Bußliturgie beim Kinderschutz-Gipfel: „Vater, ich habe gesündigt”
Christine Seuss - Vatikanstadt
Der Papst und die rund 190 Vorsitzenden der weltweiten Bischofskonferenzen sowie Ordensoberen, die er zu einem historischen Kinderschutz-Gipfel in den Vatikan bestellt hatte, feierten die Bußliturgie in aller Stille, in der Tiefe des vatikanischen Palastes, in einem Saal, der sonst nur bei großen diplomatischen Anlässen zum Einsatz kommt: In der Sala Regia, die den Durchgang zur Sixtinischen Kapelle und der Cappella Paolina, weiter dann zur Benediktionsloggia darstellt. Der Papst predigte nicht selbst, er überließ es Philip Naameh, dem Präsidenten der Bischofskonferenz Ghanas, Worte für das Versagen der Weltkirche und den dringenden Wunsch nach Umkehr und Wiedergutmachung zu finden.
Der Erzbischof ging in seinen Überlegungen vom Gleichnis des verlorenen Sohnes aus, die Passage aus dem Evangelium nach Lukas wurde von einer Frau verlesen. Er selbst und seine Brüder im Amt nutzten dieses Gleichnis vielleicht schon allzu „routiniert”, wenn es darum gehe, Sünder zur Umkehr aufzufordern, so der Präsident der ghanaischen Bischofskonferenz. Doch dabei könne ein wichtiger Aspekt in Vergessenheit geraten: „Wir vergessen, dieses Gleichnis auf uns selbst anzuwenden; uns als das zu sehen, was wir sind: verlorene Söhne“, betonte Nahmeeh. Und dies war der Grundton der Liturgie, Selbstkritik und Gewissenserforschung der Hirten, die für die katholischen Gläubigen auf dem Erdball verantwortlich sind.
Eine Verantwortung, die in vielen Fällen schändlich vernachlässigt wurde. Dies wurde auch deutlich in dem Zeugnis, das ein junger Mann stellvertretend für die zahllosen bekannten, aber auch unbekannten Missbrauchsopfer von Klerikern vortrug:
„Missbrauch jeder Art ist die schlimmste Demütigung, die man einem Menschen zufügen kann. Es bedeutet, erkennen zu müssen, dass man sich gegen die Übermacht des Täters nicht zur Wehr setzen kann, ihm ausgeliefert ist. Du kannst dem, was da passiert, nicht entkommen, du musst es über dich ergehen lassen: egal, was oder wie schlimm es ist. Wer Missbrauch erlebt, der will all dem einfach nur ein Ende machen. Aber das geht nicht,“ so die eindrücklichen Worte des Mannes.
Man wolle fliehen, und somit passiere es, dass man nicht mehr „man selbst“ sei, sogar vor sich selbst fliehe, und damit am Ende völlig allein dastehe, gab der Missbrauchsüberlebende einen Einblick in die Zerrissenheit, mit der die Opfer oft ihr Leben lang konfrontiert sind. Doch niemand könne diese Zerrissenheit sehen: „Was am meisten wehtut, ist die Gewissheit, dass dich niemand verstehen wird. Und dieses Gefühl wird dich ein Leben lang begleiten.“
Der mühsame Versuch, die Welt von „vorher“ wieder für sich zu gewinnen, sei „genauso schmerzlich wie der Missbrauch selbst,“ fuhr der Mann in seinem erschütternden Zeugnis fort. Und dennoch: „Je größer dein Wunsch ist, diese beiden Welten miteinander zu versöhnen, je mehr du dich darum bemühst, umso schmerzlicher ist die Gewissheit, dass es nicht möglich ist. Es gibt keinen Traum ohne Erinnerung an das, was geschehen ist; keinen Tag, an dem man es nicht im Geiste noch einmal durchlebt.“
Er selbst könne inzwischen besser damit umgehen, versuche sich auf das „von Gott gegebene Recht“ auf Leben zu konzentrieren. „Ich kann, ich sollte hier sein. Das gibt mir Mut,“ betonte der Missbrauchsüberlebende, der, so wie zahlreiche der Teilnehmer an der Liturgie, sichtlich mit den Tränen rang. „Es ist jetzt vorbei. Ich kann nach vorne schauen. Ich muss nach vorne schauen. Wenn ich jetzt aufgebe, stehen bleibe, dann lasse ich zu, dass diese Ungerechtigkeit mein Leben beeinflusst. Und das kann ich verhindern, indem ich lerne, es zu kontrollieren, indem ich lerne, darüber zu sprechen.“
Im Anschluss an seine bedrückenden und mutigen Worte trug der junge Mann auf der Geige ein Stück von Johann Sebastian Bach vor, bevor nach einer kurzen Stille der Papst das Wort ergriff.
„Seit drei Tagen sprechen wir miteinander, hören die Zeugnisse von Missbrauchsüberlebenden. Zeugnisse über die Verbrechen, deren Opfer Kinder und Jugendliche in unserer Kirche geworden sind. Wir haben uns gefragt: Wie können wir verantwortungsbewusst handeln, was müssen wir jetzt tun? Damit wir aber wirklich mit neuem Mut in die Zukunft blicken können, müssen wir wie der verlorene Sohn sagen: ,Vater, ich habe gesündigt’. Wir müssen prüfen, wo konkreter Handlungsbedarf besteht: für die Ortskirchen, für die Mitglieder unserer Bischofskonferenzen, für uns selber. Und damit das geschehen kann, müssen wir die Situation in unseren Ländern, unser eigenes Handeln, ehrlich in den Blick nehmen,” nannte Papst Franziskus noch einmal die Rahmenbedingungen für ein Gelingen des beispiellosen Treffens im Vatikan.
Anschließend gab es eine Reihe von bohrenden Fragen, vorgebracht vom Vorsitzenden der Spanischen Bischofskonferenz, Ricardo Blázquez Pérez. „Welche Missbräuche an Kindern und Jugendlichen wurden von Geistlichen und anderen in der Kirche meines Landes begangen? Was weiß ich über die Menschen in meiner Diözese, die von Priestern, Diakonen und Ordensleuten missbraucht und verletzt worden sind? Habe man den Opfern geholfen, ihnen zugehört? Welche Maßnahmen seien ergriffen worden?”, dies waren nur einige der Fragen, auf die jeder einzelne Bischof und Ordensobere seine eigene Antwort finden sollte.
Direkt im Anschluss daran neigte sich die Liturgie mit den Schuldbekenntnissen dem Ende zu. Sie wurden von John Dew, dem Vorsitzenden der neuseeländischen Bischofskonferenz vorgetragen: es war eine lange Liste von Verfehlungen, die sich konkret auf Versäumnisse im Umgang mit der Plage des sexuellen Missbrauchs bezogen: „Wir bekennen, dass wir Bischöfe unserer Verantwortung oft nicht gerecht geworden sind,” so eines der drängenden Eingeständnisse, denen sich die Kirchenvertreter zu stellen hatten.
Eine eindrückliche Bußfeier, die kurz darauf mit dem Schlußsegen endete – und nach dem Willen des Papstes noch lange in den Herzen der Teilnehmer nachwirken soll.
(vatican news)
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