(K)ein Credo für das Gottesvolk?
Gudrun Sailer und Marion Sendker – Vatikanstadt
Es gilt als eine erste Antwort auf den nachkonziliaren Zwist zwischen Reformern und Traditionellen. Paul VI. wollte vermitteln und für Klarheit sorgen, indem er verbindlich alle Glaubensinhalte zusammenfasste, erklärt der Kirchenhistoriker Professor Jörg Ernesti von der Uni Augsburg.
„Für dieses Credo scheint mir charakteristisch zu sein, dass es etwas zu verbinden sucht, nämlich das Glaubensbekenntnis der alten Kirche mit Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils, mit Theologie dieses großen Reformkonzils. Paul VI. argumentiert, wie das Konzil, stark heilsgeschichtlich von der biblischen Heilsgeschichte her. So kommt im Grunde genommen eine ganz charakteristische Verbindung von Tradition und moderner Theologie heraus.“
Nur auf Latein
Der gewünschte Effekt blieb dann aber aus – zumindest was die Weltkirche betraf. Das liege zum einen daran, sagt Ernesti, dass das Credo – wie alle päpstlichen Schreiben – zuerst nur auf Latein herausgegeben, dann aber nie offiziell übersetzt wurde.
Warum das Credo des Gottesvolkes das Gottesvolk selbst aber nie wirklich erreicht hat, liegt für den Kirchenhistoriker aber vor allem an einem Grund: Es ist zu lang.
„Der Text ist so lang, dass man ihn – anders als die älteren Glaubensbekenntnisse – liturgisch nicht verwenden kann. Also wenn Sie diesen Text gemeinsam lesen oder im Gottesdienst vorlesen lassen würden, dann bräuchten Sie sicher 20 bis 25 Minuten Zeit, und das würde jede Eucharistiefeier sprengen.“
War das nötig?
Schließlich zeigten sich nicht nur Laien, sondern auch Theologen und Kleriker wenig beeindruckt vom päpstlichen Versuch, den traditionellen Glauben der Kirche in moderner Sprache auszudrücken, bemerkt Ernesti.
„Vielleicht liegt es daran, dass man von der Notwendigkeit nicht überzeugt war, dass es einen derartigen lehramtlichen Text bräuchte. Das Zweite Vatikanum hatte sich ja breit zu allen möglichen Fragen der Lehre und des kirchlichen Lebens geäußert. Warum brauchte es dann also einen neuen lehramtlichen Text, werden sich viele Theologen gefragt haben?“
Paul VI. verkündete das Credo des Gottesvolkes in Form eines Motu Proprio: Ein apostolisches Schreiben des Papstes, das „aus eigenem Antrieb“ verfasst wird.
Das Credo will kein Lehrschreiben sein
Auch werden manche Theologen wohl unzufrieden gewesen sein mit gewissen Formulierungen, etwa wenn es um die Eucharistielehre oder das ewige Leben gehe, fügt er hinzu.
Insofern dürfe das Credo des Gottesvolkes aber nicht missverstanden werden: „Da waren Theologen wie Edward Schillebeeckx und Joseph Ratzinger vielleicht schon etwas weiter in ihrer theologischen Reflexion, als dass das Credo des Gottesvolkes es war und es auch sein konnte; denn das Credo des Gottesvolkes ist ja nicht primär ein theologischer Text und eine theologische Reflexion, sondern Ausdruck des Glaubens des Gottesvolkes, der katholischen Gläubigen.“
Schaffte Ratzinger das, was Paul VI. wollte?
Fast zur selben Zeit übrigens, als Paul VI. das Credo des Gottesvolkes veröffentlichte, bot Ratzinger, damals Professor in Tübingen, seinen Studenten die Veranstaltung: „Das Apostolische Glaubensbekenntnis. Eine Einführung in Grundgehalte christlichen Glaubens” an.
Darin breitete er das aus, worum es auch Paul VI. in seinem Credo ging. Das Buch, das aus dieser Vorlesungsreihe entstanden ist („Einführung in das Christentum“), erreichte einen breiten Leserkreis: Nicht nur Theologen, auch viele Laien jenseits der konfessionellen Grenzen lesen es heute noch. Auch Paul VI. war von der Schrift beeindruckt; sie bewog ihn, Ratzinger in den siebziger Jahren zum Erzbischof von München und Freising zu ernennen.
Pauls Credo lohnt heute noch die Lektüre
Doch auch das von Paul VI. formulierte Credo lohnt auch heute noch die Lektüre und den gedanklichen Mitvollzug. Es ist einer der großen Texte des Montini-Papstes, der im Oktober dieses Jahres heilig gesprochen werden wird.
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