Kardinal Kasper wird 85: Konzil, Interkommunion und Papst Franziskus
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Der emeritierte Präsident des Päpstlichen Einheitsrates ist ein immer noch aktiver Buchautor, am Dienstag stellt er in Rom sein jüngstes Werk „Die Botschaft von Amoris laetitia, ein freundlicher Disput“ vor. Gudrun Sailer besuchte Kardinal Kasper zu Hause und führte ein längeres Interview mit ihm, dessen ersten Teil – den „Geburtstagsteil“ – wir am Sonntag veröffentlichen. Am Montag sprechen wir mit Kardinal Kasper über „Amoris Laetitia“.
VATICAN NEWS: Herr Kardinal, Sie werden 85 Jahre alt, zunächst einmal ganz herzlichen Glückwunsch! Sie blicken auf ein reiches, volles Leben zurück, Sie sind Priester, Sie sind Kardinal, Sie sind Dogmatikprofessor, seit 1999 im Vatikan, beschäftigt mit den Agenden der Ökumene. Was waren denn, wenn Sie im großen Bogen zurück denken, die schönsten Erfahrungen, die Sie im Lauf Ihres Lebens gemacht haben?
Kardinal Kasper: „Im kirchlichen Bereich war das erstens die Erfahrung des Zweiten Vatikanischen Konzils, das war für mich als junger Priester einfach die Erfüllung von Erwartungen, die wir vorher schon als junge Menschen hatten, und das war eine großartige Zeit, diese Begeisterung damals. Die zweite schöne Erfahrung war, als ich Bischof wurde. Ich wollte ja gar nicht Bischof, ich wollte nicht Kardinal werden, ich wollte Pfarrer werden, wie man bei uns sagt, und der Bischof hat mich zeitig dann in den akademischen Bereich geschickt. Und als ich dann Bischof wurde, konnte ich sozusagen wieder Pfarrer oder Seelsorger werden. Das war sehr schön, vor allem die Erfahrung, die ich jeden Sonntag gemacht habe, wenn ich Gemeinden besucht habe und mit den Menschen dort gesprochen habe. Da habe ich sehr, sehr viele Menschen, auch sehr fromme Beter getroffen und das war für mich eine erfüllende Erfahrung.”
VATICAN NEWS: Und dann, später, in Rom?
Kardinal Kasper: „Natürlich gab es dann auch hier in Rom, vor allem mit der Ökumene, sehr schöne Erfahrungen mit anderen Christen. Es gibt da ja auch sehr viele Menschen, die sehr offen und sehr fromm sind und das zu leben versuchen; das war auch eine gute Erfahrung, was man da tun konnte. Vielleicht noch eine letzte schöne Erfahrung: Ich war dann auch für den religiösen Dialog mit dem Judentum zuständig, und die Begegnung mit Überlebenden des Holocaust war jedes Mal, auch menschlich, durchaus bewegend.”
VATICAN NEWS: Können Sie sich da an eine Episode erinnern, die Ihnen besonders im Herzen geblieben ist?
Kardinal Kasper: „Das war der erste Besuch von Papst Benedikt in einer Synagoge in Köln während des Weltjugendtages 2005. Da war eine Frau unter den Zuhörern, an deren Unterarm man noch die Nummer sehen konnte, die ihr eingebrannt worden ist, als sie in Auschwitz war. Diese Frau konnte sich nicht, in gar keiner Weise, vorstellen, dass ihr Sohn später einmal als Vorstandsmitglied der Gemeinde in ihrer nach dem Krieg wieder aufgebauten Synagoge in Köln den Papst begrüßen würde. Das bewegt einen. Die Frau sitzt da und ihr Sohn darf den Papst begrüßen, das hätte sie sich nie denken können, als sie in Auschwitz war, dass so etwas möglich ist. Papst Benedikt hat damals eine sehr zu Herzen gehende, sehr einfühlsame Rede gehalten.”
VATICAN NEWS: Wie ist denn heute aus Ihrer Sicht der Stand der Ökumene zwischen der katholischen Kirche und den reformierten Kirchen. 500 Jahre nach Beginn der Reformation sind ungeheuer große Schritte passiert, vor allen Dingen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Wie stehen wir heute da?
Kardinal Kasper: „Die Schritte, die passiert sind, sind unglaublich. Wenn ich zurück denke an meine Kindheit, wie wir damals mit schlimmen Worten über die Lutheraner gesprochen haben und die auch über uns – und wie man heut sich brüderlich und freundschaftlich begegnet und sich als Christen anerkennt. Das ist jedes Mal auch für mich ein großes Erlebnis. Wir haben nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil große Schritte gemacht. Es gab dann eine gewissen Stagnation, ich habe aber den Eindruck, dass das Reformationsjahr doch wieder einen Aufbruch gebracht hat, zumindest in der Stimmung. Es gab wunderschöne Gottesdienste der Versöhnung und der Begegnung, übrigens auch in Italien, da gab es ja zunächst nur eine negative Einstellung zur Reformation und zu Luther. Da ist sehr viel aufgebrochen im letzten Jahr. Sodass wir jetzt einfach hoffen, dass man das konkret ausfüllt. Ich denke, der letzte Beschluss der deutschen Bischofskonferenz, dass in bestimmten Fällen auch bei konfessionsverschiedenen Ehen der evangelische Teil, sofern er die katholische Lehre über die Eucharistie akzeptiert, das ist selbstverständlich die Voraussetzung, zur Kommunion zugelassen wird, das ist schon ein erster Schritt, dem andere Schritte folgen müssen. Das eine als Rat. Und mein Nachfolger (Kardinal Kurt Koch, Anm.) hat jetzt angefangen, ein Dokument vorzubereiten im Gespräch mit den Lutheranern über Kirche, Eucharistie und Amt, damit will man dann das alte Dokument über die Rechtfertigungslehre weiterführen.“
VATICAN NEWS: Die Kommunion für gemischtkonfessionelle Paare, diese Entscheidung der deutschen Bischofskonferenz hat für einiges Aufsehen gesorgt, überwiegend für Zustimmung, zu einem kleinen Teil auch der Ablehnung: Heißt es denn, dass man wirklich am besten auf einer ganz praktischen Ebene ansetzt, um weiterzukommen in der Ökumene, gerade in diesem Bereich?
Kardinal Kasper: „Wenn man genau schaut, hat das bereits Papst Johannes Paul II. ermöglicht. Er hat in seinen zwei Ökumene-Enzykliken „Ut unum sint“ von 1995 und „Ecclesia de Eucharistia“ von 2003 geschrieben, dass die katholischen Priester in Einzelfällen das Sakramente der Eucharistie auch anderen Christen spenden können. Als Bedingung hat er genannt, diese Christen müssen erstens das innere Verlangen danach haben, frei und von sich aus danach fragen, und zweiten müssen sie den Glauben bezüglich dieser Sakramente mit uns teilen. Er hat das also aufgemacht, und zwar aus theologischen Gründen, nicht nur aus pragmatischen Gründen und, wie ich weiß, er hat es in einzelnen Fällen sogar selber praktiziert.“
VATICAN NEWS: Sie haben drei Päpste aus unmittelbarer Nähe kennengelernt, Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus. Mich interessiert aus Ihrer Warte: Was eint diese drei großen Päpste?
Kardinal Kasper: „Es eint sie der katholische Glaube und es eint sie, dass sie alle auf der Grundlage des Zweiten Vatikanischen Konzils gearbeitet haben und sich eingesetzt haben, es umzusetzen. Sie sind natürlich drei sehr verschiedene Persönlichkeiten, kommen alle drei aus völlig verschiedenen kulturellen Zusammenhängen. Benedikt aus der westeuropäischen Tradition, und zwar aus der besten Tradition, Johannes Paul II. aus dem polnischen Katholizismus und Franziskus aus seiner südamerikanischen Erfahrung. Das sind unterschiedliche Persönlichkeiten, unterschiedliche Akzente, aber das ist eben katholisch, das ist Einheit in der Vielfalt und das spielt sich auch in der Vielfalt der Päpste ab.“
VATICAN NEWS: Sie haben zwei Mal ein Konklave miterlebt, zwei Papstwahlen. Was ist Ihre bleibende Erinnerung daran?
Kardinal Kasper: „Das waren beides sehr geistliche Vorgänge, das wird ja oft so politisiert. Natürlich finden vorher viele Gespräche im kleinen Zirkel statt, man muss sich ja auch ein bisschen erkundigen über die Leute, die sich zur Diskussion stellen, man tauscht sich aus, ich war beide Male auch in verschiedenen Sprachzirkeln dabei, aber es gibt da keine Parteien in dem Sinne, wie das öfter dargestellt wird. Natürlich sind einige sich einig, der könnte es sein und andere der könnte es sein. Aber vor allem im letzten Konklave habe ich – und das haben mir auch andere Kardinäle bestätigt - den Eindruck gehabt, da bewegt sich etwas: das kann man dann als Heiligen Geist bezeichnen. Da hat sich etwas bewegt und das war so auch nicht einfach abzusehen, dass das so schnell auf Bergoglio zuläuft. Insofern bin ich schon überzeugt, dass da der Heilige Geist mit am Werk war. Es war damals ja auch eine schwierige Situation nach den Vatican Leaks (Diebstahl und Veröffentlichung interner Dokumente aus dem Vatikan, Anm.) war eine sehr negative Stimmung, nicht gegen Italien, wie das manchmal gesagt wird, sondern gegen einige Einrichtungen in der römischen Kurie, und das auch zu Recht. Da wollte man jetzt einen von außen wählen. Und ich denke, der jetzige Papst ist ein Geschenk für die Kirche und für die Welt.”
VATICAN NEWS: Wie sehen Sie aus Ihrer heutigen Warte die katholische Kirche in Ihrer Heimat Deutschland?
Kardinal Kasper: „Es gibt sehr viele fromme Leute, sehr viele engagierte Leute in der Gemeinde - da kann man viel Positives sagen. Aber es ist natürlich eine Rückwärtsbewegung da. Es gibt viele Kirchenaustritte, die Zahlen gehen sehr zurück, man muss Kirchen schließen, man muss Gemeinden zusammenlegen. Das ist keine Aufbruchsstimmung im Augenblick. Ich denke, das Wichtigste ist, dass man hier den Schalter umlegt und sozusagen vom Rückbau wieder auf Aufbruch schaltet. Da hätte ich einige Wünsche anzumerken, aber man muss auch das Positive sehen, das da ist, aber ich denke, der Aufbruch, den Papst Franziskus will, der ist in Deutschland noch nicht voll angekommen.“
VATICAN NEWS: 85 Jahre, Herr Kardinal – Wenn Sie freudig in die Zeit schauen möchten, die Ihnen noch bleibt, was wünschen Sie sich, dass Sie noch einbringen können?
Kardinal Kasper: „Ich wünsche mir vor allem bei uns in Westdeutschland und in Deutschland wieder mehr Freude, christliche Freude in der Kirche und an der Kirche, denn aus einer Kritikasterstimmung heraus zieht man niemanden an, sondern nur mit Freude, denn die kann ansteckend wirken. Mehr christliche Freude, die dann auch fertig wird mit allen möglichen Problemen, manchmal auch mit Enttäuschungen oder Skandalen, die gibt es, aber die Freude an Gott und Jesus Christus und dem, was uns geschenkt ist im Evangelium, die muss überwiegen und uns beschwingen zu einem Aufbruch und auch zu einem missionarischen Einsatz.”
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