innehat. Wir sind weltweit präsent. Die neue Gesetzgebung bezieht sich also auch ausdrücklich auf diese Konventionen und erhebt damit auch das, was der Heilige Stuhl hier in den bilateralen und multilateralen Verträgen zugesagt hat, auf Gesetzesrang.

Vatican News: Was kann noch als Novum bezeichnet werden?

Bechina: Ein drittes Novum ist die technologische Entwicklung, in der es eine gewisse Öffnung in Anspruch genommen wird, das gilt auch im Lehrbetrieb. Ich denke hierbei an die sogenannte Distance-Education. Da können wir aber nicht einfach, dem Belieben des Einzelnen überlassen wollen, sondern auch auf die Erhaltung eines menschlichen Kontakts im Lerngeschehen und Lehrgeschehen hinweisen und dem auch erhalten wollen.

Ein vierter Punkt betrifft die Situation der Studenten im Flüchtlings- oder Migrationsstatus. Damit sind auch Studenten gemeint, die Probleme haben, ihre bereits erworbenen Qualifikationen nachzuweisen und das sind wir auch gerufen, neue Wege zu finden, wie man hier bestimmte Qualifikationen feststellen kann und wie man Flüchtlingen entgegenkommen kann. Indirekt ist damit auch das Thema betroffen, dass die Kirche ja großartige Arbeit leistet, in Flüchtlingslagern und ähnlichen Gebieten, um dorthin Bildung und Hochschulbildung zu bringen. Das sind wir teils auch mit kirchlichen Fakultäten vertreten.

Ein letzter Punkt ist die ganze Frage der Studentenmobilität, die für uns selbstverständlich ist, die aber heute neue Instrumente braucht, die in allen Ländern zum Standard gehören und mit denen der Heilige Stuhl mit den Ländern sehr eng zusammenarbeitet.

Vatican News: Der Papst spricht ja von einem „Paradigmenwechsel“ und sogar von einer „kulturellen Revolution“. Da horcht man schon auf, das scheint eine gewisse Dringlichkeit zu haben. Wie verstehen Sie das?

Bechina: Zum einen ist die kulturelle Revolution nicht etwas, das wir jetzt veranstalten oder darüber diskutieren müssten. Das ist ein gegebenes Faktum. Das sind Umbrüche. Es ist aber nicht einfach eine Epoche von Veränderungen, sondern es ist eine epochale Veränderung. Das ist ein Wortspiel, das in dieser Konstitution vorkommt. Zum einen findet die Revolution statt, ob wir es wollen oder nicht. In der Revolution stehen wir drinnen und darauf müssen wir antworten. Das Interessante dahinter ist, dass das Evangelium selber den Keim einer Revolution in sich trägt, einer ganz anderen Revolution. Das hat auch Papst Benedikt XVI. seinerzeit erwähnt in seinen Schreiben, und das hat nun auch Papst Franziskus stark weitergedacht. Jesus selbst tritt mit der Aufforderung der Bekehrung auf - und Umkehr ist ja auch Evolution in einer gewissen Weise. Das ist eine Re-volution, die in den Herzen beginnt und durchaus ihre politischen Auswirkungen haben muss, weil die Umkehr in den Herzen immer auch eine politische Veränderung beinhaltet. Es gibt also einen doppelten Ansatz: einerseits die uns in der Gesellschaft vorgegebene kulturelle Revolution, der aber - andererseits - die vom Evangelium herkommende innere Revolution entsprechen soll. Diese innere Revolution ist die Antwort, um über die kulturelle Revolution hinauszugehen, um nicht einfach Getriebene der Revolution zu werden, sondern selbst gestalterisch tätig sein zu können.

Die Fragen stellte Anne Preckel.

Unser Interview zum Nachhören:

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29. Januar 2018, 17:11